Wenn Studierende streiken. Erfahrungen aus der Geschichte der Studierendenbewegung
Veröffentlicht in critica Nr.2
Der für des Sommersemester 2009 geplante Bildungsstreik steht in einer langen Tradition studentischer Protestbewegungen. Florian Wilde beleuchtet ihre Stärken und Schwächen und fragt nach den Lehren für Heute.
´68: Der große Aufbruch: Wie alles anders wurde
Was passierte?
Von Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre gelang es einer sowohl breiten als auch radikalen Studierendenbewegung, massive Veränderungen an den Hochschulen durchzusetzen: Gegenüber der alten elitären Ordinarienuniversität wurde eine Demokratisierung der Hochschulen erkämpft. Streiks, Gebührenboykotte und Proteste erzwangen eine Abschaffung von Studiengebühren und Hörgeldern und eine Senkung der Mieten für studentische Wohnheime. Mit der erkämpften Einführung des BAFöG wurde endlich auch Kindern aus ärmeren Familien der Hochschulzugang erleichtert. Am Anfang standen kleinere Aktionen, Veranstaltungen und Kongresse. Bald aber radikalisierte sich die Bewegung unter dem Einfluss des SDS und gewann gleichzeitig an Breite. Neue Aktionsformen prägten die Proteste, wie Sit-Ins vor Rektoraten und Go-Ins in Lehrveranstaltungen. Höhepunkt der Bewegung waren die Jahre 1967/68, in denen die Unis im Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzungen standen. Zahlreiche Institute waren besetzt, es wurden „Kritische Universitäten“ initiiert und Demonstrationen und Veranstaltungen zu hochschulspezifischen Themen ebenso wie zu Notstandsgesetzen, dem Vietnamkrieg und den Perspektiven des Sozialismus organisiert, an denen sich oft Tausende beteiligten.
Und dann? Aus der gesellschaftsverändernden Stimmung dieser Jahre entstanden radikal geführte Arbeitskämpfe, die Frauenbewegung, die Schwulenbewegung, Bewegungen von Lehrlingen und Heimkindern, Hausbesetzungen und vieles mehr. Dass die Studierenden eben nicht nur die Unis, sondern auch die Gesellschaft, deren Teil die Hochschule ist, verändern wollten, erleichterte das Zusammengehen mit anderen Protestbewegungen. Gerade in diesem Kontext konnten die Studierenden realen Druck aufbauen und echte Veränderungen durchsetzen. Durch die Entstehung einer Vielzahl linker Gruppen an den Hochschulen bildeten sich organisierte Kerne, die häufig das Rückrat der Proteste der folgenden Jahre bildeten.
´88: UniWut: Wo dein Studentencafé herkommt
Wieso die Wut? Spätestens mit dem Antritt der Kohlregierung und der beginnenden Dominaz neoliberaler Wirtschaftstheorien begannen Anfang der 80er Jahre massive Angriffe auf die Errungenschaft “demokratische Massenuniversität”. Die sich verschlechternde soziale Lage der Studierenden und miese Studienbedingungen als Folge der Einsparungen führten im Winter 1988 zu einer Explosion von “UniWut”.
Was passierte? Die bald bundesweite Streikwelle unter diesem Motto begann spontan, entwickelte sich oft unabhängig von Asten und traditionellen hochschulpolitischen Strukturen und schaffte sich mit zahllosen Streikräten und Komitees rasch eine eigene basisdemokratische Struktur. Der Streik wurde als echter Besetzungsstreik geführt: Die Streikenden wohnten und lebten in der besetzten Uni – die Hausbesetzerbewegung der 80er Jahre hatte einen starken Einfluss auf die Bewegung. An der FU Berlin, einem der Zentren der Bewegung, gab es über 300 autonome Seminare, in denen gelernt und diskutiert wurde. Außerdem waren die Studierenden von der Frauenbewegung geprägt: Sie forderten etwa eine Frauenquote beim Lehrkörper und feministischer Wissenschaft. Auch Forderung nach einer Interdisziplinarität von Forschung und Lehre.
Was wurde erreicht? Auf Bundesebene wurde ein Milliardenschweres Finanzierungsprogramm für die Hochschulen aufgelegt. Die Schließung einer Reihe von Fächern wurde verhindert. Verschiedene inhaltliche Forderungen des Protestes wie z.B. die Interdisziplinarität – wenn auch oft nur in deformierter Form – oder feministische Forschungsstränge fanden Eingang in die Hochschulen.
Viele der noch heute bestehenden selbstverwalteten studentischen Cafés wurden im ´88er Streik erkämpft.
Und dann? In den 90er Jahren verschlechterte sich die Situation an den Hochschulen infolge fortgesetzter Einsparungen weiter. 1993 gab es in verschiedenen Bundesländern zu Streiks dagegen. Der weitgehende Zusammenbruch der studentischen Linken nach 1989 schwächte aber die Voraussetzungen für größere Bewegungen mit gesamtgesellschaftlicher Ausrichtung.
´97: Lucky Streik: Der Streik, der totgelobt wurde
Was passierte? Das Wintersemester 97/98 erlebte die bisher zahlenmäßig größte Studierendenbewegung der deutschen Geschichte, den „Lucky Streik“. Überraschend breitete sich ab November 1997 eine massive Streik- und Protestwelle über die Universitäten aus. Begonnen hatte alles mit einigen Erstsemestern in Gießen, die wegen völliger Überfüllung ihrer Seminare spontan zu streiken begannen und an alle Unis appellierten, ebenfalls in den Streik zu treten. Sie fanden damit bundesweit Gehör, Anfang Dezember waren bereits über 40 Unis im Streik. Es gab riesige Vollversammlungen, allerorts große Demos und zwei bundesweite Demonstrationen in Bonn mit bis zu 40.000 Teilnehmern. Die Proteste richteten sich gegen die schlechte Ausstattung und Unterfinanzierung der Unis, ein zentraler Slogan war „Seminarleiter statt Eurofighter“.
Wieso Lucky Streik? Kennzeichen des „Lucky Streiks“ waren phantasievolle und kreative Aktionen á la „die Bildung geht baden.“ Da die Studis so lieb und lustig auftraten, v.a. mehr Geld für Bildung forderten und die Perspektive einer grundlegenden Veränderung von Hochschule oder gar Gesellschaft weitgehend fehlte, stießen sie auf eine ungekannte Welle medialer und gesellschaftlicher Sympathie. Professoren, Unileitungen, selbst Wirtschaft und Kohlregierung äußerten ihr Verständnis für die Proteste.. Das Fehlen herrschaftskritischer Inhalte erleichterte die Vereinnahmung der Proteste und nahm ihnen zugleich jede Schärfe. Nur eine Minderheit stellte die Proteste in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang und organisierte etwa Demos, die zu Arbeitsämtern, Parteien oder Unternehmerverbänden zogen.
Was wurde erreicht? Insgesamt war ein Zusammengehen mit anderen Protestbewegungen im „Lucky Streik“ ebenso umstritten wie eine Radikalisierung der Proteste, und beides fand letztlich nicht statt. So konnte der Protest totgelobt werden, bis er fast ergebnislos auslief. Das die SPD sich ein Verbot von Studiengebühren im Erststudium auf die Fahnen schrieb und dieses nach der Wahl ´98 auch im Hochschulrahmengesetz verankerte, ging aber direkt auf die Proteste im Winter 97/98 zurück.
2005: Summer of resistance: Der lange Sommer des Protestes
Was passierte? Seit der Jahrtausendwende flammten immer wieder Kämpfe gegen die Umstrukturierungen im Rahmen des Bologna-Prozesses auf. Aber erst im Wintersemester 2003/04 gab es von Berlin ausgehend wieder eine bundesweite Protestdynamik.
Im Gegensatz zu 1997 war ein Zusammengehen mit anderen sozialen Bewegungen (v.a. gegen die Hartz IV-Gesetze) kaum umstritten, und die Formen der Proteste waren deutlich radikaler: Zeitungsredaktionen, Bankfilialen und Parteibüros wurden besetzt Die Einführung verdeckter Studiengebühren in Berlin wurde durch Druck auf die PDS verhindert. Ein großes Manko der Proteste war ihre Ungleichzeitig: als die Streiks in Hamburg begannen, waren sie in Berlin schon wieder vorbei. Zu einer neuen Welle von Protesten führte die Abschaffung des Verbots von Studiengebühren im Erststudium durch das Bundesverfassungsgericht Anfang 2005. Noch im Januar demonstrierten 9.000 Studierende in Hamburg gegen die drohende Einführung von Studiengebühren, und auch im Sommersemester war Hamburg die Hochburg der Proteste. Zu einer Bildungsdemo mit Gewerkschaften und SchülerInnen konnten 20.000 Menschen mobilisiert werden, mehrere Tage in Folge mussten Blockaden des Uni-Hauptgebäudes durch die Polizei aufgelöst werden.
Was wurde erreicht? 2006 schwappte die Protestwelle nach Hessen, und hier erreichten sie ihren größten Erfolg.Durch die Kombination massenhafter studentische Proteste, in denen auch militante Protestformen wie etwa Autobahnblockaden ihren Platz hatten und breit getragen wurden, mit einem großen gesellschaftlichen Bündnis den nötigen Druck aufzubauen, die Studiengebühren schließlich zu kippen. Die Proteste hinterließen einen derart nachhaltigen Eindruck, dass Roland Koch sich an das Thema Studiengebühren bis heute nicht herantraut.