Blick hinter Chávez

(critica) 30 Studierende des SDS haben Venezuela bereist. Sie sahen die Erfolge der Bewegung und die Gefahr, dass der linke Reformprozess stecken bleibt. 

Eine Jubel-Tour sollte die Reise der 30–köpfigen Delegation von Linke.SDS und der Linksjugend.[´solid] nach Venezuela nicht werden. In den drei Wochen wollten wir uns nicht nur die Vorzeigeprojekte der Regierung anschauen, sondern uns auch mit den Schwierigkeiten und Widersprüchen in Venezuela auseinandersetzen und linke Kritiker von Chávez treffen. So fand unser Programm zwar in enger Kooperation mit offiziellen venezolanischen Stellen statt, die uns sehr unterstützten. Sie ermöglichten uns zum Beispiel die kostenlose Unterkunft im Hotel ALBA in Caracas, dem verstaatlichten ehemaligen Hilton. Die Armee flog uns mit zwei Militärmaschinen zu unseren Zielen. Doch gleichzeitig war es uns wichtig, die Reiseplanung nicht aus der Hand zu geben, sondern selber zu entscheiden, wen wir treffen.

Seit November waren Mitglieder des Linke. SDS in Venezuela, um unsere Reise vorzubereiten. Ihnen gelang es, ein spannendes und abwechslungsreiches Programm auf die Beine zu stellen, das uns ein differenziertes Bild des bolivarischen Prozesses ermöglichte. Wir besuchten Hochschulen, in denen jeder kostenlos studieren kann, medizinische Einrichtungen in indigenen Gemeinden mitten im Dschungel, sprachen mit führenden Mitgliedern von Chávez‘ sozialistischer Partei PSUV und der kommunistischen PCV, trafen uns mit linken Basisaktivisten, besuchten eine besetzte und von Arbeitern selbst geführte Fabrik und nahmen an Diskussionsveranstaltungen mit linken Studierendenaktivisten und streikenden Arbeitern des Stahlwerkes Sidor teil. Dort führen die Arbeiter seit Monaten einen erbitterten Kampf für die Verstaatlichung ihres 1997 privatisierten Betriebes. Weiterhin beteiligten wir uns mit einem Linke.SDS–Block an Demonstrationen zum Jahrestag des Caracazo, des großen antineoliberalen Volksaufstandes 1989, und am internationalen Frauentag.

Schnell wurde bei unserer Reise deutlich, dass die deutschen Medien Chávez zu Unrecht als Diktator darstellen. Nirgendwo hatten wir das Gefühl, dass sich die Menschen nicht trauen würden, ihre Meinung zur Regierung frei zu äußern. Jeden Tag konnten wir im Fernsehen die Privatsender sehen, die der rechten Opposition gehören. Und die großen Tageszeitungen, die sich ebenfalls in den Händen von Oppositionellen befinden, waren überall zu bekommen. Beeindruckend war, wie intensiv in Venezuela nichtkommerzielle und kommunale Medien gefördert werden. Für einen Kongress alternativer Medien wurde sogar das Gebäude des Parlaments zur Verfügung gestellt.

Unsere Reisegruppe wird noch eine umfangreiche Auswertung der Reise erstellen und in Veranstaltungen an mehreren Universitäten davon berichten. Unsere bisherigen Ergebnisse sind: Venezuela zeigt, dass ein konsequenter Bruch mit dem Neoliberalismus und eine Politik im Interesse der Bevölkerung heute möglich sind. Im Gegensatz etwa zu Deutschland werden in Venezuela die Hochschulen auch für die Armen geöffnet, wird ein kostenloses Gesundheitswesen für alle aufgebaut und werden diverse Betriebe, darunter einige Schlüsselindustrien, verstaatlicht. Damit einher geht ein hoher Grad an demokratischer Mitbestimmung, zum Beispiel durch den Aufbau Kommunaler Räte und das Einführen von Arbeitermitbestimmung. Die sozialistische, teilweise sogar revolutionäre Rhetorik der Regierung gibt den Menschen Hoffnung auf weitere Veränderungen.

Die radikal antiimperialistische, demokratische und sozialreformerische Ausrichtung der venezolanischen Regierung setzt ein positives Beispiel für Linke in aller Welt. Trotzdem ist die Macht des Kapitals in Venezuela nicht gebrochen, ist das Land von einer umfassenden Arbeiterkontrolle der Wirtschaft noch ebenso weit entfernt, wie vom Aufbau eines wirklich demokratischen Staates. Auf dem Wege zu einer sozialistischen Gesellschaft ist eine Fortführung und Vertiefung der begonnenen Veränderungen dringend notwendig. Diese werden nur in harter Konfrontation von Chávez, der Arbeiterbewegung und anderer sozialer Bewegungen gegen transnationale Konzerne, das einheimische Kapital und den bürokratischen und korrupten Teil des Staatsapparates möglich sein. Aufgabe linker Kräfte weltweit ist dabei, den revolutionären Prozess in Venezuela und die sich aus ihm entwickelnden Perspektiven kritisch und solidarisch zu verteidigen.

Florian Wilde ist aktiv bei Linke.SDS in Hamburg, Er war Teil der 30–köpfigen Delegation, die für drei Wochen Venezuela besuchte.

Von Florian Wilde. Veröffentlicht in Linke.Campus und auf amerika21.de