»Amazon die Stirn bieten«

(junge Welt)

»Nur so können wir Amazon die Stirn bieten«

Internationale Solidarität: Arbeiter von US-Konzern trafen sich zur Vernetzung in Genf. Ein Gespräch mit Vanessa Carrillo.

Vanessa Carrillo ist Amazon-Arbeiterin und aktiv bei den »Amazonians United« in Chicago.

Am vergangenen Wochenende haben sich Amazon-Beschäftigte in Genf getroffen. In die dortigen Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftungluden die »Amazon Workers International«, AWI, ein. Wer war anwesend, und war es das erste Treffen dieser Art?

Es war nicht das erste Treffen der AWI. Unser transnationales Basisnetzwerk aktiver Amazon-Gewerkschafter trifft sich bereits seit 2015. Aber es war das erste Mal, dass eine größere Anzahl von Arbeitern aus den USA und Kanada zu den bisher vor allem europäisch geprägten Vernetzungstreffen kommen konnte. Außerdem waren in Genf Kollegen aus Deutschland von Verdi, aus Frankreich von SUD Solidaires, aus Polen von der Arbeiterinitiative IP, aus Spanien von der CGT und aus Italien vom »Social Strike«-Netzwerk anwesend – insgesamt etwa 30 Personen. Ebenfalls an unserem Treffen teilgenommen hat ein Vertreter der Kampagne »Make Amazon Pay«.

Welches sind die drängendsten gemeinsamen Probleme, vor denen die Kollegen aus denverschiedenen Ländern stehen?

Da wäre etwa die hohe Fluktuation der Amazon-Beschäftigten. Sie ist sowohl Ausdruck der schlechten Arbeitsbedingungen als auch eine Erschwernis für unsere Organisierung. Als akut drängendes Problem sind die Massenentlassungen an vielen Standorten insbesondere nach dem Ende des Weihnachtsgeschäftes hinzugekommen, gegen die wir Widerstand leisten. Und nicht zuletzt gibt es die immer weitere Verdichtung der Arbeit durch Amazons Anspruch, rund um die Uhr Waren zu versenden.

Was geschieht in den USA in bezug auf die gewerkschaftliche Organisierung bei Amazon, und welchen Ansatz verfolgen die »Amazonians United« dabei?

Wir bauen seit 2019 eine unabhängige Basisgewerkschaft in den USA auf. Aktiv sind wir außer in Chicago auch in Versandzentren von New York bis Sacramento. Unser Ziel sind Betriebsgewerkschaften, die unabhängig von den sozialpartnerschaftlich orientierten Verbänden agieren können – und der Ansatz ist bisher durchaus erfolgreich. So gelangen uns bereits eine Reihe von Aktionen, Arbeitsniederlegungen und Kundgebungen. Unsere Gewerkschaft wurde von Arbeitern gegründet und wird von ihnen geführt. Bei uns werden alle Entscheidungen über Aktivitäten und Aktionen von den Arbeitern selbst und nicht von einem Gewerkschaftsapparat getroffen.

Welche neuen Ansätze und welche internationalen Aktivitäten hat die AWI bei dem Treffen ins Auge gefasst?

Wir wollen die transnationale Zusammenarbeit zwischen aktiven Amazon-Gewerkschaftern weiter ausbauen und stärken. Für uns ist klar: Einem transnational agierenden Konzern können wir nur durch organisierte internationale Solidarität die Stirn bieten. Wir kommen alle aus unterschiedlichen politischen und gewerkschaftlichen Traditionen, sind unter verschiedenen nationalen Arbeitsgesetzen tätig – aber wir sind alle bei dem gleichen Weltkonzern beschäftigt und suchen daher immer nach uns verbindenden Aktionen. Durch unsere Zusammenarbeit wollen wir auch ein Zeichen der Hoffnung für die ganze Arbeiterklasse setzen: Internationale Zusammenarbeit betriebsaktiver Gewerkschafter auf Augenhöhe ist nötig – und möglich!

Wir stehen vor vielen gemeinsamen Kämpfen und wollen unsere Struktur auch durch künftige Vernetzungstreffen stärken. Konkret haben wir für das kommende Jahr Aktionen zum 10. Jahrestag der Amazon-Streiks in Deutschland und zum »Black Friday« im November ins Auge gefasst, uns aber auch über die Anwendung von Organizingmethoden bei Amazon ausgetauscht. Unser Ziel ist außerdem, alle Streiks an nationalen Standorten durch internationale Solidaritätsaktionen zu stärken. So haben wir hier in Genf auch eine Kundgebung vor dem britischen Konsulat in Solidarität mit dem für den 25. Januar von der Gewerkschaft GMB angekündigten ersten Streik in einem Amazon-Betrieb in Großbritannien überhaupt abgehalten.

Interview: Florian Wilde.

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