Auf dem Weg zur 5. Streikkonferenz

(SoZ)

Die Streikkonferenz 2023 der Rosa-Luxemburg-Stiftung. 
Gespräch mit Florian Wilde. 

Florian Wilde ist Referent für aktivierende und internationale Gewerkschaftspolitik in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und organisiert die Streikkonferenzen von Anfang an mit.

Vor vier Jahren war eure Streikkonferenz in Braunschweig mit über 800 Teilnehmenden ein großer Erfolg. Was habt ihr an dem Format gegenüber damals geändert und warum?

Das Grundgerüst erschien uns nach den Erfolgen der vorangegangenen Konferenzen als gut geeignet – mit seinen vielen Arbeitsgruppen, einzelnen Großveranstaltungen im Plenum, den Themen- und Praxisseminaren sowie Raum für Vernetzungstreffen. Wir haben uns daher eher auf seinen Ausbau durch das Angebot von noch mehr Veranstaltungen bemüht als um seine Veränderung.
Was sich bemerkenswert weiterentwickelt hat, ist die Dimension des Trägerkreises aus lokalen, teils sogar regionalen Gewerkschaftsstrukturen. Bisher unterstützen 15 Gliederungen aus dem Ruhrgebiet und NRW die Konferenz, darunter auch die Landesbezirke NRW von Ver.di und der NGG, aber auch sechs Verwaltungsstellen der IG Metall. Die Anmeldezahlen liegen bereits deutlich über denjenigen der Vorjahre – wir hoffen auf die größte linksgewerkschaftliche Konferenz in Deutschland seit Jahrzehnten. Das zunehmende Interesse an der Konferenz drückt sich auch in den vielen Medienpartnern aus, die wir für eine Kooperation gewinnen konnten.

Ich finde die Praxisseminare besonders spannend. Ich stelle mir vor, dass dort vor allem die Aktivist:innen gefragt sind, ihre Kampferfahrungen auszutauschen. Leider ist die Gelegenheit dazu auf zwei Stunden am Freitag nachmittag beschränkt. Es gibt noch die Vernetzungstreffen. Ansonsten ist das Angebot eher im klassischen Seminarstil gehalten. Könnt ihr euch vorstellen, eine solche Konferenz mal hauptsächlich auf den Austausch von Kampferfahrungen und die Vermittlung von Tools dafür auszurichten?

Im Herzen der Konferenz stehen die 25 Arbeitsgruppen, von denen die meisten eigentlich genau darauf abzielen: dass sich Aktive über Kampferfahrungen und Strategien austauschen – sowohl durch die Inputs in den AGs, als auch die anschließende Diskussion mit den Teilnehmenden. Die Themen reichen dabei von Kämpfen gegen Betriebsschließungen über Bündniserfahrungen aus den Krankenhausstreiks bis zum Umgang mit Union Busting. Aber auch neue Streik- und Aktionsformen sollen ausgewertet und ein Blick auf die aktuellen Tarifrunden geworfen werden.
Bei vergangenen Konferenzen hatten wir tatsächlich noch mehr Angebote zur Vermittlung konkreter Tools. Wir hoffen, auch diesmal noch kurzfristig welche ins Programm nehmen zu können. Die genaue Raumsituation an der Ruhr-Universität Bochum klärt sich aber erst noch, und damit auch die Möglichkeit für weitere Angebote.

Immer wieder sind Gewerkschaften oder einzelne ihrer Bezirke/Sekretäre auch Teil des Problems. Im Umgang mit Bossing gibt es z.B. Kritik an Ver.di und der IG Metall, betroffenen Betriebsräten nicht die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Auch das langjährige Festhalten an fossilen Energieträgern wie der Braunkohle durch Gewerkschaften wie Ver.di und der IGBCE ist legendär. Wird das auf der Streikkonferenz auch zur Sprache kommen?

Wir stellen als RLS ja nur den Rahmen der Konferenz; ihre inhaltliche Ausgestaltung liegt bei den mehr als 150 überwiegend betriebs- und gewerkschaftsaktiven Kolleginnen und Kollegen, die ihre Themen und Erfahrungen in die Konferenz tragen. Wo es ihnen notwendig erscheint, werden sie sich sicher auch nicht mit Kritik zurückhalten. Da es eine Gewerkschaftskonferenz ist, ist Gewerkschaftskritik dort ja immer auch Selbstkritik im Kontext eines Strebens nach Erneuerung und Stärkung. Sicher ist, dass es auf der Konferenz weniger darum geht, mögliche Fehler der Vergangenheit zu kritisieren, sondern in die Zukunft zu schauen. Der Umbau der Automobilindustrie und die Verkehrswende werden auf der Auftaktveranstaltung am Freitagabend im Zentrum stehen, bei der neben Paul Hecker von der IG Metall Köln/Leverkusen u.a. die stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Christine Behle und die Fridays-for-Future-Aktivistin Felicitas Heinisch auch solche strittigen Fragen miteinander diskutieren werden.

Das Programm macht den Eindruck, dass die Konferenz sich stark »in der Gewerkschaft« verortet, die notwendige Veränderung von Gewerkschaft aber wenig thematisiert. Kommt ihr da an Grenzen?

Das Thema der Konferenz-Reihe ist die gewerkschaftliche Erneuerung – und Erneuerung heißt ja auch Veränderung. Verändern können sich Gewerkschaften aber nur aus sich selbst heraus, und wir denken, dass das Potenzial zur Erneuerung dort am größten ist, wo sich konkret am meisten bewegt – etwa wenn neue Beschäftigtengruppen in Auseinandersetzungen treten, neue Organizing-Methoden zur Anwendung kommen oder neue Streikstrategien erprobt werden. Wir wollen den Blick insbesondere auf inspirierende Beispiele richten und diskutieren, ob und wie sie verallgemeinert und weiterentwickelt werden können.
Die Konferenzen sollen auch eine Plattform sein für alle, die Gewerkschaften positiv verändern wollen, um gemeinsam in die Offensive zu kommen. Wir wollten die Gewerkschaften mit den Konferenzen nie von außen belehren., sondern einen Ort für einen regions-, generationen- und gewerkschaftsübergreifenden Austausch für Aktive schaffen, die in ihrer Praxis Gewerkschaft ganz unmittelbar verändern und erneuern. Ich halte daher die zunehmende Verankerung in den Gewerkschaften für einen großen Fortschritt. Er drückt sich darin aus, dass auf der ersten Konferenz 2013 Ver.di Stuttgart als einzige mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung kooperierte, heute sind es 15 lokale und regionale Gliederungen, die die Konferenz mit tragen.

Veröffentlicht in SoZ 03/23