G20: Neoliberale Agenda entlarven

Foto: Fabian Bimmer / Reuters (aus jW)

(jW) Neoliberale Agenda entlarven.

Der G-20-Gipfel ist eine Herausforderung für Protestbewegung: Das Staatenbündnis ist heterogen. Es lässt sich aber trotzdem politisch angreifen.

Von Florian Wilde, in: junge Welt, 08.04.17.

Wenn Anfang Juli die Staatschefs der »führenden Industrie- und Schwellenländer« sowie Vertreter der EU, der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und weiterer Organisationen zum G-20-Gipfel in Hamburg zusammenkommen, dürften sie mit beeindruckenden Protesten konfrontiert werden. Ein breites Bündnis hat sich bereits formiert, das von Kirchengruppen und entwicklungspolitischen Initiativen über Parteien wie die Grünen und Die Linke bis zu autonomen Gruppen reicht. Es wendet sich vor allem gegen die fortgesetzte Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben.

Der Hamburger Protest wird keinesfalls nur in Deutschland wahrgenommen werden: Denn an diesem zweiten Juli-Wochenende sind die Kameras von TV-Stationen aus aller Welt auf die Hansestadt gerichtet. Massendemonstrationen gegen die Politik der Gipfelteilnehmer werden daher die Existenz einer antikapitalistischen Linken und eines alternativen gesellschaftlichen Pols weltweit sichtbar machen. Gleichzeitig hat das in den beginnenden Bundestagswahlkampf fallende Spitzentreffen für die deutsche Linke, sowohl für die außerparlamentarische als auch für die Linkspartei, eine besondere Bedeutung.

Denn aus linker Perspektive gibt es viel an den G 20 zu kritisieren: Sie stehen für eine Politik der Bankenrettung durch den Steuerzahler, für eine Fortsetzung der Umverteilung nach oben und für eine reine Wachstumsorientierung, bei der die Klimaschutzziele ins Hintertreffen geraten. Menschenrechte und Meinungsfreiheit sind in vielen der vertretenen Staaten eingeschränkt. Die Übereinkünfte der Gipfeltreffen sind Ausdruck der herrschenden Weltordnung. Die Veranstaltung in Hamburg bietet deren mächtigsten politischen Akteuren eine Bühne. Ihre übergeordnete Aufgabe war und ist es, den neoliberalen Kapitalismus nach der sogenannten Finanzmarkstkrise 2007/2008 zu stabilisieren. Die G 20 sind dabei zu einer zentralen Institution geworden, die das Überleben einer Gesellschaftsformation sichern soll, die die Ursache für Millionen Flüchtlinge, für die Verarmung großer Teile der Weltbevölkerung, für Umweltzerstörung und Kriege ist.

Aufgrund des heterogenen Charakters der G 20 und ihrer relativ unbestimmte Agenda eignen sie sich allerdings nur bedingt für eine spezifische Institutionenkritik, wie sie etwa bei G-8-Gipfeln oder den Jahrestreffen des IWF oder der Weltbank angebracht ist. Trotzdem kann der Widerstand gegen die Machtdemonstration, die mit solchen internationalen Begegnungen verbunden ist, zu einem Kristallisationspunkt für das wachsende Unbehagen mit der neoliberalen Weltordnung werden. Die genannten Probleme müssen von Linken aufgegriffen werden, auf die Fragen müssen sie solidarische Antworten finden und diese mit einer antikapitalistischen Perspektive zu verknüpfen. Dafür sollte aber statt einer Kritik an Institutionen die am Kapitalismus ins Zentrum gerückt werden.

Neben der Chance, Kapitalismuskritik stark zu machen, bietet sich auch die Auseinandersetzung mit einzelnen Akteuren an. Trump hat sein Kommen nach Hamburg angekündigt und wird vermutlich Zehntausende Gegendemonstranten anziehen. Für Proteste angesichts des vorgesehenen Besuchs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan läuft eine umfassende Mobilisierung der kurdischen und linken türkischen Community in Europa an, der sich damit die Gelegenheit bietet, vor den Augen der Welt auf die Zustände in der Türkei aufmerksam zu machen. Trotzdem sollte sich eine linke Mobilisierung nicht auf Personalisierungen beschränken, sondern zugleich die Wirkungsweise des des neoliberalen Kapitalismus thematisieren, der den Aufstieg solcher Machtmenschen fördert – und Möglichkeiten seiner Überwindung aufzeigen.

Denn es ist abzusehen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versuchen wird, sich auch in Hamburg als Gewissen der liberalen Demokratie und als Fels der Vernunft inmitten autoritärer Irrer zu geben. Hier drohen die Protestierenden in eine strategische Falle zu laufen, wenn sie primär als Merkels nützliche Idioten vom Straßenstoßtrupp gegen Trump und Co. wahrgenommen werden. Auch mögliche Ausschreitungen in Hamburg könnten Merkel bei ihrer Selbstinszenierung in die Hände zu spielen, wenn sie es ihr erlauben, sich zwischen rechtspopulistischen Regierungschefs und randalierenden Linksradikalen als letzte Bas­tion der Vernunft zu präsentieren.

Diese strategische Falle wird sich nur umgehen lassen, wenn es den Organisatoren des Protests gelingt, die Breite der ihn tragenden Zusammenschlüsse zu erhalten und sich inhaltlich sowohl gegen autoritäre Staatschefs wie gegen die neoliberale Politik von Bundesregierung und EU-Kommission zu wenden. Eine Möglichkeit wäre, die deutsche Mitverantwortung für das Elend zu thematisieren, das durch Waffenexporte und Freihandelspolitik hervorgerufen und verschärft wird.

Kasten: Zur Funktion der G20

Bereits 1999 gegründet, dümpelten die G 20 lange Zeit im Fahrwasser der mächtigeren G 8 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, USA und Russland) vor sich hin. Erst 2008 fand in Reaktion auf die Finanzkrise ein erster Gipfel der 19 führenden Industrie- und Schwellenländer under der EU als Staatenbund statt. Diese Aufwertung steht für die notgedrungene Anerkennung einer zunehmend multipolaren Weltordnung auch durch die Mitglieder des exklusiven G-8-Klubs – und zugleich für den Versuch einer stärkeren Integration des globalen Südens in die neoliberale Agenda.

Nach der Finanzkrise 2008 spielten die G 20 eine wichtige Rolle bei der Rettung des angeschlagenen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus: durch eine Stabilisierung der Märkte mittels billigen Geldes, mit der Rettung der Banken durch die Steuerzahler und durch eine Verteidigung der Politik des sogenannten Freihandels.

Insgesamt stehen die G 20 für den Versuch, den Kapitalismus zu stabilisieren, ihn auf eine breitere Basis zu stellen und so neu zu legitimieren. Auch als Reaktion auf die Finanzkrise und den daraus resultierenden Vertrauensverlust soll durch stärkere Einbeziehung der Schwellenländer und der sogenannten Zivilgesellschaft eine neue globale Herrschaftsform etabliert werden. Die Entscheidung, G-20-Gipfel wieder in Städten stattfinden zu lassen, ist Ausdruck des Bemühens, der Legitimitätskrise neoliberaler Herrschaft entgegenzuwirken. Die exklusiveren G-8- bzw. G-7-Gipfel hatten zuletzt nur noch in abgelegenen Gebirgsregionen oder auf Inseln stattgefunden.

Der Preis für die Breite ist aber hoch: Die G 20 sind derart heterogen, dass verbindliche Absprachen schwierig zu erzielen sind. Entsprechend unbestimmt bleibt ihre Agenda.

Florian Wilde ist G-20-Kam­pagnen­referent der Hamburger Bürgerschaftsfraktion der Partei Die Linke.

veröffentlich in: junge Welt vom 08.04.2017, Seite 3 / Schwerpunkt.