Solidarität mit Rojava und dem kurdischen Befreiungskampf!

Offener Brief an die unterzeichnenden Organisationen der Erklärung „Let us mobilise against dictatorships, imperialist aggression and Daesh. We reject the politics of >national security<, racism and austerity“.

 

Am 11. Dezember wurde auf „International Viewpoint“ die Erklärung „Let us mobilise against dictatorships, imperialist aggression and Daesh. We reject the politics of “national security”, racism and austerity” zur Situation in Syrien und im Irak veröffentlicht, die mittlerweile von über 40 revolutionär-sozialistischen Organisationen aus fünf Kontinenten unterzeichnet wurde.[1]

Wir begrüßen sehr, dass es eine so breit getragene gemeinsame Erklärung aus diesem politischen Spektrum gibt, dem wir uns eng verbunden fühlen, und hoffen für die Zukunft auf weitere internationale Initiativen dieser Art: Sie können dazu beitragen, die internationale Koordination von Kräften der revolutionären Linken zu intensivieren und diese zu einem sichtbareren Akteur zu machen. Wir danken den GenossInnen, die die Initiative zu dieser internationalen Erklärung ergriffen haben. Grundsätzlich teilen wir eure Analyse in der Erklärung und die aufgestellten Forderungen.

Was uns aber zutiefst irritiert, ist das, was in der Erklärung fehlt: Sie enthält kein Wort über die kurdische Revolution und die Selbstverwaltungsdemokratie in Rojava und proklamiert keine Solidarität mit ihnen. Unserer Einschätzung nach ist diese Erklärung symptomatisch für die Schwierigkeiten, die Teile des durch die unterzeichenden Organisationen repräsentierten politischen Spektrums der revolutionären Linken mit der Solidarität mit Rojava, der kurdischen Revolution und der PKK haben, weswegen sie uns der Anlass für einen Offenen Brief an die Unterzeichner ist. Wir hoffen, mit diesem Brief einen Beitrag zu einer internationalen Diskussion über die hier aufgeworfenen Fragen zu leisten.

Aus dem arabischen Frühling ist die lange Nacht des arabischen Winters geworden. Das einzige Beispiel, wo die demokratischen Aufstände der arabischen Welt nicht von reaktionären Kräften weitgehend zerstört werden konnten, sondern aus ihnen ein neues demokratisches Gemeinwesen hervorging, ist Rojava, das kurdische Gebiet in Nordsyrien. In ihm verbindet sich die Dynamik der syrischen Revolution mit der – alle von Kurden bewohnten Länder der Region erfassenden – kurdischen Befreiungsbewegung. Hier wird unter Führung der PYD (Partei der demokratischen Union) ein demokratisches, laizistisches und mutiethnisches Gesellschaftsmodell erprobt, das die Prinzipien der Geschlechtergleichheit, der sozialen Gerechtigkeit und des Respektes vor der Natur proklamiert. Sicherlich ist die Revolution in Rojava keine sozialistische Revolution, auch wenn die sie führende Kraft sich als sozialistisch bezeichnet. Aber es ist eine demokratische Revolution, eine Revolution gegen nationale Unterdrückung und eine feministische Revolution – und damit das wichtigste Hoffnung spendende Ereignis in einer von dschihadistischem Terror, Bürgerkriegen und imperialistischen Interventionen gezeichneten Region. An keinem anderen Punkt haben sich die demokratischen Revolten der vergangenen Jahre – vom Tahrir-Platz über occupy bis zu den Platzbesetzungen in Südeuropa – so sehr zu einem alternativen Gesellschaftsentwurf verdichtet, wie in Rojava. Rojava hat das Potenzial, zu einem alternativen Modell für andere Teile der Region zu werden und andere Kämpfe zu inspirieren. Und die Dynamiken demokratische Revolutionen beinhalten immer ein gewisses Potenzial, in die Dynamik einer sozialistischen Revolution umzuschlagen. Durch genau diese Gründe ist Rojava aber auch zum Fokus der Aggressionen der Daesh-Terrorbanden und den subimperialistischen Aggressionen der Türkei geworden. Aber auch zum wichtigsten Bezugspunkt internationaler Solidarität mit fortschrittlichen und linken Bewegungen in der Region.

Die PYD ist die syrische Schwesterpartei der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans). Die PKK hat in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Wandel vollzogen, weg von den stalinistischen und nationalistischen Wurzeln ihrer Vergangenheit und hin zu dem Modell eines libertärsozialistisch inspirierten „demokratischen Konföderalismus“ jenseits des Nationalstaates, mit der Befreiung der Frau als oberstem Gesellschaftsziel. Die PKK hat in den vergangenen Jahrzehnten eine transnationale revolutionäre Massenorganisation von Millionen von Anhängern aufgebaut und ist zur mit Abstand wichtigsten linken Kraft in der ganzen Region geworden. Die PKK und ihre Schwesterorganisationen kämpfen in der Türkei gegen den neoliberalen Despotismus Erdogans; in Syrien gegen das Assad-Regime, dass sie zum Rückzug aus Rojava gezwungen haben (nachdem es durch die Aufstände in anderen Teilen Syriens bereits unter starken Druck geraten war) und gegen Daesh, dessen wichtigster Gegner sie geworden sind; im Iran gegen die Mullah-Diktatur; im Nordirak gegen das korrupte und pro-imperialistische Regime Barzanis. In der Türkei hat das Bündnis aus kurdischer Freiheitsbewegung und revolutionärer türkischer Linker, Gezi-Park-Bewegung und der Frauen- und LGBT-Bewegung die gesamte Linke befruchtet und mit der HDP erstmals einer linken Partei in der Türkei den Sprung über die 10%-Hürde ermöglicht. Mittlerweile hat der von der PKK angeführte Kampf gegen Erdogan in den kurdischen Gebieten der Türkei den Charakter offener Volksaufstände für eine „demokratische Autonomie“ angenommen.

Als Reaktion auf die wachsende Stärke der PKK und ihrer Schwesterorganisationen begann der NATO-Staat Türkei im Juni einen neuen Krieg gegen die kurdische Freiheitsbewegung und geht mit brutaler Repression gegen die Volksaufstände in Nordkurdistan vor, während Stellungen der PKK im Nordirak bombardiert werden und weiterhin die Gefahr einer militärischen Invasion der Türkei in Rojava besteht.

Während die PKK in vorderster Front gegen Daesh kämpft (und in Opposition zu Erdogan, Assad, den Mullahs und Barzani steht), wird sie von den USA, der EU und vielen anderen Ländern weiterhin als Terrororganisation verfolgt und verboten. An kaum einem anderen Beispiel lässt sich die Verlogenheit des westlichen „Krieges gegen den IS“ besser illustrieren, als anhand der fortgesetzten Verfolgung des militantesten Gegners des IS, der PKK, durch den Westen. In dieser Situation ist die internationale Linke gefordert, als konkreten Ausdruck antiimperialistischer Solidarität mit der wichtigsten linken Organisation im Nahen Osten einen scharfen Kampf gegen das PKK-Verbot, v.a. in den imperialistischen Zentren, zu führen.

Diese Solidarität mit dem Kampf der PKK fordern wir auch von den unterzeichnenden Organisationen der o.g. Erklärung ein!

Solidarität mit Befreiungsbewegungen darf natürlich für revolutionäre SozialistInnen keine unkritische Solidarität sein. Es gibt vieles, dass neben ihrer Vergangenheit auch an der Gegenwart der PKK und der PYD kritisiert werden kann, beispielweise ihre Abkehr von der Arbeiterklasse als zentralem Akteur sozialistischer Umwälzungen, ihre rein ethische Begründung eines Sozialismus, die historischen Grundlagen der Theorien Abdullah Öcalans, der Kult um Öcalan, Übergriffe auf oppositionelle Demonstrationen in den von der PYD kontrollierten Gebieten, etc. Auch das Lavieren der PKK innerhalb der sich ständig ändernden Konstellationen imperialistischer Interventionen in der Region muss kritisch begleitet werden.

Aber Rojava, die kurdische Revolution und den Kampf der PKK in einer Erklärung zur Situation im Nahen Osten nicht einmal zu erwähnen, wie in der o.g. Erklärung geschehen, halten wir für eine revolutionär-sozialistische Linke nicht für zulässig und für einen Ausdruck von Blindheit gegenüber dem Kampf der bedeutendsten linken Kraft des Nahen Ostens. Die Solidarität mit ihrem Kampf sollte hingegen zu einer verbindenden strategischen Perspektive linker Solidarität mit den fortschrittlichen Bewegungen in der Region werden.

Wir fordern euch (in Ergänzung zu den in eurer Erklärung aufgestellten Forderungen) auf:

  • Innerhalb der revolutionär-sozialistischen Linken eine öffentliche Diskussion über die Bedeutung Rojavas, der kurdischen Revolution und des Kampfes der PKK zu führen
  • Die Revolution in Rojava und die Aufstände in Nordkurdistan aktiv zu unterstützen
  • Eine internationale Kampagne revolutionärer SozialistInnen gegen das Verbot der PKK zu starten, oder sich an bestehenden Kampagnen gegen das Verbot zu beteiligen.

 

ErstunterzeichnerInnen:

Michael Prütz (NaO – Neue antikapitalistische Organisation [New anticapitalist Organization], Germany; has joined the GIM – Gruppe Internationaler Marxisten [Group of international Marxists] in 1970)

Angela Klein (isl – international sozialistische linke [international socialist left], Germany)

Dr. Florian Wilde (Die Linke; from 1993-2002 Member of IST-Groups, Germany)

Erkin Erdogan (DSİP – Devrimci Sosyalist İşçi Partisi [Revolutionary Socialist Workers‘ Party], Turkey / Marx21, Germany)

Tino Plancherel (ex-member of SAP – Sozialistische Arbeiterpartei [Socialist Workers Party], Switzerland)

Michael Schilwa (NaO, Germany; has joined the GIM in the 1970s)

Michael Eff (NaO, Germany; founding member of KJO Spartakus in 1969)

Mark Bergfeld (Cologne/London)

Zane Alcorn, Socialist Alliance (Australia)

Ole Wiedenmann (Colchester/Hamburg, ex-member of the Revolutionär Sozialistischer Bund- Germany)

Zeynep Koç (UK)

 

Gerne veröffentlichen wir weitere UnterstützerInnen dieses Offenen Briefes, um zu zeigen, dass das Anliegen breit geteilt wird. Wenn ihr den Brief unterschreiben wollt, schickt bitte eine Mail mit eurem Namen und gerne auch dem Namen der Organisation, zu der ihr gehört, an rojavasolidarity@gmx.de

[1] http://www.internationalviewpoint.org/spip.php?article4322 . Zuvor war die Erklärung bereits auf der libanesischen Website „Al Manshour“ veröffentlicht worden: http://al-manshour.org/node/6689 . Auf deutsch auf http://www.islinke.de

 

Auf englisch ist dieser Offene Brief beim „International Viewpoint“ (http://www.internationalviewpoint.org/spip.php?article4377 ) sowie bei „LINKS – International Journal for Sozialist Renewal“  (http://links.org.au/node/4621 ) veröffentlich worden.