(Rosalux) Hafenromantik adieu.
Aus den Güterhäfen Europas sind menschenleere Marktplätze der Globalisierung geworden. Bericht einer Reise der RLS in die Häfen von Berlin, Duisburg und Rotterdam.
Von Stefanie Kron und Florian Wilde.
Als Orte von Revolutionen und Rebellionen bezeichnen Peter Linebaugh und Marcus Rediker Häfen. So bildeten Seeleute, Hafenarbeiter, Sklavinnen und Sklaven während des 18. Jahrhunderts einen „buntscheckigen Haufen“, schreiben die beiden Sozialhistoriker, der spontane und geplante Rebellionen in englischen und nordamerikanischen, afrikanischen und karibischen Hafenstädten im gesamten atlantischen Raum in Gang setzte. Hierzu gehörten etwa die Streiks und Aufstände von Seeleuten und Hafenarbeitern in Liverpool 1775 sowie den Hafenvierteln in Boston, Newport und Norfolk gegen die so genannte Pressung.[1] Auch in vielen anderen historischen Darstellungen erscheinen Häfen und Hafenviertel als pulsierende, kosmopolitische und oft verwegene Orte, an denen Arbeiter und Arbeiterinnen, Reisende und Geschäftsleute aus der ganzen Welt aufeinander trafen. Heute sind Häfen mehr denn Schnittstellen zwischen nationalen und transnationalen Wirtschaftsräumen. Laut Jörn Boewe, Journalist und Mitorganisator der Reise, ist inzwischen jeder fünfte Arbeitsplatz Teil einer transnationalen Produktionskette.[2] Die rapide Globalisierung der Arbeitsbeziehungen führen zu ihrem schnellen Wandel und hartem Konkurrenzdruck. Zugleich könnte angenommen werden, dass Seeleute und Docker eine besondere strategische Macht besitzen, weil sie auf zentralen Transportwegen sowie Schnittstellen von Logistik und globalen Güterketten beschäftigt sind.
Die Frage nach aktuellen Arbeitsbeziehungen und sozialen Konflikten in der europäischen Hafenwirtschaft und Seeschifffahrt stand daher im Mittelpunkt der Informations- und Vernetzungsreise „Auf umgekehrten Güterwegen. Von Berlin bis an die Küste“. Die Reise wurde vom Arbeitszusammenhang „Organisierung und Solidarität in transnationalen Produktionsketten“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert. Die Route führte die insgesamt 13 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Gewerkschaften, Kunst, Politik, Wissenschaft, NGO- und Stiftungswesen vom 22. und 26. Juni vom Berliner Westhafen, nach Duisburg zum größten Binnenhafen Europas und Rotterdam, einem der zehn größten Seehäfen der Welt. Auf dem Programm standen Gespräche mit Betriebsräten, Gewerkschafterinnen und Dockern sowie geführte Hafenrundfahrten und Diskussionsveranstaltungen zu den Folgen von Privatisierung, Automatisierung, Logistifizierung und Ausflaggung für die Interessen und die Organisierung der Beschäftigten.
Der erste und stärkste Eindruck beim Besuch der drei, ansonsten sehr unterschiedlichen, Hafenstandorte, war ein Abschied von der romantischen Vorstellung pulsierender Orte: Häfen sind heute eher menschenleere Orte, an denen wir neben Schiffen v.a. vielen hochmodernen Anlagen zum Transport, Lagern und Umschichten von Gütern begegneten. Während inmitten der Hafen- und Lageranlagen des Berliner Westhafens, in dem insgesamt 180 Menschen arbeiten, Frau Violeta noch einen Imbiss mit selbst gemachten Buletten und Salaten betreibt, finden sich in den Duisburger Hafenanlagen und dem gigantischen Gelände des Rotterdamer Hafens weder Restaurants oder Bars noch Einkaufsmöglichkeiten. In Rotterdam etwa verlassen die häufig aus Südostasien stammenden Besatzungen auch aufgrund der EU-Einreisebestimmungen ihre Arbeitsplätze, die Containerriesen, während der Ladearbeiten gar nicht. Vielmehr kommen Händler und Ärzte zu ihnen, um sie mit dem Nötigsten für die monatelangen Aufenthalte auf See zu versorgen.
Die Logistifizierung der Hafenarbeit und die Digitalisierung der Logistik verändern derzeit rasant Profile und Bedingungen der Arbeit in den Häfen. Komplett automatisierte Containerterminals wie etwa das nagelneue Maasvlakte II in Rotterdam haben hier Modellcharakter. Während Rotterdam die Verteilerscheibe für Erz, Kohle und Erdöl in Europa ist, funktionieren die Duisburger Häfen, schreibt Christoph Spehr, Journalist aus Bremen und Reiseteilnehmer, in der aktuellen Waterkant, als „Hinterland-Hub, die einen erheblichen Teil der Güter, die in Rotterdam ankommen, auf dem Kontinent verteilt.“[3] Darüber hinaus verfügt Duisburg über eine oft als „neue Seidenstraße“ bezeichnete direkte Güterzugverbindung nach China, was die Stadt zu einer Art chinesischen Nordseehafen macht. Vor allem aber sind die Duisburger Häfen eine Logistikdrehscheibe: die Flächenvermietung an insgesamt etwa 300 private Logistikunternehmen ist eine der wichtigsten Einkommensquellen für die öffentliche Hafengesellschaft DuisPort. Die Mehrheit der 36.000 Beschäftigten, rund 10.000 davon in einem dieser Logistikunternehmen, in den Duisburger Häfen, sowie die etwa 60.000 Menschen, die am Knotenpunkt Rotterdam mit Transport, Umschlag und Verkehrsdienstleistungen beschäftigt sind, sieht man allerdings ebenso wenig wie die Seeleute der Handelsschiffe, die in Rotterdam anlegen. Wo sollten wie sie auch treffen können, wenn es in modernen Hafenanlagen nicht einmal eine Kneipe gibt? Die gewerkschaftliche und betriebliche Organisierung sind demensprechend schwierig und schwach ausgeprägt, Lohndumping und prekäre Arbeitsverhältnisse dagegen an der Tagesordnung. Dazu gehört auch die Praxis zahlreicher Reedereien, ihre Schiffe in Länder auszuflaggen, die niedrigere Sozialstandards aufweisen als viele Industriestaaten.
Eine Ausnahme bildet hier die Arbeit der „Internationalen Transportarbeitergewerkschaft“ (ITF), der auch ver.di angehört. Die von der ITF bereits 1948 gestartete Billigflaggen-Kampagne wendet sich gegen das Sozialdumping auf hoher See durch Ausflaggung.[4] Klaus Schröter ist Leiter der ITF-Billigflaggenkampagne und stand dem Vorbereitungsteam der Reise beratend zur Seite. Er berichtete beim Briefing der Reiseteilnehmer, die ITF habe inzwischen 12.800 Tarifverträge auf Handelsschiffen durchgesetzt. Sie garantieren den Seefahrern unter anderem 1.600 US-Dollar Mindestlohn. Das ist zwar weniger als die Industrieländer zahlen, aber deutlich mehr als auf Schiffen ohne Tarifvertrag üblich. Das wichtigste Durchsetzungsinstrument der ITF ist die Hafenabfertigung: Schiffe ohne Vertrag werden nicht oder zu langsam abgefertigt. Dafür sorgen u.a. Menschen wie Koen Keehnen, Docker in Rotterdam oder Hamani Amadou, ITF-Inspektor im Rostocker Hafen.[5] Die Automatisierung der Hafenarbeit verringert diese strategische Macht und Solidarität der Hafenarbeiter und Seeleute. Dennoch: Der ITF Tarifvertrag für Seefahrer ist das Ergebnis eines erfolgreichen Arbeitskampfes im grenzüberschreitenden Raum. Er hat damit Pioniercharakter für die dringend anstehende Transnationalisierung der gewerkschaftlichen Erneuerungsbewegungen insgesamt.
Stefanie Kron ist Referentin für Internationale Politik der RLS und Leiterin des Projektes „Auf umgekehrten Güterwegen. Von Berlin bis an die Küste“. Florian Wilde ist Referent für gewerkschaftliche Erneuerung.
[1] Gemeint sind Zwangsrekrutierungen. Siehe auch: Linebaugh, Peter/Rediker, Marcus (2008): Die vielköpfige Hydra: Die verborgene Geschichte des revolutionären Atlantiks. Berlin: Assoziation A.
[2] Boewe, Jörn (2016): „Die Drehkreuze blockieren“, in Neues Deutschland vom 21.06.2016.
[3] Spehr, Christoph (2016): „Arbeiten an den Schnittstellen der Globalisierung“, in Waterkant 3(31): 123. S. 8.
[4] URL: www.billigflaggenkampagne.de
[5] Stötzel, Regina (2016): „Roboter streiken nicht“ und Stötzel, Regine/Kron, Stefanie (2016): „Die brauchen die Playstation-Generation“, in Neues Deutschland vom 24./25.09.2016. S. 18-19.
Veröffentlicht in Rosalux 3/2016, S.33f