Radikale Antwort auf Krise: Vor 80 Jahren wurde die SAP gegründet. Von Florian Wilde. Veröffentlich in: Neues Deutschland, 1.10.2011
In der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie kam es bisher drei Mal zu signifikanten Linksabspaltungen. Am bekanntesten dürften die größte – die der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) 1917 – und die jüngste – WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit) – sein. Weit weniger bekannt ist die vor 80 Jahren am 4. Oktober 1931 gegründete Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), die es in kurzer Zeit auf 25 000 Mitglieder brachte.
Ihre Wurzeln liegen im linken Flügel der Weimarer SPD. Um eine Debatte unter den bisher zersplitterten Linken zu organisieren, begann eine Gruppe um den Reichstagsabgeordneten Max Seydewitz 1927 mit der Herausgabe der Zeitschrift »Klassenkampf«. Zu ihr stieß bald der unumstrittene theoretische Kopf der SPD-Linken: der Reichstagsabgeordnete, ehemalige KPD-Vorsitzende und Schüler Rosa Luxemburgs Paul Levi.
Im Zentrum der Kritik dieser »Klassenkampf«-Gruppe stand die Regierungsbeteiligung der SPD in einer Großen Koalition ab 1928. Sie sah in dieser einen Verrat an den sozialistischen Zielen der Partei. So hatte die SPD den Wahlkampf 1928 unter der Parole »Kinderspeisung statt Panzerkreuzer« geführt, um nach Regierungseintritt dem Bau jenes Kriegsschiffes zuzustimmen.
Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 radikalisierte sich die Kritik der linken Opposition. Vehement forderte sie einen Austritt aus der Koalition und einen konsequenten Kampf gegen Sozial- und Lohnabbau. Doch das Gegenteil geschah: Nachdem die Große Koalition scheiterte, unterstütze die SPD die mit Hilfe von Notverordnungen am Parlament vorbeiregierende autoritäre Rechtsregierung des Reichskanzlers Heinrich Brüning. Dessen Antwort auf die Krise war ein verschärfter Sozialabbau, der die Notlage der Proletarier weiter verschlechterte. Durch die Unterstützung dieser Politik diskreditierte sich die SPD in den Augen vieler ihrer Anhänger. Immer mehr Menschen wandten sich nun einer Kraft zu, die scheinbar radikale Antworten auf die Krise zu bieten hatten: der NSDAP.
1931 schrieb Max Seydewitz, im Angesicht der Krise dürfe sich die Sozialdemokratie nicht länger um die »Rettung der gegenwärtigen Wirtschaft, um die Erhaltung der bürgerlichen Gesellschaft« bemühen, sondern müsse die Massen mobilisieren »zum Kampf um den Sturz und die Beseitigung dieser kapitalistischen Gesellschaftsordnung«. Dafür seien konkrete Tagesforderungen »zur Milderung der Wirkung dieser Krise auf die Arbeiterklasse« notwendig. Um diese durchzusetzen, bedürfe es »außerparlamentarischer Aktionen, deren Notwendigkeiten den parlamentarischen Kampf diktieren müssen«. Weiter schrieb Seydewitz: »Die Tagesforderungen, für die die Sozialdemokratie die Massen auf dem Wege zum sozialistischen Endziel mobilisieren und revolutionieren muss, müssen starken sozialistischen Einschlag haben, sie müssen den Massen als Rettung aus der hoffnungslosen Situation erscheinen.«
Je radikaler die Linke den Kurs des SPD-Parteivorstandes kritisierte, desto schärfer ging dieser mit administrativen Maßnahmen gegen sie vor. Nachdem neun linke Abgeordnete im Reichstag gegen die Bewilligung weiterer Gelder für den Bau von Panzerkreuzern stimmten, begannen die Ausschlüsse der Linken. Da diese wohl zurecht davon ausgingen, dass für ihre kritischen Stimmen in der stalinisierten KPD kein Raum sein würde, nahmen sie die Gründung einer eigenen Partei, der SAP, in Angriff. Diese wurde vor allem von jungen Sozialisten und linkssozialistischen Intellektuellen wie Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Käthe Kollwitz, Albert Einstein und Lion Feuchtwanger begeistert begrüßt. Eine Reihe linkssozialistischer und oppositioneller kommunistischer Gruppen schloss sich der neuen Partei an.
Ihre Hauptaufgabe erblickte die SAP darin, eine Einheitsfront der verfeindeten Arbeiterorganisationen gegen die tödliche Gefahr des Faschismus zu erreichen. Doch SPD und KPD weigerten sich. Und je stärker die Nazis wurden, desto weniger waren Arbeiter bereit, mit ihren traditionellen Organisationen zu brechen und eine neue Partei aufzubauen. Die SAP blieb zu schwach, um die großen linken Parteien zu einer Kurskorrektur zu zwingen. Ihre geringe Größe verdammte sie dazu, der Geschichte Weimars keine entscheidende Wendung mehr geben zu können. So blieb die SAP dazu verurteilt, den Sieg des Faschismus weitgehend ohnmächtig erleben zu müssen.
Sofort nach der Machtergreifung durch die Nazis stellte sich die SAP auf illegale Widerstandstätigkeit um. Gemessen an ihrer Größe war sie vermutlich die Organisation, die den intensivsten Widerstand leistete. Noch im Januar 1934 hatte sie bis zu 14 000 illegal arbeitende Mitglieder. Mitte der 1930er wurden die meisten ihrer Strukturen zerschlagen, aber noch 1937 dürfte die Partei etwa 1000 aktive Mitglieder in Deutschland gehabt haben. An einigen Orten arbeiteten Organisationskerne der SAP bis Kriegsende weiter. Hunderte SAPler mussten ins Exil gehen. Etliche schlossen sich im Spanienkrieg den Milizen der marxistischen POUM an. Im Widerstand wie im Exil setzte sich die Partei weiter für eine Einheitsfront ein.
Nach Kriegsende schlossen sich einige Mitglieder der SED an, andere bildeten einen neuen linken Flügel in der SPD um die Zeitschrift »Funken«. Einstige SAPler wie der spätere SPD-Vorsitzende und Bundeskanzler Willy Brandt oder der langjährige IG Metall-Vorsitzende Otto Brenner spielten nach 1945 eine wichtige Rolle im politischen Leben der Bundesrepublik. Max Seydewitz hingegen, der antifaschistischen Widerstand im schwedischen Exil leistete (während seine beiden Söhne in Stalins Straflagern in der Sowjetunion interniert waren), geriet Anfang der 50er Jahre in der DDR in die Mühlen einer Kampagne gegen ehemalige SAP-Mitglieder, musste »Selbstkritik« üben und wurde als sächsischer Ministerpräsident (seit 1947) abgelöst.