Luxemburg und Liebknecht in Weltkrieg und Revolution

„Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“
Luxemburg und Liebknecht in Weltkrieg und Revolution
.
Von Florian Wilde. Veröffentlicht in: Antifaschistische Linke Berlin/dielinke.SDS (hg.): Die Revolution sagt: ich war, ich bin, ich werde sein“ – Luxemburg und Liebknecht für das 21. Jahrhundert, Berlin 2009.

Erst nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges begannen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, eine eigene Organisation, die Spartakusgruppe, aufzubauen. Aus ihr entwickelte sich die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Sie spielten eine wichtige Rolle in der Novemberrevolution, in deren Verlauf beide ermordet wurden.
1914: Der Verrat der SPD
„Am 4. August trat dann die furchtbare Katastrophe ein. Die Sozialdemokratie stimmte für die Kriegskredite. […]. Gleich, nachdem die Entscheidung im Reichstag gefallen war, eilte ich zu Rosa. Sie war fassungslos vor Empörung. […] Was war zu tun? Rosa sprach zuerst von Selbstmord, als sichtbarsten Protest gegen den Verrat der Partei, als sichtbarstes Warnungssignal an die Massen des Proletariats. Wir redeten ihr mit aller Energie solche Absichten aus. […] Dann holte ich noch am Abend die besten und bekannten Genossen zu einer Besprechung zusammen. Der alte Franz Mehring kam, tobte und schimpfte, wie nur Franz Mehring schimpfen konnte. Es kam unser alter russischer Freund Marchlewski (Karski), es kam Hermann Duncker, Wilhelm Pieck und Ernst Meyer […].“
So beschreibt Hugo Eberlein die verzweifelte Stimmung des kleinen Kreises linksradikaler GenossInnen, die sich am Abend des 4. August 1914 in der Wohnung Rosa Luxemburgs versammelten. Sie alle waren schockiert: Die SPD, der Stolz der ganzen Sozialistischen Internationale, hatte alle ihre Prinzipien verraten, ihre Reichstagsfraktion geschlossen den Kriegskrediten zugestimmt. Dabei hatten die Internationalen Sozialistischen Kongresse in den vorangegangenen Jahren immer wieder bekräftigt, wie sich im Falle eines Krieges zu verhalten sei: Sein Ausbruch sei mit allen Mitteln zu verhindern, und sollte er sich nicht verhindern lassen, waren die sozialistischen Parteien verpflichtet, „für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.“
An radikalen Phrasen hatte es in der SPD vor 1914 allerdings nie gemangelt – was fehlte, war eine damit korrespondierende radikale Praxis gewesen. So hatte sich allmählich eine auf Integration in das Bestehende ausgerichtete reformistische Politik unter der Oberfläche einer linken Rhetorik durchsetzen können. Als nun im Sommer 1914 eine beispiellose Welle nationalistischer Begeisterung weite Teile der deutschen Bevölkerung erfasste, sah die SPD-Führung ihre Chance gekommen, aus ihrer jahrelangen Außenseiterrolle auszubrechen, endlich von den deutschen Eliten akzeptiert zu werden und ihre potentielle Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen zu können, indem sie den Krieg unterstützte. Obwohl hunderttausende SPD-Anhänger sich noch im Sommer 1914 gegen den nationalistischen Taumel stemmten und gegen den drohenden Krieg auf die Strasse gingen, stimmte die Partei den Kriegskrediten zu und Partei- und Gewerkschaftsführung schlossen einen „Burgfrieden“ mit Regierung und Militärbehörden, mit dem sie für die Kriegszeit auf eigenständige Politik und auf Streiks verzichteten.

Spartakusgruppe: Die Linksradikalen formieren sich
Die Linksradikalen in der SPD um Rosa Luxemburg hatte jahrelang – so in den großen „Massenstreikdebatten“ – für eine radikale Praxis der SPD gestritten. Aber sie hatten versäumt, sich dabei in der Partei eigene, handlungs- und interventionsfähige Strukturen aufzubauen. So standen sie bei Kriegsausbruch ohne einem organisierten Netzwerk von GenossInnen, ohne Zeitungen und ohne eigene Gelder da. Diese Strukturen mussten von der sich bald „Spartakusgruppe“ nennenden radikalen Linken in den folgenden Kriegsjahren unter permanentem Repressionsdruck mühevoll aufgebaut werden. Die Gruppe wurde beständig von Spitzeln überwacht, immer wieder kam es zu Hausdurchsuchungen, Zeitungen und Flugblätter wurden beschlagnahmt, viele AktivistInnen wanderten entweder in die Zuchthäuser oder wurden an die Front geschickt. Im Frühjahr 1915 gelang es dem Kreis, zum ersten Mal eine eigene Zeitschrift („Die Internationale“) herauszugeben. Auch sie wurde zwar sofort verboten, zuvor gelang es allerdings, an einem einzigen Abend 5.000 Stück auf Berliner SPD-Versammlungen zu verkaufen. An der Basis der SPD nahmen Forderungen nach einer Rückkehr der Partei zu einer kriegsgenerischen Politik zu. So berichtete der SPD-rechte Reichstagsabgeordnete Heine über eine Parteiversammlung im Juni 1915 in Neukölln, er habe sich mit Zwischenrufen konfrontiert gesehen wie: „Wir sind vaterlandslose Gesellen und wollen es bleiben! – Unser Vaterland ist die Menschheit! – Wer sagt Ihnen denn, das wir siegen wollen? – Unsere Soldaten sollen das Gewehr gegen die Tyrannen kehren!“ Dieser allmählich zunehmenden Antikriegsstimmung versuchte der Kreis um Rosa Luxemburg politischen Ausdruck zu verleihen und sich selbst gleichzeitig enger zusammenzuschließen und zu organisieren.

Liebknechts „Nein!“ macht die Opposition sichtbar
Die Existenz einer kriegsgenerischen radikalen Linken in Deutschland gelang es Karl Liebknecht international sichtbar zu machen: Im Dezember 1914 stimmte er im Reichstag als einziger SPD-Abgeordneter gegen die Kriegskredite und wurde so zur Symbolfigur des Widerstandes. Zum 1. Mai 1916 mobilisierte die Spartakusgruppe zu einer illegalen Antikriegskundgebung in Berlin. Liebknecht ergriff das Wort und beendete seine Rede mit den Worten: „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“ Er wurde daraufhin verhaftet und zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil kam es in Berlin zu einem ersten politischen Massenstreik, an dem sich 55.000 ArbeiterInnen beteiligten. Weitere Massenstreiks folgten im April 1917 und im Januar 1918, mit bis zu einer halben Million beteiligten. Bei diesen Streiks spielten neben der Spartakusgruppe vor allem die „Revolutionären Obleute“, eine klandestine Struktur linksradikaler Betriebs- und GewerkschaftsaktivistInnen, eine tragende Rolle.
Mit der Dauer des Krieges wuchs der Widerstand gegen ihn. Es war der erste Krieg, in dem Kampfbomber, Flugzeugträger und massenhaft Giftgas eingesetzt wurden. Fast zehn Millionen Soldaten aus allen Ländern kamen in den Schlachten von Verdun, Tannenberg und anderswo ums Leben, doppelt so viele wurden verletzt. Weitere zehn Millionen Zivilisten starben abseits der Front an Hunger und entbehrungsbedingten Krankheiten.
Mit der Wut über den Krieg wuchs langsam auch die Spartakusgruppe. Immer häufiger war sie in der Lage, illegale Zeitungen und Flugblätter herauszubringen und konnte erste Aktionen gegen den Krieg organisieren. Gleichzeitig ging die Repression gegen sie weiter: Rosa Luxemburg musste am 18. Februar 1915 für ein Jahr ins Gefängnis, und nur drei Monate nach ihrer Freilassung wurde sie 1916 erneut zu 2 ½ Jahren Zuchthaus verurteilt.

USPD – eine neue linke Partei
Rosa Luxemburg und ihre GenossInnen hatten sich zu Beginn des Krieges darauf verständigt, in der SPD zu bleiben. Das hing mit der Grundannahme Luxemburgs über die sozialistische Revolution zusammen: Für Luxemburg konnte „die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter selbst“ sein, war Befreiung nur als Selbstbefreiung der Massen denkbar – und solange die proletarischen Massen sich an der SPD orientierten, müssen auch die Revolutionäre in diesem Umfeld aktiv sein. Diese Taktik ging auch zumindest teilweise auf. Neben der Spartakusgruppe gab es auch eine starke Strömung gemäßigter Kriegsgegner in der Partei. Auch sie lehnten den Kuschelkurs der Parteiführung gegenüber Staat, Kapital und Polizeibehörden ab, konnten sich aber lange nicht zu eigenen Aktivitäten durchringen. Doch unter dem beständigen Druck der Spartakusgruppe radikalisierten sie sich. Weitere linke SPD-Reichstagsabgeordnete folgten Liebknechts Beispiel und stimmten gegen eine Verlängerung der Kriegskredite. Sie wurden schließlich aus der SPD ausgeschlossen und gründeten im April 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD). Unter der Bedingung, ihre eigenen Strukturen behalten und ihre Positionen ungehindert vertreten zu können, arbeitete auch die Spartakusgruppe in der neuen Partei mit. Einen neuen Aufschwung bekam die Antikriegsbewegung in Deutschland durch die russischen Ereignisse: Im Februar 1917 hatte eine Revolution den Zaren gestürzt, im ganzen Land entstanden Arbeiter- und Soldatenräte und die Bauern eigneten sich das Land der Großgrundbesitzer an, auch wenn die Regierung vorerst noch bürgerlich dominiert war. Mit der Oktoberrevolution kam eine sich auf die Räte stützende Regierung unter Führung der Bolschewiki an die Macht. Russland zeigte den radikalen Linken in Deutschland, aber auch Millionen zunehmend kriegsgegnerischen Arbeitern: Ein revolutionärer Ausweg aus dem Krieg ist möglich, der Kampf gegen Krieg, Kaiser und Kapitalismus gehören zusammen!

Novemberrevolution: Sturz des Kaisers, Ende des Krieges
Ab Spätsommer 1918 wurde klar: Der Krieg war für Deutschland nicht mehr zu gewinnen. Als die Marineführung Ende Oktober die Hochseeflotte zu einer letzten, aussichtslosen Schlacht gegen England auslaufen wollte, um so die „Ehre“ der Admiralität zu retten, meuterten die Matrosen in Kiel. Die Kieler Werftarbeiter solidarisierten sich mit ihnen und traten in den Streik. Arbeiter und bewaffnete Matrosen demonstrierten durch die Stadt, besetzten Polizei- und Regierungsgebäude und wählten einen Arbeiter- und Soldatenrat. In den folgenden Tagen breitete sich die Revolution entlang der Eisenbahnstrecken aus. Überall wiederholte sich die Situation: Arbeiter und Soldaten stürzten die alten Mächte, die Fürsten flohen aus ihren Palästen und die zivilen Behörden unterwarfen sich der Autorität der Arbeiter- und Soldatenräte. Nur in Berlin schien es lange ruhig zu bleiben. Aber der Eindruck täuschte: täglich trafen sich Vertreter der Spartakusgruppe (darunter der im Oktober aufgrund einer Amnestie aus dem Gefängnis entlassene Liebknecht) mit den Revolutionären Obleuten, um einen bewaffneten Aufstand vorzubereiten. Der Aufstandstermin wurde immer wieder verschoben, dann am 8. November schließlich für den folgenden Tag festgelegt.
Am Morgen des 9. November erreichten die Proteste die Hauptstadt: Riesige Demonstrationszüge zogen aus den Außenvierteln ins Stadtzentrum Berlins. Aus den meisten Kasernen, an denen die Demonstranten vorbeiliefen, schlossen sich ihnen Soldaten an. Mittags erreichten die immer größer werdenden Demonstrationen das Zentrum. Das Polizeipräsidium wurde besetzt und die Polizisten entwaffnet. In den frühen Nachmittagsstunden brach der Widerstand einzelner Offiziere, die sich in der Universität und in der Staatsbibliothek verschanzt hatten, zusammen. Spartakusgruppe und Revolutionäre Obleute hatten am Tag zuvor zum Aufstand für den 9. November aufgerufen, sie leiteten die revolutionären Aktivitäten dieses Tages. Mittags konnte Karl Liebknecht vom Balkon des besetzten Berliner Stadtschlosses aus die „freie sozialistische Republik Deutschland“ proklamieren.
Aber auch die SPD blieb nicht untätig: Bis zuletzt hatte sie hinter den Kulissen versucht, das Kaiserreich in eine konstitutionelle Monarchie nach englischem Vorbild umzuwandeln, um so eine Revolution abzuwenden. Als sich nun die Ereignisse überschlugen, versuchte die Sozialdemokratie, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, um eine weitere Radikalisierung verhindern zu können. Parallel zu Liebknecht rief auch der SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann die Republik aus – allerdings nicht die sozialistische. Spartakus warnte vor dieser Rolle der SPD. In der ersten Ausgabe der Zeitung „Rote Fahne“, die in der besetzen Druckerei eines reaktionären Verlages gedruckt wurde, hieß es: „Vier lange Jahre lang haben die Scheidemänner, die Regierungssozialisten euch durch die Schrecken eines Krieges gejagt, haben euch gesagt, man müsse >das Vaterland< verteidigen, wo es sich nur um die nackten Raubinteressen des Imperialismus handelte: jetzt, wo der deutsche Imperialismus zusammengebrochen ist, suchen sie für die Bourgeoisie zu retten, was noch zu retten ist und suchen, die revolutionären Energien der Massen zu ersticken.“

Rätedemokratie oder Parlamentarismus?
Überall im Land lag die Macht in den Wochen nach dem 9. November 1918 in den Händen von Arbeiter- und Soldatenräten. Ihre Mitglieder wurden in Betrieben und Kasernen demokratisch gewählt, waren ihrer Basis rechenschaftspflichtig und konnten jederzeit abgewählt werden. Sie organisierten das öffentliche Leben, die Verteilung von Nahrung und die Demobilisierung der Soldaten. Spontan war so aus den Kämpfen der Massen eine reale rätedemokratische Alternative zum Stellvertretertum des bürgerlichen Parlamentarismus entstanden. Eine Alternative, in der auch die Wirtschaft, der Staatsapparat und die Medien einer beständigen demokratischen Kontrolle durch die Massen unterworfen wären.
Aber ein weiteres Mal zeigte sich, wie sehr der Apparat der SPD und ihre traditionelle Verankerung in der Arbeiterbewegung den schwachen Strukturen der revolutionären Linken überlegen waren: Auf allen reichsweiten Rätekongressen gelang es der SPD, eine Mehrheit der Delegierten zu stellen. Die SPD-Delegierten argumentierten für ein Ende der Rätebewegung. Unter ihrem Einfluss gaben die Räte ihre Macht schließlich selbst wieder ab und stimmten für die Wahl zu einer Nationalversammlung, also für die parlamentarische Republik. Von Anfang an lag die Perspektive der SPD nicht auf einer radikalen sozialen Demokratisierung der Gesellschaft, was eine konsequente Säuberung des Staatsapparates von Monarchisten und eine Sozialisierung zumindest der Schlüsselindustrien im Bündnis mit den radikaleren Kräften erfordert hätte. Statt dessen versuchte sie, im Bündnis mit den alten Mächten, die Linksradikalen zurückzudrängen und eine das Privateigentum nicht infrage stellende bürgerliche Republik mit sozialer Gesetzgebung durchzusetzen. Ausdruck dieses Kurses, der die künftige Weimarer Republik von Anfang an mit der hohen Hypothek eines antirepublikanischen Beamten-, Justiz und Militärwesens und belasten sollte, war der gegen eine Radikalisierung der Revolution gerichtete Ebert-Groener-Pakt zwischen SPD-Parteivorstand und der Obersten Heeresleitung am 10. November, sekundiert vom Stinnes-Legien-Pakt zwischen Industriekapitänen und Gewerkschaften.
Rosa Luxemburg, die erst durch die Revolution aus dem Gefängnis befreit worden war, Karl Liebknecht und ihre GenossInnen, die sich nun „Spartakusbund“ nannten und endlich legal arbeiten konnten, versuchten nach Kräften, den Kampf für eine sozialistische Räterepublik zu organisieren. Aber diese Kräfte waren schwach: zwar war die Gruppe von 1914-18 von einem dutzend auf mehrere tausend Mitglieder angewachsen, verglichen mit den hunderttausenden, die der SPD und der USPD folgten, waren dies aber immer noch geringe Zahlen. So stellten die organisierten Revolutionäre innerhalb der Revolution nur eine kleine Minderheit dar.

Gründung der KPD
Immer notwendiger wurde im Dezember 1918 in den Augen Luxemburgs und Liebknechts die Gründung einer eigenen Partei. Die Schwäche des Spartakusbundes war nach der Novemberrevolution offensichtlich geworden, aber auch die Unfähigkeit der USPD, die Revolution entschieden voranzutreiben. Rosa Luxemburg verfasste den Entwurf eines Programms der neuen Partei, der ihre Vorstellung einer Selbstemanzipation der Massen verdeutlicht:
„In allen bisherigen Revolutionen war es eine kleine Minderheit des Volkes, die den revolutionären Kampf leitete, die ihm Ziel und Richtung gab und die Masse nur als Werkzeug benutzte, um ihre eigenen Interessen, die Interessen der Minderheit, zum Siege zu führen. Die sozialistische Revolution ist die erste, die im Interesse der großen Mehrheit und durch die große Mehrheit der Arbeitenden allein zum Siege gelangen kann. […] Das Wesen der sozialistischen Gesellschaft besteht darin, daß die große arbeitende Masse aufhört, eine regierte Masse zu sein, vielmehr das ganze politische und wirtschaftliche Leben selbst lebt und in bewußter freier Selbstbestimmung lenkt. […] Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie haßt und verabscheut den Menschenmord. Sie bedarf dieser Kampfmittel nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Institutionen bekämpft […]
Der Spartakusbund ist keine Partei, die über die Arbeitermasse oder durch die Arbeitermasse zur Herrschaft gelangen will. […]Der Spartakusbund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren, unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in Deutschland, nie anders als kraft ihrer bewußten Zustimmung zu den Ansichten, Zielen und Kampfmethoden des Spartakusbundes.“
Als die Kommunistische Partei Deutschlands zur Jahreswende 1918/19 gegründet wurde, wurde dieses von Luxemburg entworfene Programm zum Programm der neuen Partei.

Januaraufstand 1919: Ermordung von Karl und Rosa
Schon kurz nach der Gründung der KPD kam es in Berlin zu neuen Aufständen: Hunderttausende gingen auf die Strasse, um gegen die Absetzung des linken Polizeipräsidenten Emil Eichhorn (USPD) durch die SPD und damit gegen den ganzen Ausverkauf der Revolution durch die Sozialdemokraten zu protestieren. Im Anschluss an die Demonstration besetzen wütende Arbeiter spontan verschiedene Zeitungsgebäude, darunter das des sozialdemokratischen „Vorwärts“. USPD, Revolutionäre Obleute und KPD beschlossen unter dem Eindruck der Massenproteste, den Kampf bis zum Sturz der Regierung weiterzuführen.
Zur Niederwerfung des Aufstandes griff die SPD auch auf „Freikorps“ aus kriegsbegeisterten, oft rechtsradikal und völkisch eingestellten Frontsoldaten zurück. Zusammen mit regierungstreuen Soldaten eroberten sie die sich in den Händen der Aufständischen befindenden Teile Berlins zurück und richteten dabei ein Blutbad unter den Anhängern der radikalen Linken an. Am 15. Januar wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht unter dem Kommando des Offiziers Waldemar Pabst ermordet, die Leiche Luxemburgs in den Landwehrkanal geworfen. Die Mörder wurden später vor Gericht freigesprochen oder kamen mit geringen Strafen davon.

Die Folgen der Enthauptung der KPD
Dem Mord an Luxemburg und Liebknecht folgten in den nächsten Monaten weitere Morde an führenden Kommunisten: Am 10.03.1919 wurde Leo Jogiches, der engste politische Mitarbeiter Rosa Luxemburgs und nach ihrem Tod kurzzeitiger Führer der KPD, von Freikorpsleuten ermordet. Am 06.6.1919 wurde Eugene Leviné, Führer der KPD in den Auseinandersetzungen um die Münchener Räterepublik, hingerichtet. Der greise Franz Mehring war bereits am 29.01.1919, von der Trauer über den Mord an Karl und Rosa überwältigt, verstorben. Tausende weniger bekannte Revolutionäre fanden in den Kämpfen um die Räterepubliken im ersten Halbjahr 1919 den Tod.
Bereits wenige Wochen nach ihrer Gründung war die junge KPD so quasi enthauptet worden. Die Konsequenz des Verlustes ihrer besten und erfahrensten Köpfe war eine langfristige Schwächung der Führung des deutschen Kommunismus. Eine ihrer Folgen war das unsichere, oft auch ungeschickte Verhalten der KPD in den Auseinandersetzungen der kommenden Jahre, aus denen eine Reihe von weiteren Rückschlägen resultieren sollte. Aus Angst, wie im Januar 1919 erneut zu früh zum Aufstand aufzurufen, verhielt sich die KPD gegenüber dem reaktionären Kapp-Putsch 1920 sehr passiv, obwohl er den größten Generalstreik der deutschen Geschichte auslöste. Um diese Passivität zu kompensieren, versuchte sie in der „Märzaktion“ 1921 einen isolierten Aufstand, der dramatisch scheiterte. Und aus Angst, diesen Fehler zu wiederholen, verzichtete sie im Oktober 1923 auf einen neuen Aufstandsversuch, obwohl die Ausgangsbedingungen diesmal viel besser waren.

Das revolutionäre Erbe jenseits von Stalinismus und Reformismus
Dem linken Historiker Ossip K. Flechtheim ist unbedingt zuzustimmen, wenn er schreibt, dass „Rosa Luxemburgs Tod von den Mörderhänden der deutschen Freikorps eine Tragödie war, nicht nur für die deutsche, sondern für die internationale Arbeiterbewegung.“
Denn mit dem Scheitern der Revolutionen in Westeuropa wuchs das Gewicht der Russischen Kommunistischen Partei RKP(B) in der 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale.
Je mehr unter Stalin die Errungenschaften der Oktoberrevolution, die die Macht in die Hände der Räte der Arbeiter und Bauern gelegt und Russland für einige Zeit zum freiesten Land der Welt gemacht hatte, zurückgenommen wurden und je mehr in Russland eine neue Bürokratie anstelle der Räte real die Macht ausübte, desto mehr wurde von Moskau versucht, die Internationale in ein Werkzeug russischer Außenpolitik umzuwandeln. Schmerzlich fehlten in dieser Situation Gegengewichte vom Format einer Rosa Luxemburg. Kaum vorstellbar, dass sie die Stalinisierung der KPD und der Kommunistischen Internationale mitgetragen hätte. Die Stalinisierung „bedeutete für die KPD den Wandel von einer Partei mit einem hohen Maß an innerer Demokratie in eine disziplinierte Organisation mit strikt zentralistischer Befehlsgewalt. Stalinisierung hieß Veränderung des inneren Aufbaus, Entstehung einer monolithischen, straff durchorganisierten, hierarchischen Partei. In ihr beherrschte die Führungsspitze mit Hilfe des Apparates […] die Mitgliedschaft; die Politik wurde im Sinne und entsprechend den Weisungen der Stalinschen KPdSU praktiziert. […] An die Stelle von Pluralismus, Selbständigkeit, Diskussion und Autonomie [traten] Unterordnung, Gläubigkeit, Disziplin und Kommandoherrschaft.“ (Hermann Weber).
Mit der Stalinisierung wurde das Entwicklungspotential eines demokratischen Kommunismus Luxemburgischer Prägung schließlich verschüttet.
Ihr revolutionäres Erbe bleibt aber auch im 21. Jahrhundert relevant. Wer die Perspektive auf eine radikale Umgestaltung der bestehenden Gesellschaftsordnung in Richtung eines demokratischen Sozialismus nicht aufgeben will, kann bei Luxemburg eine revolutionäre Traditionslinie jenseits von stalinistischer Entartung und reformistischer Selbstaufgabe sozialistischer Politik entdecken, die an Aktualität nichts eingebüßt hat.

Florian Wilde ist Mitglied im Bundesvorstand von dielinke.SDS und der Historischen Kommission der Partei Die LINKE. Er schreibt zur Zeit an einer Promotion über Ernst Meyer, einem Mitbegründer des Spartakusbundes und der KPD.