(junge Welt)
Algerien: Das System schlägt zurück.
Freilassung von Oppositionspolitikerin Louisa Hanoune abgelehnt. Ihre Partei vermutet Vergeltung für Beteiligung an Protesten. Von Florian Wilde.
Mit der Inhaftierung erhöht das algerische Militär den Druck auf die zivile Opposition, die mit wochenlangen Massenprotesten den Rücktritt von Präsident Abdelaziz Bouteflika erzwungen hatte und nun auf eine demokratische Erneuerung des Landes drängt. Zugleich wird mit Hanoune eine mögliche Kandidatin der für den 4. Juli anberaumten Präsidentschaftswahl ausgeschaltet.
Hanoune ist seit der Legalisierung politischer Parteien in Algerien 1990 Vorsitzende der trotzkistischen Arbeiterpartei (PT). Zuvor hatte sie sich für deren illegale Vorläuferorganisation engagiert und saß in den 1980er Jahren mehrfach im Gefängnis. Die PT spielt im politischen Leben Algeriens durchaus eine gewisse Rolle: Bei den Parlamentswahlen im Mai 2017 errang sie elf der 462 Sitze im Parlament, bei den Wahlen 2012 waren es 24 gewesen.
Bekannt wurde Hanoune über die Grenzen Algeriens hinaus, als sie 2004 als erste Frau überhaupt in einem arabischen Land bei einer Präsidentschaftswahl kandidiert hatte. Auch in den folgenden Jahren forderte sie Bouteflika heraus. 2009 belegte sie hinter ihm den zweiten Platz – mit 4,2 Prozent der Stimmen. Bei dieser Wahl, die nach Auffassung vieler Beobachter gefälscht worden war, kam der damalige Amtsinhaber auf mehr als 90 Prozent der Stimmen.
Linke Kritiker warfen der Arbeiterpartei wiederholt mangelnde Distanz zum Bouteflika-Lager vor, als dessen pseudodemokratisches Feigenblatt sie dienen würde. Allerdings beteiligten sich Hanoune und die PT im Frühjahr an den Massenprotesten gegen den Präsidenten. In dieser aktiven Unterstützung vermutet das Politbüro der PT daher auch den eigentlichen Grund für die Inhaftierung der Vorsitzenden: »Wenn Louisa Hanoune Verschwörung gegen das Regime vorgeworfen wird, dann erklären wir: Wir sind alle gegen das Regime und wollen es so schnell wie möglich überwinden.«
In Algerien haben sich die ebenfalls trotzkistische Sozialistische Arbeiterpartei (PST) und die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) der PT-Kampagne für Hanounes Freilassung angeschlossen. In Frankreich wird in einem von linken Politikern, Intellektuellen und Gewerkschaftern initiierter Aufruf ihre Freiheit gefordert. Zu den Unterzeichnern gehören Jean-Luc Mélenchon von »La France insoumise«, der Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes CGT, Philippe Martinez, sowie der Vorsitzende der Menschenrechtsliga, Henri Leclerc. Auch der ebenfalls inhaftierte ehemalige brasilianische Präsident Luis Inácio Lula da Silva ließ eine Erklärung verbreiten, in der er sich für Hanoune einsetzt. Aus Deutschland sind prominente Solidaritätsbekundungen bislang wenig bekannt. Aber auch hier formiert sich eine Solidaritätskampagne.
In: junge Welt, Ausgabe vom 27.05.2019, Seite 7