Perspektiven der Studentenproteste

Mehr als nur ein Stohfeuer? Florian Wilde (32), Bundesgeschäftsführer des Studierendenverbandes »Die Linke.SDS«, über die Perspektiven der Studentenproteste. In: Neues Deutschland

ND: Vergangenes Wochenende traf sich der Studierendenverband »Die Linke.SDS« in Bochum zu seinem mittlerweile fünften Bundeskongress. Wie wurden die aktuellen Bildungsproteste bewertet?
Wilde: Wir sehen in ihnen aus mehreren Gründen einen großen Erfolg. Es ist gelungen, das Thema Bildung wieder in einer größeren Öffentlichkeit zu verankern. Die Zusammenarbeit zwischen Schülern und Studierenden stellt einen großen Fortschritt dar. An den Hochschulen war es der erste Aufstand einer Generation, die unter den völlig veränderten Bedingungen des Bachelor-Master-Systems studiert. Zudem war die zweite Protestwelle die erste soziale Bewegung unter der konservativ-liberalen Bundesregierung.

Wo sehen Sie Schwächen der Bewegung?
Sie hat noch nicht die Stärke erreicht, um substanzielle Reformen im Bildungsbereich durchzusetzen. Schließlich sind Studiengebühren und Bachelor- und Masterstudiengänge noch nicht abschafft.

Bekommt Ihr Verband nicht auch die Furcht vieler studentischer Aktivisten vor linker Vereinnahmung zu spüren?
Wir sind ein sozialistischer Verband, der in den Protesten eigene Akzente setzen will. Dabei geht es nicht um Vereinnahmung, sondern um solidarische Diskussion auf Augenhöhe im Bildungsstreikbündnis über die richtige Proteststrategie. Wir haben bei den Protesten die Erfahrung gemacht, dass Studierende durchaus auf Themen ansprechbar sind, die nicht nur das Bildungsthema betreffen. So gab es eine große Unterstützung für den Streik des Reinigungspersonals und der Mensamitarbeiter an den Hochschulen Das grundlegende Problem besteht jedoch darin, dass durch die Umstellung auf die Bachelor- und Masterstudiengänge der linke Aktivismus an den Unis insgesamt in eine Krise geraten ist, weil die Studierenden kaum noch Zeit für politische Aktivitäten haben. Wir müssen darauf Antworten finden, um wieder handlungsfähig zu werden. Der Aufbau eines bundesweiten Verbandes, der den Aktiven vor Ort die Arbeit erleichtert, gehört dazu.

Wie soll es mit den Bildungsprotesten weitergehen?
Wir haben den Vorschlag eines Besetzungsstreiks in die Diskussion gebracht. Im Unterschied zu den bisherigen Protesten würde damit der Unibetrieb komplett lahmgelegt. Die Studierenden müssen sich dann nicht wie bisher individuell zwischen der Beteiligung an Aktionen oder der Teilnahme an Vorlesungen entscheiden. Damit würde ein Freiraum geschaffen, um Alternativen zur bisherigen Bildungspolitik zu entwickeln und den Protest von der Uni in die Gesellschaft zu tragen. Allerdings muss eine solche Aktion gut vorbereitet werden und unter den Studierenden verankert sein. Ein Besetzungsstreik könnte 2011 oder 2012 aktuell werden, wenn die doppelten Abiturjahrgänge an die Unis drängen.

Warum soll dadurch die Protestbereitschaft steigen?
Schon jetzt sind die Studienbedingungen oft sehr schlecht. Durch die doppelten Jahrgänge wird sich die Situation noch verschärfen. Da schon bisher gerade die Erstsemester stark an den Protesten beteiligt sind, bestehen hier große Chancen, dass dann der Widerstand wächst.

Wie soll es aber in den nächsten Monaten kurzfristig mit den Bildungsprotesten weitergehen?
Wir wollen die Landtagswahl in NRW zu einer Abstimmung über die Abschaffung der Studiengebühren machen. Konkret schlagen wir eine bundesweite Demonstration in NRW Anfang Mai vor, um die Parteien außerparlamentarisch unter Druck zu setzen.

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Interview: Peter Nowak