Historischer Erfolg gegen Neonazis in Dresden

Abgeordnete und Mitglieder der Partei " Die Linke" haengen am Mittwoch, den 20. Januar 2010, Plakate in der Berliner Mitte auf. Die Plakate rufen zum Protest gegen einen Naziaufmarsch in Dresden auf. ND Foto/ Camay Sungu

(SoZ) Mit dem 13.Februar 2010 ist der antifaschistischen Bewegung ein möglicherweise historischer Erfolg gelungen. Die Nazis hatten ihren größten Aufmarsch in der bundesdeutschen Geschichte angekündigt. Über zehntausend Menschen haben diesen Aufmarsch durch entschlossene Massenblockaden zu einem Desaster gemacht.

Die Nazis kamen keinen Meter weit. Das Erfolgsmodell von Dresden bestand in der Kombination aus einem breiten Bündnis und entschlossenen Massenblockaden. Dieses Konzept könnte künftig auch an vielen anderen Orten Nazi-Aufmärsche verhindern.

Der von der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland angemeldete «Trauermarsch» anlässlich der alliierten Bombardierung der Elbmetropole 1945 hatte sich in den letzten Jahren zu einem der größten Aufmärsche der rechtsextremen Szene in Europa entwickelt. Hier trafen sich einmütig die beiden dominierenden Flügel des Neonazi-Spektrums – militante Kameradschaften und um ein bürgerliches Erscheinungsbild bemühte Rechtsextremisten.

Wie nirgendwo sonst gelang es ihnen, dank des in Dresden hegemonialen Opferdiskurses an die Mehrheitsgesellschaft anschlussfähig zu sein. Unwidersprochen konnten die Nazis Kränze beim offiziellen Gedenken niederlegen. Dresdner ohne feste Anbindung an die Nazi-Szene schlossen sich dem Aufmarsch an.
Von städtischer Seite wurde der Aufmarsch lange ignoriert und auf keine Weise ernsthaft behelligt. Die antifaschistischen Gegenmobilisierungen waren jahrelang antideutsch dominiert und dementsprechend schwach. Ihnen gelang es weder eine nennenswerte Zahl von Antifaschisten auf die Straße zu bringen noch den Nazi-Aufmarsch auch nur zu behindern oder den nach rechtsaußen anschlußfähigen Diskurs in Dresden zu wenden.

Die identitäre Selbstdarstellung mittels alliierter Nationalfahnen und «Bomber Harris do it again»-Transparenten war für radikale wie gemäßigte Linke, für gewerkschaftliche wie bürgerliche Antifaschisten gleichermaßen abschreckend. Ein breiter Widerstand gegen den Aufmarsch konnte sich unter diesen Vorzeichen nicht entwickeln.

Das Bündnis «Dresden Nazifrei»
Das Bild begann sich erst 2009 zu ändern. Erstmals gab es da mit «No Pasarán!» ein bundesweites linksradikales Antifa-Bündnis, das wesentlich von Gruppen der Interventionistischen Linken getragen wurde.
Gleichzeitig formierte sich um den Dresdener DGB-Vorsitzenden Ralf Rhon das Bündnis «Geh denken», unterstützt von Gewerkschaften, SPD und Grünen. 2009 gab es noch keine Kooperation zwischen den beiden Mobilisierungen. «No Pasarán!» konnte über 4000 Antifaschisten mobilisieren, dies reichte aber noch nicht aus, um den Nazi-Aufmarsch effektiv zu blockieren. Gleichzeitig war «No Pasarán!» in Dresden zu isoliert, um dem massiven Vorgehen der Polizei gegen die Antifa-Demo politisch wirksam begegnen zu können.

«Geh denken» hingegen konnte ca. 8000 Menschen auf die Straße bringen. Da sie weit ab der Nazi-Route demonstrierten, beeinträchtigten sie den Nazi-Aufmarsch aber in keiner Weise. Trotz der erheblich gestiegenen Zahl antifaschistischer Demonstranten in Dresden war 2009 noch immer ein großer Erfolg für die Nazis: Über 7000 Alt- und Neonazis aus ganz Europa zogen ungestört durch Dresden.

Sofort nach den Demonstrationen 2009 begann man in Antifa-Kreisen zu diskutieren, wie 2010 eine tatsächliche Verhinderung des Nazi-Aufmarschs gelingen könnte. Rasch kam man zu dem Schluss, Aktive aus dem «Geh denken»-Bündnis für eine gemeinsame, konfrontative Strategie zu gewinnen. Um das zu erreichen, waren viele linksradikale Antifas bereit, sich auf einen Aktionskonsens ähnlich dem des «Block G8»-Bündnisses gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 einzulassen, um ein kalkulierbares Szenario gemeinsamer Proteste anbieten zu können.

Nach einer von 250 Menschen besuchten Aktionskonferenz im November 2009 in Dresden entstand das Bündnis «Dresden Nazifrei». Es wurde von im «No Pasarán!»-Bündnis organisierten linksradikalen Gruppen (darunter die Antifaschistische Linke Berlin, Avanti – Projekt undogmatische Linke u.a.), der LINKEN, Die Linke.SDS, Linksjugend Solid, dem Aktionsnetzwerk gegen Rechts aus Jena, Gewerkschaftsjugendverbänden, Jusos, Grüner Jugend und anderen getragen.

Das Bündnis zielte von Anfang an auf eine effektive Verhinderung des Nazi-Aufmarschs durch entschlossene Massenblockaden und konnte sich auf einen an «Block G8» angelehnten Aktionskonsens einigen, der besagte: «Wir leisten zivilen Ungehorsam gegen den Naziaufmarsch. Von uns geht dabei keine Eskalation aus. Unsere Massenblockaden sind Menschenblockaden. Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern.»

So wurde jedem Versuch einer Spaltung über die Gewaltfrage von vornherein der Boden entzogen. Dieser Aktionskonsens sollte sich als ein Schlüssel für den Erfolg von Dresden erweisen: Er machte die geplanten Blockaden transparent und kalkulierbar – auch für Menschen mit wenig Erfahrung mit der Staatsgewalt oder solchen, die zu unübersichtlichen Konfrontationen mit der Polizei neigen. So wurde die Zusammenarbeit jugendlicher Antifas mit älteren Gewerkschaftern in einer kollektiven Aktion möglich.

Die Arbeit reaktionärer Staatsanwälte
Einen unerwarteten Auftrieb bekam die Mobilisierung durch die von der Dresdener Staatsanwaltschaft ausgehende Beschlagnahmung der Plakate von «Dresden Nazifrei» am 19.Januar. Den Aufruf zu Blockaden wertete sie als Aufruf zu Straftaten. Die Folge war eine riesige Welle der Solidarität mit dem Bündnis, dessen Breite sich auch hier als Stärke erwies.

Plötzlich ging es nicht mehr nur um die Nazis in Dresden, sondern auch um eine Verteidigung der Legitimität von Aktionsformen des zivilen Ungehorsams. Die Linke.SDS organisierte für den 21.Januar eine öffentlich angekündigte Protest-Plakatierung in Berlin, an der sich verschiedene MdB der LINKEN beteiligten. Vier junge Plakatierer und die Abgeordnete Dorotheé Menzner wurden dabei festgenommen. Der SDS initiierte daraufhin eine weitere bundesweite, öffentlich angekündigte Plakatierung.

Die Zahl der Unterstützer des Aufrufs von «Dresden Nazifrei» explodierte geradezu: sie schnellte auf 672 Organisationen und über 2400 Einzelpersonen hoch. Der Aufruf wurde nun vermehrt auch von Prominenten unterstützt – Abgeordneten der LINKEN, von SPD und Grünen, aber auch von Künstlern wie Bela B, Konstantin Wecker und den Toten Hosen. Schließlich kamen ca. 250 Busse von überall her nach Dresden. An zahlreichen Orten fanden Blockadetrainings und Infoveranstaltungen statt.

Schließlich war der von «Dresden Nazifrei» ausgehende politische Druck so groß, dass sich auch die Stadt Dresden erstmals zu einer eindeutigen Stellungnahme gezwungen sah: Die Oberbürgermeisterin rief zu einer Menschenkette um die Dresdener Altstadt auf. Was zunächst als Aktion «gegen jeden Extremismus von Rechts und Links» gedacht war, bekam in Folge des öffentlichen Drucks eine klar antifaschistische Ausrichtung. Damit war eine beachtliche Verschiebung des Diskurses in Dresden erreicht.

Der 13.Februar: Sie kamen nicht durch!
Das Konzept von «Dresden Nazifrei» ging voll auf. Über 12000 Menschen beteiligten sich an den Massenblockaden, die teilweise Volksfestcharakter annahmen. Der Neustädter Bahnhof wurde durch verschiedene Blockadepunkte umzingelt. In respektvollem Abstand zu den Blockaden griffen militante Antifas durch die Stadt marodierende Nazibanden an und banden zusätzliche Polizeikräfte. Um 17 Uhr war schließlich klar: Die Nazis würden keinen Meter weit marschieren können. Völlig frustriert mussten sie die Stadt verlassen.
Dieser Erfolg geht ganz auf das Konto von über 10.000 Menschen, die sich an den Massenblockaden beteiligten. Der politische Preis für eine Räumung der Blockaden wurde damit so in die Höhe getrieben, dass die Polizeiführung schließlich davon Abstand nehmen musste.

Der Erfolg von Dresden hat das Potenzial zu einem historischen Ereignis: Zum einen dürfte sich mit diesem Modell auch 2011 der dortige Nazi-Aufmarsch verhindern lassen, der damit hoffentlich endgültig im Mülleimer der Geschichte verschwindet. Vor allem kann das Mobilisierungsmodell von Dresden weit über die Elbstadt hinaus ausstrahlen: Was in Anbetracht von Tausenden Nazis, einem riesigen Polizeiaufgebot und einem absolut feindseligen politischen Umfeld funktioniert, wird auch an vielen anderen Orten funktionieren können!
Die Voraussetzung dafür ist eine Orientierung am Erfolgsrezept von Dresden: dem frühzeitigen Aufbau eines breiten Bündnisses von Linksradikalen bis SPD und Gewerkschaften, das öffentlich auf entschlossene Massenblockaden orientiert und dabei durch einen transparenten Aktionskonsens ein kalkulierbares Szenario anbietet.

Vor dem Hintergrund der Dresdener Erfahrung steigen künftig die Möglichkeiten, gewerkschaftliche, sozialdemokratische und grüne Milieus für eine aktive Beteiligung an gemeinsamen Blockaden von Nazi-Aufmärschen zu gewinnen.

Massenblockaden haben sich nicht nur als eine sehr effektive, sondern auch als sehr emanzipatorische Aktionsform erwiesen: Sie sind inklusiv, partizipativ, stellen die Legitimität bürgerlicher Gesetzgebung in Frage und bieten viele Möglichkeiten zur Radikalisierung der Beteiligten in einer kollektiven Aktion. Militante Aktionen gegen Nazis stehen dabei, auch das zeigt die Erfahrung von Dresden, in keinem Gegensatz zu Massenblockaden, sondern können sie sinnvoll ergänzen, solange sie in ausreichendem räumlichem Abstand stattfinden.

Bei einer Übernahme des Dresdener Erfolgsmodells könnte es bald auch an vielen Orten, in denen Nazis bisher weitgehend ungestört marschieren konnten, heißen: «No pasarán – sie werden nicht durchkommen!»

Florian Wilde ist Bundesgeschäftsführer des Studierendenverbandes Die Linke.SDS.

Sie kamen nicht durch! Historischer Erfolg gegen Neonazis in Dresden
von Florian Wilde. Veröffentlicht in: SoZ – Sozialistische Zeitung 4/2010.