Eine kritische Geschichte der SWP.
Die britische Socialist Workers Party (SWP) hat etliche Marxisten der jüngeren Generation, auch in Deutschland, stark geprägt. Sean Matgamna bietet in seiner 2013 geschriebenen Studie eine sehr kritische und keineswegs unvoreingenommene Geschichte dieser Partei: Der Autor ist Guru einer ziemlich obskuren post-trotzkistischen Organisation, der Alliance for Workers Liberty (AWL), und war zwischen 1968-71 selbst Mitglied der SWP gewesen. Erwartbar negativ ist diese Einschätzung eines Konkurrenten. Aber dennoch nicht ganz uninteressant.
Matgamna unterteilt die Geschichte der Vorläuferorganisationen der SWP – zunächst SR (Socialist Review), dann IS (International Socialists) – in sieben Phasen bis zur Gründung der SWP 1976 ein, die er einzeln und teils durchaus detailliert darstellt, während dann die Geschichte der SWP selbst nur kursorisch behandelt wird. Er bemüht sich, mit einigen „Mythen“ der SWP-Geschichte aufzuräumen. Gesondert diskutiert er einige Aspekte der SWP-Tradition, bspw. Fragen innerparteilicher Demokratie, die Rolle der revolutionären Partei und das Verhältnis von Agitation und Propaganda.
Er erzählt die Vorgeschichte der SWP stark aus ihrem Spannungsverhältnis zur lange dominierenden Strömung des britischen Trotzkismus um Gerry Healy (The Club/SLL/WRP) heraus. So habe sich Tony Cliff mit seiner SR-Gruppe vor allem deshalb Ende der 1940er von Healys Organisation getrennt, weil ihnen Healys schon damals sehr autoritärer Stil zuwider war. Zwar habe die SR- und später IS-Gruppe immer schon auch selbst kultische Züge rund um die Cliffsche Familie – Tony, Frau Chanie Rosenberg, Schwager Michael Kidron und weitere – getragen. Aber ihr Charakteristikum sei doch lange eine recht lebendige und demokratische Organisationskultur gewesen. Um sich vom immer regideren „Building the Party“- und „Selling the Paper“-Leninismus der weitaus größeren und autoritär geführten SLL/WRP Healys abzugrenzen, habe SR/IS in den späten 50er Jahren eine libertäre Wende hin zu einem eher luxemburgistischen Politikmodell und Selbstverständnis vollzogen.
SR/IS arbeiteten damals in der Labour-Party. Bis Ende der 50er waren sie nur auf ein Grüppchen von 20 Leuten angewachsen. In den 60ern wuchsen sie auf 200 an und verließen die Labour-Party. 1968 explodierte die Organisation dann auf 1000 Mitglieder, und verdoppelte sich bereits um 1970 noch mal auf über 2000.
1968 leitete Cliff eine leninistische Wende ein, einerseits, um die wachsende Organisation handlungsfähiger zu machen, andererseits aber, so Matgamna, weil die WRP sich zwischenzeitlich in eine krasse sektiererische Selbstisolation begeben hatte, als Hauptkonkurrentin ausfiel und daher die eigene Existenz nicht mehr „luxemburgistisch“ in Abgrenzung zu ihr gerechtfertigt werden musste. Im Zuge der „leninistischen Wende“, die schließlich in die Gründung der SWP als Partei mündete, sei die anfangs so ausgeprägte innenorganisatorische Demokratie und Pluralität gegen starke Widerstände immer stärker zurückgedrängt und verschiedene oppositionelle Strömungen sukzessive ausgeschlossen worden. Schließlich wäre die SWP der Tradition Healys in vielen Punkten – autoritäre und sakrosankte Führung mit Elementen des Personenkults, Fetischisierung von „Building the Party“, Fetischisierung von „Selling the Paper“, Fetischisierung von hauptamtlichen Organizern und Parteiapparat, mangelnde parteiinterne Demokratie, messianische Verabsolutierung der eigenen Weltsicht, permanenter Krisen-Alarmismus – immer ähnlicher geworden. Ein Traum des SWP-ZK blieb, was Healys WRP sich verwirklichen sollte: eine Tageszeitung. Aber die WRP implodierte 1985, als jahrelanger sexueller Missbrauch von Genossinnen durch den Guru Healy ans Licht kam, und spielt seit dem keine Rolle mehr.
Wenig überraschend fokussiert Matgamna voll auf Schwächen der SWP und ihrer Vorläufer, und schenkt ihren Stärken keine Beachtung. Ohne diese Stärken kann man aber kaum erklären, dass sich die SWP in den 1990ern zu einer der weltweit stärksten und am dynamischsten wachsenden Organisationen der revolutionären Linken überhaupt entwickelte, zehntausende Menschen weltweit mit marxistischen Ideen in Kontakt brachte, einen auch nach Verlassen der Organisation oft erstaunlich zähen und umtriebigen Kader hervorbrachte und eine zentrale Rolle in den antifaschistischen Bewegungen in Großbritannien in den 70ern und in der Antikriegsbewegung der 00er Jahre sowie in der konkreten Unterstützung unzähliger Arbeitskämpfe spielte. Der Leser würde gerne mehr über die SWP und weniger über die angebliche Richtigkeit der jeweiligen Politik der AWL Matmagnas erfahren.
Und doch hat Matgmnas These einer zunehmenden Annäherung des grundlegenden Politikmodells der SWP an das der WRP durch die jüngeren Ereingisse einiges an Plausibilität gewonnen. Denn ähnlich der WRP – wenn auch auf weniger desaströse Weise und infolge weitaus weniger monströser Vorfälle – implodierte auch die SWP, als 2013 ein sexueller Übergriff durch ein führendes Mitglied Seitens der Führung zunächst vertuscht wurden und dann zu einer Spaltung der Organisation führen, deren Organisationskultur keine Kritik an oder gar Abwahl der Führung kannte, die sich diskreditiert und um das Vertrauen vieler Mitglieder gebracht hatte. Frappierend ähnliche Ereignisse hatten 2001 bereits zur Spaltung der deutschen SWP-Schwersterorganisation Linksruck und 2019 dann zur Auflösung der amerikanischen ex-Schwersterorganisation ISO geführt. Probleme mit innerparteilicher Demokratie und eine Überhöhung der politischen Führung scheinen daher tief in die DNA des SWP-Politikverständnisses eingeschrieben.
Als Kontrast zu offiziellen SWP-Geschichtsschreibung schon ein recht interessantes, aber auch mit großer Vorsicht zu lesendes Büchlein, dass es als Kindle für 1 Euro zu kaufen gibt.