Die Ruhe vor dem Sturm. Florian Wilde – Selbstportrait eines neugewählten Mitgliedes des Parteivorstandes der LINKEN. In: disput 06/2012
Politisch aktiv wurde ich als Schüler in den frühen 90er Jahren in Kiel, ich war es später als Student in Hamburg und Florenz und dann in Berlin. Im Laufe der Jahre war ich in sozialistischen Gruppen, in antifaschistischen Initiativen, in postautonomen Strukturen und, in Italien, bei der Jugendorganisation der Rifondazione Comunista organisiert. Orte meiner Aktivität waren immer soziale Bewegungen, Bildungsproteste, Castor-Blockaden, Hausbesetzungen, die Antifa, Sozialproteste, der AStA, später auch Gewerkschaften.
Seit Entstehung der LINKEN habe ich mich in ihrem Umfeld engagiert: bei der Bundestagswahl 2005 als (noch parteiloser, aus der Studierendenbewegung kommender) Direktkandidat für die Linkspartei.PDS in Hamburg-Eimsbüttel, seit 2007 als einer der Sprecher ihrer Historischen Kommission, als Bundesvorstand und später Geschäftsführer ihres Studierendenverbandes Die Linke.SDS. Auf dem Göttinger Parteitag wurde ich nun – vom SDS nominiert – in den neuen Parteivorstand gewählt.
Wesentlicher Grund meines Engagements bei der LINKEN ist, dass sie – gerade aus westdeutscher Perspektive – einen tiefen und bedeutenden historischen Einschnitt darstellt: 50 Jahre lang waren alle Versuche, links der SPD eine sozialistische Partei zu etablieren, immer wieder gescheitert. Erst mit unserer neuen Partei ist dies endlich gelungen! Dass sie dabei eine tatsächlich gesamtdeutsche Partei mit ganz unterschiedlichen Wurzeln ist, macht sie für mich umso spannender. Denn vor dem Hintergrund des Scheiterns des Sozialismus im 20. Jahrhundert kann kaum ein linker Traditionsstrang für sich beanspruchen, alleine den Weg in eine bessere Gesellschaft zu kennen. Im Gegenteil: Erst aus der Zusammenführung unterschiedlicher linker und sozialistischer Traditionen und ihrer gegenseitigen Bereicherung in gemeinsamer Praxis kann ein neuer sozialistischer Aufbruch entstehen.
Eine entscheidende Voraussetzung eines Neuanfangs sozialistischer Politik ist, dass wir es schaffen, glaubwürdig zu vermitteln: Demokratie und Sozialismus gehören für alle Zeiten untrennbar zusammen und bedingen einander. Das eine wird es nie ohne das andere geben, und beides wird nur »von unten her« durchgesetzt werden können. Nicht nur wird uns kein Gott und auch kein höh´res Wesen retten. Auch keine Parteiführung und keine Regierung wird je einen demokratischen Sozialismus von oben her verordnen können. Er kann nur aus den Kämpfen der großen Mehrheit der Bevölkerung um Freiheit, umfassende Demokratie und soziale Gleichheit entstehen. Emanzipation ist nur als Selbstemanzipation denkbar. Schärfste Kritik an aller autoritären und bürokratischen Entartung und an den im Namen des Sozialismus begangenen Verbrechen ist mir als Historiker ein besonderes Anliegen. In meiner Doktorarbeit habe ich daher auch versucht, anhand des vergessenen KPD-Vorsitzenden und Schülers Rosa Luxemburgs, Ernst Meyer, die zur Stalinisierung alternativen, emanzipatorischen Potenziale des frühen deutschen Kommunismus zu untersuchen.
Ich bin überzeugt: Je stärker der Kapitalismus die Welt in einen Strudel von Vielfachkrisen – Wirtschafts-, Umwelt-, Klima- und Hungerkrisen, Krisen unserer Lebensweise und Kriegsgefahren – reißt, je stärker er seine Unfähigkeit zur Lösung der wichtigsten Menschheitsprobleme demonstriert, desto notwendiger und attraktiver werden radikale sozialistische Alternativen. Allerdings nutzt es wenig, diese den bestehenden Verhältnissen nur abstrakt entgegenzuhalten. Wir müssen einerseits die Partei sein, die am entschiedensten die (Alltags-)Interessen der abhängig Beschäftigten, Arbeitslosen, Studierenden und Rentner organisiert, die den konsequentesten Kampf um jede kleine Reform und Verbesserung innerhalb des Kapitalismus führt. Und andererseits diese ganz konkreten Auseinandersetzungen mit der Perspektive auf das ganz andere, auf einen demokratischen Sozialismus, verknüpfen.
Für die Zukunft unserer Partei bin ich optimistisch. Wenn wir uns nicht selbst zerlegen, stehen unsere großen Zeiten uns noch bevor. All der interne Streit des letzten Jahres mit all seinen Verletzungen – er war auch Ausdruck der seit 2009 objektiv viel schwierigeren Lage der Partei. Momentan müssen wir mit SPD und Grünen in der Opposition konkurrieren, und dort machen diese, was sie in der Opposition immer tun: links blinken. Hinzu kommt, dass Deutschland bisher eine Insel der Seligen inmitten des europaweiten Kürzungsdramas zu sein scheint. Während es in vielen europäischen Ländern zu einer Welle an Generalstreiks kam, scheint hier Friedhofsruhe an der sozialen Frage zu herrschen. Doch ich bin mir sicher: Es ist nur die Ruhe vor dem Sturm. Der nächsten Bundesregierung wird in Zeiten von Schuldenbremse und Fiskalpakt gar nichts anderes übrig bleiben, als einen brutalen Sozialabbau zu forcieren. Und dieser Regierung wird dann wieder die SPD angehören. Dies wird der LINKEN beste Chancen eröffnen, Mitglieder und Wähler zu gewinnen und unsere Alternativen in die öffentliche Debatte zu bringen. Dafür allerdings gibt es zwei Voraussetzungen: Wir dürfen uns nicht selbst zerstören, und wir müssen ein sozialistisches und unangepasstes Profil behalten, um als Alternative erkennbar zu bleiben.
Im Parteivorstand möchte ich am Aufbau dieser Partei mitwirken und zugleich im Sinne des SDS, den ich dort vertreten soll, für ihre Orientierung auf soziale Bewegungen und gewerkschaftliche Kämpfe als den zentralen Hebeln einer Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse eintreten.
Bisher habe ich, etwa in der Historischen Kommission oder in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sehr positive Erfahrungen mit generations-, sozialisations- und strömungsübergreifender Zusammenarbeit bei Achtung unterschiedlicher Positionen gemacht. Ich hoffe, im neuen Parteivorstand wird das auch so werden.