(junge Welt) Die wichtigste Lehre aus dem Weltsozialforum (WSF) 2015 in Tunis ist die, dass das Treffen weiterhin ein sinnvoller und bedeutender Ort für Austausch und Vernetzung weltweiter sozialer Bewegungen und linker Kräfte bleibt. Gleichzeitig muss es sich dringend weiterentwickeln, um seinen Problemen und seiner Krise, die sich in zurückgehenden Teilnehmerzahlen und einer abnehmenden politischen Bedeutung ausdrückt, zu begegnen.
Ein schon traditionelles Problem ist das organisatorische Chaos. Dabei hatte sich das maghrebinische Organisationskomitee große Mühe gegeben: 1.200 Freiwillige waren unermüdlich aktiv, um den Besuchern zu helfen. Trotzdem machte das Fehlen eines Geländeplanes vielen Teilnehmern das Leben unnötig schwer. Und eine funktionierende Homepage, die etwa über die Vorverlegung der Auftaktdemo informiert hätte, wäre im Jahre 2015 durchaus zui erwarten gewesen. Ein weiteres Manko bleibt die Übersetzung: Eine Versammlung sozialer Bewegungen, die ausschließlich auf französisch und arabisch durchgeführt wird, schließt viele Bewegungen von vornherein aus. Hinzu kam, dass Staaten wie Marokko und Algerien ihre Konflikte auf dem Forum bis hin zu physischen Auseinandersetzungen auszutragen versuchten. Aus beiden Ländern waren zu diesem Zweck Vertreter regierungsfinanzierter Schein-NGOs angereist. Hier wäre künftig genauer darauf zu achten, dass es für derartige Vereine keinen Platz auf den Foren gibt. Trotzdem war die regionale Verankerung des Forums eine seiner großen Stärken. Zehntausende Teilnehmer kamen aus Tunesien und den benachbarten Staaten. Sie sind nicht dafür verantwortlich zu machen, dass etwa aus Deutschland weder die IG Metall noch ver.di mit Delegationen vertreten waren und auch die Partei Die Linke – und viele ihrer europäischen Schwesterparteien – nicht ernsthaft für das Forum mobilisiert haben.
Die Zukunft des WSF wird auch von der Frage des nächsten Austragungsortes abhängen. Im von vielen im Internationalen Rat des Forums favorisierten Montreal dürfte zwar organisatorisch vieles besser laufen, aber der ursprüngliche Geist einer rebellischen Versammlung sozialer Bewegungen mit einem starken Einfluss der antikapitalistischen Linken wird sich dort kaum wiederbeleben lassen. Dafür braucht es Orte, die selbst Brennpunkte linker Politik sind und in denen es starke, lebendige und radikale soziale Bewegungen gibt. Vieles würde für Athen sprechen, was ein Zeichen globaler Solidarität gegen die Austeritätspolitik in der Europäischen Union wäre.
Einen anderen Vorschlag brachte die kurdische Frauenaktivistin Meral Çiçek ein: »Rojava ist der Ort einer der wichtigsten sozialen Bewegungen unserer Zeit. Hier bauen die Menschen eine alternative Gesellschaft auf, basierend auf Antikapitalismus, Demokratie und Feminismus«, brachte sie das Selbstverwaltungsgebiet im Norden Syriens ins Spiel. Dort werde »in der Praxis gezeigt, dass eine andere Welt möglich ist«. »Die kurdische Revolution kann eine wichtige Quelle der Inspiration für die globalen sozialen Bewegungen sein, so wie ihre Erfahrungen eine wichtige Inspiration für die Weiterentwicklung unserer Revolution sind«, sagte Çiçek und plädierte dafür, das nächste Weltsozialforum in der vorrangig von Kurden bewohnten Stadt Amed (Diyarbakır) im Südosten der Türkei zu veranstalten.
Den Geist des Weltsozialforums wecken. Von Florian Wilde, Junge Welt, 31.3.2015