»Kaum eine Branche ist so stark globalisiert«

(junge Welt) »Kaum eine Branche ist so stark globalisiert«.

Berlin–Duisburg–Rotterdam: Vernetzungsreise soll Organisierung von Hafenarbeitern und Seeleuten fördern. Ein Gespräch mit Florian Wilde.

Interview: Ralf Wurzbacher.
Sie nehmen an einer von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten »Vernetzungs- und Informationsreise« zu den Arbeitsverhältnissen in der Frachtwirtschaft teil, die Sie in der kommenden Woche von Berlin über Duisburg bis nach Rotterdam führen wird. Wozu die Aktion?Seit einigen Jahren wird in der Öffentlichkeit verstärkt über Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in den transnationalen Konzernen der Lieferketten diskutiert. Auslöser waren der Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik 2013 in Bangladesch und die Selbstmorde chinesischer Arbeiter beim Apple-Zulieferer Foxconn. Medien, NGOs, Politik und Konsumenten interessierten sich plötzlich: Wie geht es zu in diesen Fabriken? Zu welchen Konditionen diese Güter um die Welt transportiert werden, ist aber ein blinder Fleck. Tatsächlich ist kaum eine andere Branche so stark globalisiert wie Handelsschiffahrt und Hafenwirtschaft. Von Hamburg bis Shanghai setzen dieselben transnationalen Großreedereien die Beschäftigten unter Druck – durch Ausflaggung, Tarifflucht und Privatisierung von Hafeninfrastruktur.

Und weil Sie in Berlin loslegen und in Rotterdam enden, heißt das Projekt »Auf umgekehrten Güterwegen«?

Rotterdam ist der wichtigste Überseehafen Europas. Ein Großteil der Importgüter, die wir verbrauchen, kommt dort an, geht dann über Straße, Schiene oder Binnenschiff weiter – unter anderem nach Duisburg. Die Stadt an der Mündung von Rhein und Ruhr hat nicht nur den größten Binnenhafen der Welt, sondern ist mittlerweile eines der wichtigsten Logistikdrehkreuze für Containerverkehre aller Art und fungiert als Verteilzentrum für Rotterdam. Und von dort wiederum besteht eine direkte Verbindung zum Berliner Westhafen, der ein Drehkreuz für Containerverkehr auf Straße, Schiene und Wasserstraßen ist.

Worin liegen die besonderen Herausforderungen, entlang von Güterwegen so etwas wie Beschäftigtenvertretung zu machen?

Seeleute haben es schwer, kollektiv Druck auszuüben, denn auch ein großes Handelsschiff ist im Grunde ein Kleinbetrieb. Deshalb haben sie sich schon sehr früh mit den Hafenarbeitern in einer gemeinsamen Gewerkschaft organisiert, der Internationalen Transportarbeiter-Föderation, ITF. Wenn sie es schaffen, gemeinsame Aktionen durchzuführen, haben sie eine ungeheure Macht. Denn die Handelsrouten sind die Lebensadern der Weltwirtschaft und Häfen ihre neuralgischen Punkte. Nur: Zur gemeinsamen Aktion zu kommen, ist unheimlich schwierig, weil es tausend Hindernisse gibt – Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede, nationale Borniertheiten, auch der Gewerkschaften.

Ist unter solchen Bedingungen eine Organisierung der Beschäftigten bis hin zu Arbeitskämpfen nicht fast unmöglich?

Nein, die europäischen Hafenarbeiter haben mehrmals Pläne der EU-Kommission zu Fall gebracht, die den Einfluss privaten Kapitals in den Häfen stärken wollte. Die ITF hat weltweite Tarifverträge abgeschlossen, die auch Seeleuten aus der Dritten Welt akzeptable Mindeststandards garantieren, und sie kontrolliert deren Einhaltung ziemlich effektiv. Durch unsere Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen in den drei Häfen, durch die anschließende Auswertung und Veröffentlichung der Erkenntnisse wollen wir diese Dinge mit unseren bescheidenen Möglichkeiten ein wenig befördern.

Welche Rolle spielen bei dem Thema die deutschen Gewerkschaften?

Wir haben unser Konzept mit der Spitze des ver.di-Fachbereichs Verkehr diskutiert und sind dort auf großes Interesse und Unterstützung gestoßen. Im europäischen und internationalen Vergleich sind die deutschen Gewerkschaften relativ stark, deshalb haben sie auch eine große internationale Verantwortung. Es gibt Beispiele, wo sie diese vorbildlich wahrnehmen – denken wir an den Konflikt bei Amazon. Auf der anderen Seite sehen wir in vielen Bereichen konservative Routine und viel zuwenig Mut, die politische Initiative zurückzugewinnen. Man kann das beklagen, aber das bringt ja nichts. Wir wollen die hoffnungsvollen Ansätze unterstützen und bekannter machen.

Florian Wilde ist wissenschaftlicher Referent für Gewerkschaftspolitik im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung