Nachruf auf Jane McAlevey (1964-2024).
Von Florian Wilde.
Am Sonntag den 7. Juli 2024 ist Jane McAlevey nach langem Kampf gegen eine unheilbare Krebserkrankung im Alter von nur 59 Jahren gestorben. Mit ihr ist die wohl bedeutendste zeitgenössische Theoretikerin und Praktikerin eines gewerkschaftlichen Machtaufbaus durch Organizing viel zu früh von uns gegangen. Der Rosa-Luxemburg-Stiftung war sie eng verbunden. Jane McAlevey spielte eine herausragende Bedeutung für die RLS-Gewerkschaftsarbeit, in Deutschland wie international. Ihre Bücher wurden von der RLS auf deutsch herausgegeben, sie sprach vor hunderten Teilnehmer:innen auf RLS-Konferenzen, und schulte weltweit Zehntausende über das »Organizing for Power« (O4P)-Programm der Stiftung. Und sie war mir und allen, die in der Stiftung mit ihr zusammenarbeiteten, eine wichtige Inspiration, ein großes Vorbild und eine enge und liebe Genossin.
Ein Leben in Bewegung
McAlevey wurde quasi in die Gewerkschaftsbewegung hineingeboren: schon als Kind begleitete sie ihren alleinerziehenden Vater regelmäßig auf Streikposten in ihrer Heimatstadt New York. Als Studentin schloss sie sich sofort einer Studierendengewerkschaft an und engagierte sich in der Solidaritätsbewegung für die sandinistische Revolution in Nicaragua. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst mehrere Jahre als Community-Organizerin für eine Umweltschutz-Organisation. Hier machte sie in einer gemeinsamen Kampagne mit einer Chemiearbeiter-Gewerkschaft eine für ihren weiteren Weg zentrale Erfahrung: im Kampf gegen umweltzerstörende Konzerne reichen von Aktivist:innen getragene Proteste und Demonstrationen oft nicht aus. Um wirklich gewinnen zu können braucht es die Macht einer gewerkschaftlich organisierten Arbeiterklasse – und ihre stärkste Waffe: den Streik. Als im Gewerkschafts-Dachverband AFL-CIO 1995 eine Erneuerungsströmung die Führung übernahm und einen stärkeren Fokus auf Organizing durchsetzte, entschied sich Jane McAlevey für den Beruf einer Gewerkschafts-Organizerin. Die folgenden 1½ Jahrzehnte arbeitete sie in leitender Position in diversen Organizing-Kampagnen von AFL-CIO und SEIU (Service Employees International Union) und konnte sie, von Krankenhäusern über Schulen und Hotels bis zu Schlachthäusern, in große und bemerkenswerte Erfolge führen. Besonders prägend waren für McAlevey dabei die Methoden des deep Organizing, die sie bei dem lange von Linken geführten und als besonders kämpferisch geltenden Local 1199 New England der SEIU erlernte.
Methoden um zu siegen
Kern dieses von McAlevey dann immer weiter systematisierten strukturbasierten deep-Organizing-Verständnis ist eine Gewerkschaftsarbeit, in deren Zentrum der gezielte Aufbau betrieblicher gewerkschaftlicher Mehrheiten steht, die die für sie relevanten, oft lebensverändernd weitgehenden Forderungen selbst definieren und jeden Schritt einer sie betreffenden Auseinandersetzung eigenständig bestimmen und gestalten können. Eine zentrale Methode für den Aufbau dieser betrieblichen Mehrheiten sind strukturierte, von Angesicht zu Angesicht geführte Organizing-Gespräche. Mit ihnen werden auch die Kolleg:innen gewonnen, welche der Gewerkschaft gegenüber bisher eher indifferent bis feindlich eingestellt waren – darunter insbesondere die in einer Belegschaft besonders angesehenen Kolleg:innen („organic leaders“). Durch Stärketests („structure tests“) bauen die gewerkschaftlich organisierten Belegschaften ihre kollektive Handlungsfähigkeit und ihre betriebliche Basis Schritt für Schritt immer weiter aus. Auch zu anderen Belegschaften, Gewerkschaften und Akteuren nehmen sie aktiv Kontakt auf, um sie für eine gemeinsam geführte Auseinandersetzung zu gewinnen („whole worker organizing“). Schließlich treten die organisierten Belegschaften – möglichst in einem strategischen Zeitfenster erhöhter gesellschaftlicher Aufmerksamkeit wie bspw. einem Wahlkampf – mit großer Mehrheit in den Streik, um ihre Macht voll zu entfalten und die Gegenseite in eine Krise zu treiben.
Doch McAlevey bleibt hier nicht stehen, sondern geht noch einen Schritt weiter und bezieht auch die anschließende Tarifverhandlung selbst in einen Machtaufbau durch Organizing ein. Ihr Grundgedanke dabei ist ein einfacher: je stärker die Beschäftigten ihre Forderungen nicht nur selbst aufstellen, sondern auch den Verhandlungsprozess aktiv mitgestalten, desto engagierter und geschlossener werden sie für ihre Sache eintreten. Je mehr Beschäftigte bei einer Tarifverhandlung Auge-in-Auge mit der Arbeitgeberseite in einem Raum sitzen – und Jane McAlevey führte Kolleg:innen in Tarifverhandlungen, bei denen große Säle gemietet werden mussten, damit kompakte Blöcke aus hunderten Arbeiter:innen unmittelbar der Geschäftsführung gegenüber sitzen und für ihre eigenen Angelegenheiten eintreten – desto größer wird das Wissen, die kollektive Stärke und damit die Durchsetzungsmacht der Beschäftigten sein, und entsprechend größer auch die Furcht der Arbeitgeberseite vor ihnen.
Bücher als Waffen
Nach den herausragenden Erfolgen von ihr angeleiteter Organizing-Kampagnen kehrte McAlevey, nun auf einer soziologischen Promotionsstelle, 2010 an die Universität zurück, um ihre Erfahrungen wissenschaftlich zu reflektieren, zu systematisieren und einem breiten Publikum zugänglich zu machen. 2012 erschien ihr erstes Buch »Raising Expectations (and Raising Hell)«, in dem sie ihre eigenen Organizing-Erfahrungen beschreibt. Es folgte 2015 das auf ihrer Dissertation fußende Buch »No Shortcuts«, in dem sie mit dem in den vergangenen Jahrzehnten dominanten und von ihr als Mobilizing kritisierten Organizing-Modell abrechnet, auf dessen Grundlage es den US-Gewerkschaften nicht gelungen war, ihre Krise nachhaltig zu überwinden, und in dem sie eine theoretische Begründung ihrer eigenen Organizing-Methoden vorlegt. Der Gedanke, dass die arbeitenden Menschen auf allen Ebenen selbst zu den zentralen Akteuren ihrer eigenen Befreiung werden können, durchzieht das gesamte Buch, dem in den nächsten Jahren weitere folgten, mit denen McAlevey sich als bedeutende Intellektuelle der Arbeiterbewegung auch im wissenschaftlichen Diskurs etablierte.
Schlüssel zum Verständnis
2018 berichtete Luigi Wolf, ein befreundeter deutscher Organizer, mir erstmals von McAlevey und empfahl mir ihr Buch »No Shortcuts«. Ich war sofort begeistert, denn das Buch bot eine Erklärung auf eine Frage, die mich schon lange umgetrieben hatte: wieso hatte die Anwendung US-amerikanischer Oganizing-Methoden in Deutschland bisher nicht den erhofften Erfolg gebracht? 2005 war ich in Los Angeles von der SEIU als Organizer ausgebildet worden, um anschließend im allerersten Pilot-Projekt einer Anwendung US-amerikanisch inspirierter Organisierungs-Methoden in Deutschland zu arbeiten: dem ver.di-Organizing-Projekt im Hamburger Wach- und Sicherheitsgewerbe. Voller Enthusiasmus griffen wir jungen Organizer die von der SEIU inspirierten Methoden auf. Wir verbanden damit große Hoffnungen, denn sie versprachen, nicht nur die Gewerkschaften nach einer langen Defensivphase endlich wieder zu stärken, sondern auch, sie durch eine Verschiebung der Balance von den hauptamtlichen Apparaten hin zu aktiven betrieblichen Strukturen von innen zu transformieren. Tatsächlich konnte schon dieses erste Projekt Erfolge in Bezug auf neu gewonnene Mitglieder, entstehende Aktiven-Gruppen und gestärkte Betriebsrat-Strukturen vorweisen. Vor allem aber sollte es eine Bresche schlagen für viele weitere Organizing-Projekte deutscher Gewerkschaften. Dennoch setzte rasch eine gewisse Ernüchterung ein: trotz punktueller Erfolge und einigen Mitgliedergewinnen blieb die erhoffte Transformation der Gewerkschaften aus. Zu schnell schien aus dem SEIU-Organizing ein Methodenbaukasten zu werden, aus dem man sich bedienen konnte, auch ohne tradierte Strukturen und sozialpartnerschaftliche Arbeitsweisen in den Gewerkschaften wirklich anzutasten. Vor allem in der gewerkschaftlichen Stunde der Wahrheit, der Tarifverhandlung, war plötzlich meist alles wieder beim Alten:Organizer und aktivierte Belegschaften blieben vor der Tür und die hauptamtlichen Verhandlungsführer bestimmten das Verhandlungsgeschehen. Auch gelang keine umfassende Trendwende: der gewerkschaftliche Organisationsgrad ging auch im Jahrzehnt nach dem Beginn des Organizing in Deutschland insgesamt weiter zurück und weiterhin wurden viele Kämpfe verloren.
Erst bei der Lektüre von Jane McAleveys Buch »No Shortcuts« fiel es mir wie Schuppen von den Augen: das von der SEIU nach Deutschland unter einem Organizing-Label exportierte Modell war in seinem Kern eine Form des Mobilizing, also einer systematischen Mobilisierung von Basis und Belegschaften zur Druck-Erzeugung, aber ohne einen damit einhergehenden Machtaufbau, der diese befähigen würde, das Heft gewerkschaftlichen Handelns tatsächlich und auch nachhaltig über das Ende der oft befristeten Organizing-Projekte hinaus in die Hand zu nehmen.
McAlevey setzte dem in No Shortcuts sehr überzeugend den auf den großen Aufschwung der US-amerikanischen Gewerkschaften der 1930er – als es dem militanten CIO (Congress of Industrial Organizations) gelang, das amerikanische Kapital in den New Deal mit massiven Verbesserungen für die Arbeiterklasse zu zwingen – zurückgehenden Ansatz eines deep Organizing entgegen, der trotz der sozialpartnerschaftlichen Wende der folgenden Jahrzehnte insbesondere in der Local 1199 Gewerkschaft bewahrt und von dieser an McAlevey weiter gegeben worden war. Ein Buch, dessen Übersetzung eine echte Belebung der deutschen Organizing-Diskussion und -Praxis versprach.
RLS bringt McAlevey nach Deutschland
2019 durfte ich das Buch als RLS-Gewerkschaftsreferent im VSA-Verlag unter dem Titel „Keine halben Sachen. Machtaufbau durch Organizing“ in deutscher Übersetzung herausgeben, und zur Präsentation des Buches luden wir McAlevey zu ihrem ersten Besuch nach Deutschland ein: zur 4. Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung der RLS mit lokalen und regionalen gewerkschaftlichen Kooperationspartnern, bei der McAlevey mit ihrem Vortrag »Winning Conflicts« in einem Hörsaal der TU Braunschweig ein vielhundertköpfiges Publikum begeisterte. Es sollte der erste von vielen weiteren Besuchen in Deutschland sein, bei denen McAlevey Organizing-Schulungen insbesondere für ver.di und die IG Metall gab und schließlich auf Einladung von ver.di die Berliner Krankenhaus-Bewegung strategisch beriet.
Zweite Welle des Organizing
Namentlich in dieser Bewegung wurden die McAlevey-Methoden eines strukturbasierten Organizing erstmals vollumfänglich in Deutschland ausgerollt: mit gezielter Organisierung von Teams und Stationen durch Organic Leadership Identification (Identifizierung betrieblicher Schlüsselpersonen); mit Mehrheits-Petitionen und Unterschriften-Transparenten, auf denen bis zu tausende Beschäftigte ihre Verbindung zu den gewerkschaftlichen Zielen und ihre Bereitschaft zum Kampf um diese erklärten; mit der Wahl von Teamdelegierten, die der Tarifbewegung eine neue Form demokratischer Steuerung von unten ermöglichte; mit Versammlungen von hunderten dieser gewählten Delegierten in einem Fußballstadium, um gemeinsam über den Fortgang der Auseinandersetzung zu entscheiden; mit der strategischen Platzierung einer Eskalation des Konfliktes hin zum Streik mitten in einen Landtagswahlkampf hinein; mit der Nutzung der Netzwerke der Beschäftigten als einer Machtressource zur Mobilisierung der Stadtgesellschaft zur Unterstützung des Streiks; bis hin zur Einbeziehung der Teamdelegierten in die Tarifverhandlung, die die Tarifkommission auf Schritt und Tritt über den Gang der Verhandlungen informierte und über den weiteren Verlauf entscheiden ließ. Wie noch nie zuvor kamen McAleveys Methoden eines Machtaufbaus durch Organizing in einer deutschen Tarifbewegung zum Einsatz – und das mit durchschlagendem Erfolg: zum ersten Mal überhaupt gelang es, die Arbeitgeber zu einer wirklich verbindlichen Mindestpersonalbemessung in den Krankenhäusern zu zwingen und so die Situation zehntausender Beschäftigter und hunderttausender Patient:innen nachhaltig zu verbessern. Ein Beispiel, dass dann auch die ver.di-Krankenhausbewegung in NRW stark inspirierte.
Die RLS legte mit der Übersetzung von McAleveys Buch „A Collective Bargain“ nach, dass ich 2021, diesmal gemeinsam mit der Vorsitzenden der IG Metall Jugend, Stefanie Holtz, im VSA-Verlag unter dem Titel »Macht. Gemeinsame Sache. Gewerkschaften, Organizing und der Kampf um die Demokratie« herausbringen konnte. Bald inspirierten die McAlevey-Methoden auch über den Krankenhausbereich hinaus eine zweite Welle des Organizing in Deutschland. In immer mehr Auseinandersetzungen wurden zumindest Elemente aus ihnen aufgegriffen. In der Tarifrunde öffentlicher Dienst 2022/23 erhielt die von ihr inspirierte Methode eines Stärketests mittels einer Unterschriftenpetition sogar Einzug in die zentrale ver.di-Kampagnenplanung für die größte Tarifrunde Deutschlands. In den Jahren nach der Veröffentlichung von „Keine halben Sachen“ konnte ich als RLS-Gewerkschaftsreferent so ein für einen linken Herausgeber eher seltenes und dafür um so größeres Glück erleben: den praktischen und fruchtbaren Niederschlag von Büchern in konkreten Klassenkämpfen zu beobachten.
O4P und McAleveys Globalisierung
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung spielte auch eine wichtige Rolle dabei, dass die bis dahin vor allem im angelsächsischen Raum bekannte Jane McAlevey nun ein weltweites Publikum fand: 2020 führten wir die erste der seitdem jährlich online stattfindenden »Organizing for Power«-(O4P)-Schulungen mit ihr durch, bei denen ihre Methoden von ihr vorgestellt und den Teilnehmer:innen gemeinsam geübt wurden. Ergänzt wurden die bald „The Core Fundamentals“ genannten Grundlagen-Kurse im Frühjahr durch Fortgeschrittenen-Kurse im Herbst, sowie Spezial-Formaten wie der „What Winning Looks Like“-Show, in der McAlevey gemeinsam mit streikaktiven Pflegekräften den Erfolg der Berliner Krankenhausbewegung evaluierte. Die Stiftung konnte diese Kurse ihren Partnern aus aller Welt anbieten – und durch sie zahllose neue gewerkschaftliche Akteure kennenlernen. Denn der Erfolg von O4P sollte alle Erwartungen übertreffen und das Programm zu einem der teilnehmerstärksten der RLS-Auslandsarbeit überhaupt machen: bisher haben über 40.000 Personen aus mehr als 1800 Gewerkschaften, linken Organisationen und sozialen Bewegungen aus 115 Ländern an den in bisher 19 Sprachen simultan verdolmetschten und zur Erreichung eines globalen Publikums über alle Zeitzonen hinweg immer 2x täglich angebotenen sechswöchigen Kursen teilgenommen. Ein Erfolg, der noch bemerkenswerter ist, wenn man bedenkt, dass an den Kursen nur Gruppen und nicht Einzelpersonen teilnehmen können – getreu der Vorstellung von McAlevey, handlungsfähige Kollektive und nicht vereinzelte Individuen auszubilden. Es gelang uns allmählich auch eine stärkere Globalisierung der Kurse selbst – etwa durch die Einbeziehung von immer mehr Trainer:innen aus Gewerkschaften des globalen Südens. Erstmals fand im Januar 2024 ein O4P-Spezial-Training mit Jane McAlevey für die »Public Service International« (PSI)statt, an dem fast der gesamte Hauptamtlichen-Apparat dieses globalen gewerkschaftlichen Dachverbandes inklusive seiner Führungsspitze teilnahm. Es folgte im März noch ein O4P-Training für den schottischen Gewerkschaftsdachverband STUC.
The Fight of her Life
Auch in den USA wuchs McAleveys Bekanntheit und ihr Ansehen mit den Erfolgen von den von ihr parallel zu ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit weiter angeleiteten Organizing-Kampagnen. Im Oktober 2023 brachte das renommierte Magazin The New Yorker ein berührendes Porträt unter dem Titel: »How Jane McAlevey transformed the Labor Movement«. In ihm wurde auch ihre unheilbare Krebs-Erkrankung erstmals öffentlich publik gemacht. Wir, die wir in der RLS in engem Kontakt zu Jane standen – neben mir vor allem Ethan Earle als globaler Koordinator des O4P-Programms, und die RLS-Gesundheitsreferentin Fanni Stolz, die die deutschen O4P-Teilnehmer betreut und sich stiftungsseitig um eine Verbindung der McAlevey-Methoden mit der deutschen Krankenhausbewegung kümmert – hatten bereits im Januar 2023 von Janes unweigerlich nahendem Tod erfahren, als ihre Ärzte ihr nur noch wenige Wochen gaben und sie zum Sterben aus Kalifornien zurück in ihre Heimat New York zog. Doch Jane McAlevey war unfassbar zäh, warf sich mit experimentellen Krebs-Therapien in ihren letzten Kampf, den sie mit unglaublicher Disziplin und ungeheuer beeindruckender Stärke führte, auf alle Menschen um sie herum weiter größte Lebensfreude und -lust ausstrahlend. Ich durfte Jane im April 2023 in New York zu ihrer »Not Dead Yet«-Abschiedsparty anlässlich der Präsentation ihres letzten Buches „Rules to win by. Power & Participation in Union Negotiations“ besuchen, auf der sie und ihr Lebenswerk von engen Freunden, Genossen:innen und ihrer vielköpfigen Familie gefeiert wurde. Alex Caputo-Pearl, der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft UTLA aus Los Angeles, konnte hier die frohe Botschaft verkünden, dass durch konsequente Anwendung der McAlevey-Methoden in der Nacht zuvor ein Massenstreik von 25.000 in der SEIU Local 99 organisierten Schulbeschäftigten, flankiert von einem Solidaritätsstreik von 35.000 UTLA-Mitgliedern, eine 30%-Lohnerhöhung durchsetzen konnte. Beide Gewerkschaften hatten hunderte ihrer Mitglieder in Vorbereitung auf den Streik zuvor in die O4P-Schulungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung geschickt. Zuletzt sah ich Jane bei einem Besuch in ihrer New Yorker Wohnung am Central Park, wo wir bei Sekt und Weed in die hinter dem East River untergehende Sonne schauten, über die Arbeit zu ihrem politischen Erbe und die von der RLS geförderte spanische Übersetzung von »No Shortcuts« sprachen und die (dann im Sommer 2023 erfolgte) Veröffentlichung einiger Kapitel aus »Rules to Win by« in der RLS-Broschüre »Machtaufbau in Tarifverhandlungen« vereinbarten. Ihren letzten öffentlichen Auftritt für das RLS-Programm »Organizing for Power« hatte sie im Dezember in dem Video »The Fight of our Lives«, in dem sie von den Organizerinnen Joleene Levid (UTLA, USA) und Preethy Sivakumar (CUPE, Kanada) zu ihrem Lebenswerk interviewt wurde. Die ihrem Äußeren nach so zarte und im persönlichen Umgang so zugewandte, ja fast zurückhaltende McAlevey legte hier, bereits sichtbar vom Krebs gezeichnet, noch einmal in deutlichen Worten ihr Selbstbild und ihre Überzeugungen dar: „Ich bin eine Soldatin im Klassenkampf, und die Klimakrise erhöht mehr denn je den Druck, ihn schnell zu gewinnen. Und ich glaube, dass wir es schaffen können: es gibt die Methoden dafür, wir müssen sie lehren und verbreiten, damit die arbeitenden Menschen ihre Ohnmacht überwinden und sich effektiv organisieren. Deswegen bin ich auch jeden Tag voller Hoffnung, dass wir gewinnen werden!“
Die Saat wird aufgehen
Doch der Krebs war der erste Gegner, gegen den ihre Methoden nicht wirkten, gegen den Jane McAlevey nicht gewinnen konnte. Ihr Tod reißt in der linken und gewerkschaftlichen Bewegung eine große Lücke, die nicht unmittelbar zu schließen sein wird. Doch bei aller jetzt notwendigen Trauer: es gibt keinen Grund zur Verzweiflung. Denn Jane McAlevey hat weltweit zehntausende Organizer:innen ausgebildet, die ihre Methoden weitertragen und ihre Arbeit fortführen werden. Diese Saat wird aufgehen, und sie wird dazu beitragen, die Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung und irgendwann auch die ganze Welt zu transformieren.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung wird in ihrer politischen Bildungsarbeit auch künftig versuchen, das Erbe dieser großen Organizerin zu bewahren und ihre Methoden durch die »Organizing for Power«-Kurse und durch Übersetzung und Verbreitung ihrer Schriften weiter in alle Welt zu tragen.