Ernst Meyer, Weggefährte Rosa Luxemburgs in der Weltkriegszeit und sein Kampf um ihr Erbe in der KPD. Von Florian Wilde. In: Rosa Luxemburg. Ökonomische und historisch-politische Aspekte ihres Werkes, Internationale Rosa-Luxemburg-Gesellschaft in Tokio, April 2007, und Berlin, Januar 2009, Berlin 2010.
1. Meyer als Weggefährte Luxemburgs im Ersten Weltkrieg
Ernst Meyer stieß noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu dem Kreis linksradikaler Sozialdemokraten um Rosa Luxemburg. Als 21jähriger Student war er 1908 in Königsberg in die SPD eingetreten, zog bald nach Berlin und kam 1912 oder Anfang 1913 als Wirtschaftsredakteur zum „Vorwärts“.
Meyer wohnte in Steglitz und damit in unmittelbarer Nähe von Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Wilhelm Pieck, den Dunckers und anderen radikalen SPD-Linken. Auch sozial stieß er bald zu diesem Kreis: Noch vor Kriegsausbruch war er regelmäßiger Teilnehmer der „Eisbrecherrunde“, einer Kneipenrunde um den greisen Franz Mehring. Dieser sollte bald zu Meyers engster Bezugsperson in der entstehenden Spartakusgruppe werden. Wie eng der persönliche Kontakt zwischen Meyer und Luxemburg war, lässt sich nicht genau ermitteln. Immerhin schrieb sie dem erkrankten Meyer schon 1914 eine Karte, in der sie sich nach seinem Gesundheitszustand erkundigte. Und in der Vorstellung selbst seiner schärfsten Gegnerin in der KPD, Ruth Fischer, war er der „Freund und Schüler Rosa Luxemburgs.“ Politisch waren die Kontakte zwischen der herausragenden Führungsfigur der Linken und dem jungen, radikalen Redakteur sehr eng.
So war Meyer bereits an jenem denkwürdigen Abend des 4. August 1914 dabei, als in der Wohnung Luxemburgs die Kerngruppe des Spartakusbundes schockiert über die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten zu Beratungen zusammenkam. Es war dies, wie er später schrieb, die eigentliche Geburtsstunde der KPD. Von Anfang an gehörte er zur politischen Führung der sich allmählich formierenden „Gruppe Internationale“, des späteren Spartakusbundes. 1915 und 1916 nahm er bereits als einer von zwei Vertretern der Gruppe an den internationalen Konferenzen sozialistischer Kriegsgegner in Zimmerwald und Kienthal teil. Auch der Name „Spartakus“ für die illegale Zeitschrift der Gruppe, der bald zum Namen der ganzen Organisation wurde, ging auf einen Vorschlag Meyers zurück.
An dem Prozess der endgültigen Trennung der radikalen von den zentristischen Linken in der SPD war Meyer intensiv beteiligt. Als Vorwärts-Redakteur stand er mit verschiedenen Exponenten dieses Flügels wie Rudolf Hilferding und Heinrich Ströbel in engem Kontakt, Hugo Haase, SPD- und dann USPD-Vorsitzender und führende Figur der gemäßigteren Linken, war ihm bereits aus Königsberg bekannt. Endgültig vollzogen wurde die Trennung mit der Herausgabe eigener „Leitsätze“ durch die „Gruppe Internationale“ Anfang 1916, an der Meyer direkt beteiligt war. Eine gewisse reichsweite Bekanntheit erlangte Meyer durch seine Entlassung beim „Vorwärts“ am 15. April 1916. Sie war eine Art politischer Skandal, der einige Medienaufmerksamkeit bis in die bürgerliche Presse bekam. Denn Meyer weigerte sich, die Entlassung zu akzeptieren, und wurde dabei von der Press-Kommission der Berliner SPD und der Mehrheit der „Vorwärts“-Redakteure unterstützt. Der Parteivorstand hielt an der Entlassung fest, Meyer arbeitete aber trotzdem weiter in der Redaktion mit. Der Streit zog sich über sechs Wochen hin, schließlich musste der Parteivorstand einen Polizisten vor Meyers Büro im „Vorwärts“ postieren, um ihm von der Redaktion fernzuhalten. Anlass der Entlassung war ein Flugblatt gewesen, dass Meyer zusammen mit Rosa Luxemburg verfasst hatte: Die „Lehren des 24. März“.
Die direkte Zusammenarbeit mit Rosa Luxemburg wurde in der Kriegszeit häufig durch die jeweiligen Gefängnisaufenthalte der beiden erschwert. Aber auch aus dem Gefängnis heraus wurden sogar persönliche Schreiben ausgetauscht: Als Mehring und Meyer, die Zelle an Zelle im Gefängnis Alt-Moabit saßen, ein scherzhaftes Gedicht an Marta Rosenbaum schrieben, dichtete Luxemburg eine Replik darauf, die sie den beiden sandte.
Als ein großer Teil der Spartakus-Führung in Gefängnis saß, übernahm der inzwischen aus der Haft entlassene Meyer zeitweise die Leitung des illegalen Apparates der Gruppe und war Herausgeber der Spartakusbriefe. In dieser Funktion hatte er einen bemerkenswerten Zusammenstoß mit Luxemburg: Als er im September 1918 ihren Artikel „Die russische Tragödie“, der sich kritisch mit der Politik der Bolschewiki auseinandersetzte, in den „Spartakus-Briefen“ veröffentlichte, versah er ihn mit einem kritischen Kommentar. Er verwies darauf, dass die von Luxemburgs skizzierten Schwierigkeiten „aus der objektiven Lage der Bolschewiki, nicht aus ihrem subjektiven Verhalten entspringen.“ Luxemburg war not amused und schrieb einen noch schärferen Artikel gegen die Politik der Bolschewiki. Meyer gelang es schließlich zusammen mit Paul Levi, Luxemburg zu überzeugen, diesen Artikel zurückzuziehen.
Dieser Vorgang wirft ein bezeichnendes Licht auf die demokratischen Umgangsformen in der Keimzelle des deutschen Kommunismus. Zurecht konstatierte Ottokar Luban schon vor fast 40 Jahren diese „Haltung der völligen Gleichberechtigung in jeder Meinungsäußerung“ in der Gruppe.
Die Novemberrevolution legalisierte die Arbeit der Spartakisten und befreite Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis. In Berlin angekommen, übernahm sie von Meyer die Chefredaktion der „Roten Fahne“, die unter seiner Leitung am 9. November erstmals erschienen war und in den besetzten Räumen des rechtsstehenden „Berliner Lokal-Anzeigers“ gedruckt wurde. Meyer und Luxemburg wohnten in den Tagen nach dem 9. November – ebenso wie Liebknecht und Levi – im Hotel „Exelsior“ am Anhalter Bahnhof. Dort fand am 11. November die erste legale Konferenz der sich nun „Spartakusbund“ nennenden Organisation statt, die dort auch ihre neue Zentrale wählte. Ihr gehörten Luxemburg wie Meyer an. Als die „Rote Fahne“ nach ihrer Vertreibung aus den besetzten Redaktionsräumen wieder erscheinen konnte, setzte Meyer seine Tätigkeit in der von Luxemburg geleiteten Redaktion fort. Den Gründungsparteitag der KPD eröffnete Meyer mit einem historischen Rückblick auf die in der Wohnung Luxemburgs begonnene Geschichte des deutschen Kommunismus. Der Parteitag wählte neben Luxemburg auch Meyer wieder in die Zentrale. Die letzte nachweisbare Begegnung der beiden ist die Zentrale-Sitzung am 8. Januar 1919, während des Berliner Januaraufstandes.
Meyer entging mit Glück dem Schicksal, dass viele seiner engsten Freunde und Genossen in den folgenden Tagen und Wochen traf: Luxemburg, Liebknecht und bald auch Leo Jogiches und Eugene Leviné wurden ermordet. Franz Mehring starb aus Gram über den Verlust seiner besten Genossen. Es war diese folgenschwere Schwächung der Führung des jungen deutschen Kommunismus, die den ebenfalls noch sehr jungen Meyer so früh eine zeitweise herausragende Rolle in der KPD spielen ließ, zumal nachdem Paul Levi 1921 aus der Partei ausgeschlossen worden war.
2. Meyers Kampf um ihr Erbe in der KPD
2.1 Die Stellung Meyers in der KPD
Von der Gründung der KPD bis Anfang 1923 – mit einer kurzen Unterbrechung – in der Führung, wurde Meyer im Sommer 1921 faktisch Parteivorsitzender. Auf dem Leipziger Parteitag 1923 nicht wieder in die Zentrale gewählt, übernahm er weiterhin wichtige Parteiaufgaben. Unter der ultralinken Fischer-Maslow-Zentrale wurde Meyer nach dem Frankfurter Parteitag 1924 zum Führer der Opposition in der KPD, kehrte 1926 wieder in die Parteileitung zurück und avancierte zeitweise zum neben Thälmann wichtigsten Parteiführer. Als unbedingter Anhänger der Einheitsfronttaktik und Verteidiger der Notwendigkeit innerparteilicher Demokratie stand er in Opposition zur erneuten ultralinken Wende und zur zunehmenden Stalinisierung der KPD. An den Rand der Partei gedrängt, starb Meyer am 2. Februar 1930.
2.2 Für Einheitsfront und innerparteiliche Demokratie
Nach dem Ausschluss Levis wurde Meyer – neben Paul Frölich – zum wichtigsten Verteidiger des Erbes Luxemburgs in der KPD. Unermüdlich verteidigte er zwei zentrale Elemente von Luxemburgs politischen Denken: Die Notwendigkeit von Demokratie und Diskussionsfreiheit in der Partei und die Notwendigkeit der Gewinnung der Massen für den Kommunismus als Voraussetzung einer Revolution. Beide Aspekte sollen hier kurz angerissen werden, um anschließend auf Meyers geschichtspolitischen Auseinandersetzungen um Luxemburgs Erbe zu fokussieren.
Unter Meyers Parteivorsitz wurde 1921/22 eine umfassende innerparteiliche Demokratie gewahrt, er selbst trat immer wieder entschieden für ihre Notwendigkeit ein. Auch aus der Opposition heraus trat er nachdrücklich für sie ein. In dem Brief, den er, Frölich und Karl Becker an den 10. Parteitag der KPD 1925 richteten, forderten sie gleich als ersten Punkt der von ihnen als Notwendig erachteten Maßnahmen „offene Diskussionen“, weiterhin eine Rückkehr zur „Wahl der Funktionäre durch die Mitglieder“. Es müsse „Schluss gemacht werden mit der Methode der Maßregelung von Funktionären, lediglich weil sie in den Diskussionen Kritik an der Politik der Partei üben.“ Ausgeschlossene Genossen müssten wieder aufgenommen werden, wenn sie auf dem Boden der Partei stehen.
In der Frage der Einheitsfrontpolitik, deren zentraler Protagonist Meyer seit 1921 war, knüpfte er an das von Luxemburg entworfene Parteiprogramm der KPD an, in dem es heißt:
„Der Spartakusbund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren, unzweideutigen Willen der proletarischen Masse in ganz Deutschland, nie anders als Kraft ihrer bewussten Zustimmung zu den Ansichten, Zielen und Kampfmethoden des Spartakusbundes.“ Mit Hilfe der Einheitsfront sollten proletarische Mehrheiten für den Kommunismus gewonnen werden. Kerngedanke war dabei, dass sich die Massen vom Einfluss der SPD nur dann lösen würden, wenn sie in außerparlamentarischen Kämpfen einerseits die Erfahrung kollektiver Stärke in gemeinsamen Aktionen mit der KPD machten und andererseits praktisch die Unfähigkeit der SPD, Arbeiterinteressen konsequent zu vertreten, erfuhren. Zu diesem Zweck müssten die Kommunisten auch durch Abkommen mit den Spitzengremien reformistischer Organisationen zur Durchsetzung sehr begrenzter Ziele einen Rahmen schaffen, in dem sich die radikalisierende Dynamik von Klassenkämpfen entfalten kann. Die Hoffnung war dabei immer, dass die Dynamik der Kämpfe diese rasch über begrenzte Forderungen hinaustreiben und auch den Rahmen parlamentarischer Politik sprengen würde. Die Einheitsfront stand für einen Ansatz kommunistischer Realpolitik in nicht-revolutionären Zeiten unter Wahrung der revolutionären Perspektive der Partei, keineswegs für den Übergang auf reformistische Positionen. Die Einheitsfrontpolitik war, wie Meyer formulierte, die praktische Seite des Problems, „mit welchen Mitteln und unter welchen Losungen die Kommunisten aller Länder am raschesten und am erfolgreichsten zum Ziele der Verwirklichung des Kommunismus gelangen“. Für Meyer ging es immer um eine „revolutionäre Einheitsfronttaktik,“ worunter er eine „Taktik der Eroberung der Massen unter voller Wahrung des Charakters der Partei“ verstand.
Für Meyer und seine Genossen war eben das wirkliche Politik im Geiste Lenins und Luxemburgs: Eine strategische Ausrichtung auf die Gewinnung der Massen für den Kommunismus mittels der Einheitsfrontpolitik bei gleichzeitiger Garantie der innerparteilichen Demokratie und Diskussionsfreiheit.
2.3 Meyer in der geschichtspolitischen Auseinandersetzung um den „Luxemburgismus“
Mit der – in der historischen Rückschau als beginnende Stalinisierung der KPD zu verstehenden – Bolschewisierung der KPD unter der „ultralinken“ Führung um Ruth Fischer und Arkadij Maslow 1924/25 begann ein „Frontalangriff gegen das gesamte Erbe Rosa Luxemburgs“. Ruth Fischer verglich Luxemburgs Ideen mit einem Syphilis-Bazillus. Aber auch die Tradition des Spartakusbundes wurde nun diffamiert. So versuchte Ernst Schneller 1925, die Anfänge der kommunistischen Bewegung in Deutschland als „Abart des Menschewismus“ darzustellen, die es auf dem „Weg zur leninistischen, zur bolschewistischen Partei“ zu überwinden gelte.
Der Führung um Fischer und Maslow warf Meyer unverhohlen eine „Fälschung der Geschichte unserer Partei“ vor. In einem Brief an das EKKI nannte Meyer auch den Grund dafür: Die Zentrale „zerstört systematisch die revolutionäre Tradition in der deutschen Arbeiterschaft, wie sie in der Geschichte des Spartakusbundes trotz aller Mängel aufgespeichert ist, weil sie keine Tradition auf diesem Gebiet aufzuweisen hat.“
Wenn Meyer die Legitimität, die Bedeutung und Errungenschaften Luxemburgs und des Spartakusbundes verteidigen wollte, musste er in erster Linie ihre Geschichte in der Partei bekannt machen. Denn er musste entsetzt feststellen, dass „viele der jetzigen Kritiker des Spartakusbundes keinerlei Kenntnisse der Parteigeschichte“ hätten. „Auch geschichtliche Fragen haben natürlich ihre aktuelle politische Bedeutung. Es ist daher für die gegenwärtige und zukünftige Arbeit der Partei nicht gleichgültig, wie man die Vergangenheit der Partei bewertet. Die Voraussetzung der Beurteilung einer politischen Situation sollte allerdings ihre Kenntnis sein.“ Die Geschichte des Spartakusbundes bekannt zu machen und ihre revolutionäre Legitimität zu verteidigen wurde eine von Meyers vordringlichsten Aufgaben in diesen für ihn politisch so schwierigen Jahren 1924/25, eine Aufgabe, an der er auch festhielt, als sich der innerparteiliche Wind vorübergehend wieder zu seinen Gunsten drehte.
Meyer begann ab dem Sommer 1924 mit der Publikation von Artikeln zur Parteigeschichte und von bisher unveröffentlichten Dokumenten aus der Frühzeit des Kommunismus, nachdem er bereits in den Jahren zuvor mit einzelnen Artikeln über Rosa Luxemburg und den Spartakusbund an die Öffentlichkeit getreten war : Am 10. Jahrestag des 4. August 1914 erschien ein Artikel Meyers zur Gründung des Spartakusbundes in einer Gedächtnisnummer der illustrierten Zeitschrift „Die Revolution“. Kurz darauf veröffentlichte er das von im und Mehring im Gefängnis geschriebene Gedicht „Die Kognakkirschen“ und eine ebenfalls in Versform verfasste Antwort Luxemburgs. 1925 erschienen ein Portrait Marchlewskis , Artikel über Leviné und die Münchener Räterepublik , eine kurze Studie zur Betriebszellenarbeit des Spartakusbundes sowie von ihm eingeleitete Dokumentationen einzelner Briefe und Schriften Luxemburgs und Liebknechts. Meyers Artikel hatten dabei selbst eine „aktuelle politische Bedeutung“. Tjaden drückt es so aus: Es ging nicht nur um eine „adäquate Beurteilung der historischen Rolle der deutschen radikalen Linken und es Spartakusbundes im Weltkrieg“, sondern auch „um die Rettung jener Züge des politischen Denkens Rosa Luxemburgs für die deutsche Arbeiterbewegung, die – wie die Bestimmung des Verhältnisses von revolutionärer Partei zur Arbeiterklasse – zur Bolschewisierungsideologie der Internationale im Widerspruch standen.“ Meyer agierte mit seinen Veröffentlichungen zugleich als Historiker und Politiker, seine historischen Bezüge dienten ihm auch zur Legitimierung seiner aktuellen politischen Linie. Im Gegensatz zu vielen seiner Gegner war er dabei allerdings sichtlich um eine ehrliche und objektive Darstellung der Fakten bemüht, aus denen er dann seine politischen Schlüsse zog.
Ein Beispiel dafür ist sein Artikel „München 1919“. In einer Situation, in der die Parteiführung Rosa Luxemburg ständig ihre angeblichen „Fehler“ vorhielt, schrieb er: „Sind damals gar keine Fehler gemacht worden? Was sind überhaupt >FehlerLuxemburgismus<“ getrieben wurde. Damit war nicht gemeint, dass die Ultralinken eine Politik in der Tradition Luxemburgs verträten, sondern dem von ihnen mitgeschaffenen Konstrukt des „Luxemburgismus“ in der Praxis selbst am nächsten kämen.
Meyers historische Aufsätze von 1924/25 stehen im direkten Zusammenhang mit seinem Kampf gegen die ultralinke Parteiführung. Diese versuchte Meyer daher bei seinen Publikationen allerhand Steine in den Weg zu legen, den Abdruck seiner historischen Artikel zu verschleppen oder sogar zu verhindern. In verschiedenen Briefen an die betreffenden Stellen protestierte Meyer dagegen.
Insgesamt war die Haltung der linken Zentrale gegenüber Rosa Luxemburg durchaus auch ambivalent: bei aller scharfen Polemik gegen den „Luxemburgismus“ wurde Luxemburg als Märtyrerin weiterhin verehrt. Diese Ambivalenz drückte sich auch im Umgang der linken Führung mit Meyer aus: Einerseits wurden er und seine politischen Vorstellungen bekämpft und seine historischen Arbeiten behindert, andererseits kam die Führung nicht umhin, ihn als versierten Kenner der Parteigeschichte in die Gedenkarbeit punktuell mit einzubeziehen.
Meyers Oppositionsarbeit auf dem Gebiet der Parteigeschichte und der Rehabilitierung Luxemburgs muss als insgesamt erfolgreich gewertet werden. Mit dem Sturz der Fischer-Maslow-Zentrale endete die Periode der Diffamierung Luxemburgs und der Spartakustradition (die nach der erneuten ultralinken Wende der KPD 1928/29 allerdings wieder aufgenommen wurde). Die innerparteiliche Demokratie wurde vorübergehend weitgehend wieder hergestellt, die Publikationsmöglichkeiten für Meyer verbesserten sich massiv. Er war nun ein anerkannter Parteihistoriker. Zum Jahrestag der Ermordung von Luxemburg und Liebknecht erschien die „Rote Fahne“ am 15.01.26 mit einem großen Leitartikel Meyers, und auch der Gedenkartikel in der „Inprekorr“ an diesem Tag stammte aus seiner Feder.
Die Zeit seit dem Frankfurter Parteitag hatte ihn gelehrt, wie wichtig eine Verbesserung der Kenntnisse der Parteigeschichte und überhaupt geschichtspolitische Arbeit in der KPD war.
Daher arbeitete er im Sommer/Herbst 1925 mit Hochdruck an weiteren Veröffentlichungen zu historischen Themen. Im Oktober konnte er der Partei folgende Werke zur Veröffentlichung anbieten:
– Eine Geschichte des Spartakusbundes bis zur Verschmelzung mit der USPD 1920 mit einem dokumentarischen Anhang;
– Einen Neudruck sämtlicher Spartakusbriefe mit einer historischen Einleitung;
– Eine Neuausgabe von Luxemburgs Junius-Broschüre sowie der Thesen der Spartakusgruppe mit einer Einleitung zur Entstehungsgeschichte und dem Briefwechsel zwischen Luxemburg und Liebknecht zur ersten Fassung der Thesen. Im Anhang sollte außerdem Luxemburgs Text „Entweder – Oder“ zur Verteidigung der Thesen gegen Ledebour und Hoffmann und ein Aufsatz von Lenin über die Junius-Broschüre erscheinen.
– Die Flugblätter des Spartakusbundes aus der Kriegszeit mit einer historischen Einleitung
– Sämtliche Werke Karl Liebknechts (mit der Meyer im Sommer 1924 von der Zentrale beauftragt worden war) mit einer umfangreichen Biographie Liebknechts und Einleitungen zu den einzelnen Kapiteln.
Von diesen bereits weitgehend fertiggestellten Arbeiten erschienen allerdings nur zwei in Buchform: Zum einen 1926 die Spartakusbriefe , zum anderen der Band „Spartakus im Kriege“ . Weitere Veröffentlichungen Meyers zu historischen Themen folgten in den folgenden Jahren.
Auch wenn er die revolutionäre Legitimität Luxemburgs entschieden verteidigte, trat er doch nie als ein dogmatischer Verteidiger der Richtigkeit aller ihrer Positionen auf. Im Gegenteil: Fern von jeder Hagiographie schrieb Meyer anlässlich der posthumen Veröffentlichung der von Rosa Luxemburg im Gefängnis geschriebenen kritischen Notizen zur Politik der Bolschewiki durch Paul Levi 1922 den Artikel „Rosa Luxemburgs Kritik der Bolschewiki“. In allen damals von Luxemburg an den Bolschewiki kritisierten Punkten verteidigte Meyer die russische Position. Dem lag keine opportunistische Schwankung Meyer zugrunde. Bereits 1917 hatte er die Position Luxemburgs nicht geteilt. Meyers Kritik war eine solidarische, die bestimmte Positionen Luxemburgs aus ihrem historischen Kontext erklärte. Weder als Theoretikerin, noch als Politikerin wurde sie damit herabgesetzt. In bester Tradition offener Debatten unter Marxisten setzte sich Meyer mit ihr kritisch auseinander. Diesem Ansatz blieb er auch in den Zeiten wüstester Hetze gegen den „Luxemburgismus“ treu.
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