(Freiheitsliebe)
Der größten palästinensischen Linkspartei PFLP (Volksfront für die Befreiung Palästinas) droht in Deutschland ein Verbot. Angestoßen wurde die Debatte vom Präsidenten des Thüringischen Verfassungsschutzes, Stephan Kramer. Die Verbotsforderung fand bereits breite Unterstützung aus Union, SPD, Grünen, FDP und AfD.
Doch um was für eine Organisation handelt es sich bei der PFLP – und wer würde von ihrem Verbot profitieren?
Dazu bringen wir eine Analyse von Florian Wilde.
Vom Nationalismus zum Internationalismus
Die PFLP ging aus dem linken Flügel des Arab National Movement (ANM) hervor, dass sich in den 1950ern an den Universitäten des Nahen Ostens ausbreitete und zunächst pan-arabische Auffassungen vertrat. Später unterstützte das ANM den ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser und schwenkte auf seinen vage sozialistischen Kurs um. Nach Nassers Niederlage im Sechstagekrieg radikalisierte sich ein Teil der Bewegung in Richtung marxistischer Positionen. Ende 1967 gründeten sich linksradikale Nachfolgeorganisationen des ANM, die sich unter dem Dachverband Arab Socialist Action Party (ASAP) zusammenschlossen, darunter die Communist Action Organization des Libanon, die Volksfront zur Befreiung der Golfregion PFLOAG und die Volksfront zur Befreiung Palästinas, PFLP. Inspiriert vom Kampf des Vietkongs gegen den US-Imperialismus in Vietnam nahmen sie den Aufbau von Guerillaeinheiten in Angriff. Angeführt wurde die PFLP von George Habasch, einem Kinderarzt aus christlich-palästinensischer Familie und Gründungsmitglied des ANM. Die PFLP betrachtet sich als revolutionäre, marxistisch-leninistische und atheistische Organisation. Bis heute tritt sie für einen demokratischen, laizistischen, multiethnischen und sozialistischen Staat auf dem Gebiet des historischen Palästinas ein, der explizit auch jüdischen Menschen Freiheit und Sicherheit bieten soll. Jeden Vorwurf eines Antisemitismus weist sie entschieden zurück.
Die PFLP ging davon aus, dass der Weg zu einer Revolution und Befreiung Palästinas über Revolutionen in den arabischen Nachbarländern erfolgen müsse, deren oft reaktionäre Regime mit dem Westen verbündet waren und jeden entschiedenen Kampf gegen Israel sabotierten. Entsprechend beteiligte sie sich an den gescheiterten Aufständen gegen die Monarchie in Jordanien im »schwarzen September« 1970, und entsprechend eng arbeitete sie mit anderen linken arabischen Untergrundorganisationen zusammen, bildete sie in ihren Lagern aus und versorgte sie mit Waffen.
Nach ihrer Vertreibung aus Jordanien in den Libanon ausgewichen, begann die PFLP weltweit Angriffe auf israelische, US-amerikanische und auch bundesdeutsche Ziele durchzuführen. Schon bald wurde sie durch Flugzeugentführungen weltweit bekannt, brachte den Palästina-Konflikt in die Schlagzeilen und verfügte über Guerillaeinheiten mit mehreren Tausend Kämpfern. Sie verstand die palästinensische Revolution als Teil einer weltweiten Revolution gegen den Imperialismus, durch dessen Schwächung sie auch Israel zu schwächen hoffte. Die PFLP unterstützte daher nicht nur linke Bewegungen im arabischen Raum, sondern wurde zu einem internationalen Knotenpunkt antikolonialer Kämpfe, antiimperialistischer Aktivitäten und revolutionären Bewegungen der 1970er Jahre: Von den Sandinistas Nicaraguas über die Polisario der Westsahara, armenischen Untergrundkämpfern und iranischen Kommunisten bis hin zur PKK wurden Befreiungsbewegungen von ihr trainiert und unterstützt. Aber auch die deutsche RAF und Revolutionäre Zellen, die IRA, ETA und Roten Brigaden erhielten zeitweise Waffen und Ausbildung durch die palästinensische Volksfont, die mit ihren Flugzeugentführungen auch die Freilassung von RAF-Gefangenen in Deutschland zu erzwingen versuchte. Für etliche der deutschen maoistischen Gruppierungen und später für viele Autonome war die PFLP der wichtigste internationalistische Bezugspunkt. Die PFLP-Flugzeugentführerin Leila Chaled wurde zu einer Ikone der Linken der 1970er und 80er Jahre, ihr Konterfei mit Pali-Tuch und Kalaschnikow dürfte nach dem Che Guevaras am zweithäufigsten in linken WGs dieser Zeit anzutreffen gewesen sein. Es war auch ein starkes Symbol für den Kampf der PFLP für die Emanzipation der Frau.
In der Defensive
In der Intifada der 1980er spielte die PFLP noch eine wichtige Rolle in den Protesten auf der Straße. Aber zu Ende des Jahrzehnts geriet sie in eine bis heute anhaltende Defensive. Der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 entzog ihr wichtige Unterstützung und den Bezugspunkt ihrer Sozialismusvorstellungen. Islamisch-fundamentalistische Kräfte begannen, sich stärker in der palästinensischen Gesellschaft auszubreiten und die bisher starke sozialistische Linke zurückzudrängen. Der Aufstieg der Hamas raubte der PFLP auch das Image der radikalsten Kraft im Kampf gegen Israel. Libanesisch-syrische Militäroffensiven nahmen der PFLP die Kontrolle über ihre Flüchtlingslager und ihr Widerstand innerhalb der PLO konnte den Kurs auf das Osloer Abkommen und den Friedensprozess, den die PFLP ebenso wie die Zwei-Staaten-Lösung ablehnte, nicht verhindern. Die gemeinsame Ablehnung des Osloer Abkommens führte nun zu punktuellen Kooperationen mit dessen anderen Gegnerin, der Hamas. Auf der Suche nach neuen Ressourcen wandte sich die Volksfront den in Palästina aktiven NGOs zu, mit entsprechenden Auswirkungen auf den Charakter der Organisation. Ihr Einfluss in der palästinensischen Gesellschaft außerhalb der christlichen Community und Gazas schwand, den alten Kadern fiel es schwer, sich mit der jungen Generation zu verbinden. Auch israelische Militärschläge setzten der Organisation weiter zu: 2001 ermordete Israel den PFLP-Generalsekretär Abu Ali Mustafa, der 1999 den aufgrund von Krankheit zurückgetretenen George Habasch gefolgt war. Als Rache tötete die PFLP einen ultrarechten israelischen Minister, woraufhin Israel den neuen Generalsekretär und PFLP-Parlamentsabgeordneten Achmed Saad entführte und bis heute festhält. Bei den letzten Parlamentswahlen 2006 wurde die Volksfront trotzdem wieder zur stärksten Kraft der palästinensischen Linken, erhielt aber auch nur etwas mehr als 4 Prozent der Stimmen und hat seitdem drei der 132 Parlamentssitze inne. Bis heute ist sie die wichtigste linke Oppositionskraft sowohl gegenüber der korrupten Fatah-Administration von Mahmud Abbas in Ramallah als auch zum islamistischen Regime der Hamas in Gaza.
Befreiungsbewegung oder Terrorgruppe?
Die PFLP ist keine Terrororganisation, sondern eine legitime nationale Befreiungsbewegung und als solche eine seit Jahrzehnten anerkannte politische Kraft des palästinensischen Volkes. Im Exekutivrat der PLO ist sie die Gruppierung mit den nach der Fatah meisten Sitzen und ist im Parlament vertreten. Sie verfügt über ein ganzes Geflecht ihr nahestehender zivilgesellschaftlicher Organisationen, darunter Frauengruppen, Gewerkschaften, Studierendenverbände, Kleinbauernorganisationen und Künstler-Assoziationen. Eine ihrer Hochburgen ist das christliche Bethlehem, besonders stark verankert ist sie im Gesundheitsbereich und an den Hochschulen. Zugleich ist sie Kriegspartei in einem asymmetrischen Konflikt, unterhält einen bewaffneten Arm und hat, wie alle anderen Kriegsparteien inklusive Israels auch, in diesem Konflikt Verbrechen begangen und terroristische Aktionen durchgeführt, darunter auch gegen deutsche Ziele. Allerdings liegen diese Angriffe vier Jahrzehnte zurück und rechtfertigen kein Verbot der PFLP im Deutschland des Jahres 2021. Von der PFLP geht aktuell keinerlei Bedrohung für die Bundesrepublik aus, und die reale Bedrohung für Israel, die von ihrem bewaffneten Arm ausgeht, ist gegenwärtig gering. Da die Organisation Antisemitismus eindeutig ablehnt, ist von ihr auch keine Beteiligung an antisemitischen Ausschreitungen zu erwarten – wohl aber eine Teilnahme an antiisraelischen Demonstrationen. Das Demonstrationsrecht in Deutschland muss aber auch für linke Exil-Organisationen gelten.
Verbot stärkt Hamas
Ein Verbot der PFLP wäre eine reine Gefälligkeitsleistung Deutschlands an Israel, die den objektiven deutschen Interessen nach einer Schwächung der Hamas und fundamentalistisch-islamistischer Kräfte im Nahen Osten sogar entgegenlaufen würde. Denn die PFLP bietet immerhin eine politische Alternative zum Islamismus der Hamas an: Stärkung von Frauen- und Arbeiterrechten und Eintreten für eine plurale und demokratische palästinensische Gesellschaft, in der es auch Platz für die christliche Minderheit und für Atheisten gibt. Ein Verbot der PFLP würde zu einer Schwächung progressiver Alternativen zur Hamas sowohl in Gaza als auch in der Diaspora in Deutschland beitragen und damit den Islamisten in die Hände spielen. Und die Bundesrepublik würde sich eines potenziellen progressiven Gesprächspartners in Palästina berauben.
Ein Angriff auf die Linke
Ein Verbot der PFLP würde, wie bereits das PKK-Verbot, zur Kriminalisierung der politischen Aktivitäten einer migrantischen Community in Deutschland führen, mit aller dazugehörenden Überwachung, Repression, allen Verhaftungen und Gerichtsverfahren. Der Linken in Deutschland würde zugleich eine wichtige fortschrittliche Bündnispartnerin abhandenkommen. Dass dieser Verbotsangriff auf eine Linkspartei ausgerechnet vom Verfassungsschutzpräsidenten des linksregierten Thüringen ausgeht, ist überaus befremdlich. Selbstverständlich kann und soll man die PFLP politisch kritisieren: sei es für gewisse Aktionen, ihre bürokratische Organisationskultur, tendenziell autoritäre Sozialismusvorstellungen oder für ihren opportunistischen Kurs gegenüber dem Assad-Regime. Nichts davon rechtfertigt aber ein Verbot dieser palästinensischen Linkspartei in Deutschland, im Gegenteil: ein legaler Status ist sogar Voraussetzung dafür, kritisch-solidarisch mit der Volksfront diskutieren zu können. Das Verbot der größten linken Palästinenserorganisation wäre ein Angriff auf die gesamte Linke. Nachdem die PFLP jahrzehntelang linke Bewegungen in aller Welt solidarisch unterstützt hat, benötigt sie gegen das drohende Verbot nun selbst die Solidarität linker, demokratischer und fortschrittlicher Kräfte in Deutschland.
Dr. Florian Wilde ist linker Historiker und Aktivist. Er betreibt den Textarchiv-Blog Wilde Texte.
Der Text erschien auf der online-Plattform Freiheitsliebe.