Ständig werden wir mit neuen Vorschlägen zur Verschärfung der Gesetze zur „inneren Sicherheit“ konfrontiert. Mal sollen mit Hilfe von Bundestrojanern Online-Durchsuchungen von Computern ermöglicht werden. Dann sollen durch die geplante Vorratsdatenspeicherung alle Verbindungen über Telefon, Handy und Internet protokolliert werden. Der öffentliche Raum wird durch immer mehr Kameras überwacht. Biometrische Daten finden Eingang in unsere Ausweise. Begründet werden diese Vorstöße mit der Gefahr des Terrorismus.
Die in letzter Zeit gehäufte Anwendung
angeblicher Anti-Terror-Gesetze zur Überwachung
und Einschüchterung von sozialen
Bewegungen und sogar von kritischen
WissenschaftlerInnen legt die Vermutung
nahe, dass dahinter etwas anderes steht als
nur die Angst vor Terror.
Den eigentlichen Hintergrund des Ausbaus
des Kontroll- und Überwachungsstaates
bilden die sich verschärfenden sozialen
Widersprüche. Immer mehr Menschen sind
in Folge von Entlassungen, Lohnsenkungen
und dem Abbau der sozialen Sicherungssysteme
von Armut und Ausgrenzung bedroht
oder bereits betroffen. Die soziale Stabilität
der Gesellschaft, die für das Funktionieren
der kapitalistischen Ökonomie von zentraler
Bedeutung ist, droht ins Wanken zu geraten.
Das Potenzial für Proteste und Widerstand
gegen die kapitalistischen Zumutungen
wächst. Dagegen will der Staat durch einen
präventiven Ausbau seiner Repressionsorgane
gewappnet sein. Abbau des Sozialstaates
und Aufbau des Sicherheitsstaates sind
daher zwei Seiten einer Medaille.
Wie schnell Instrumente der „Terrorbekämpfung“
zur Bekämpfung widerständiger
Bewegungen verwendet werden, belegt der
inflationäre Einsatz des Paragrafen 129a
(„Bildung einer terroristischen Vereinigung“)
gegen linke Strukturen. Im Vorfeld des G8-
Gipfels haben PolizistInnen die Wohnungen
und politische Zentren aus dem Umfeld
der globalisierungskritischen Bewegung
durchsucht. Die umfassende Überwachung
und anschließende Einschüchterung linker
AktivistInnen aus der Bewegung wurde mit
diesem Paragrafen ermöglicht.
Dass die staatlichen Repressionsmaßnahmen
selbst vor kritischen WissenschaftlerInnen
nicht halt machen, beweist der aktuelle Fall
des Berliner Stadtsoziologen und ehemaligen
Stipendiaten der Rosa-Luxemburg-Stiftung,
Dr. Andrej H.
Mit Hilfe einer abenteuerlichen Konstruktion
wurde er mit der „militanten gruppe“
(mg) in Verbindung gebracht, die seit 2001
mit Brandanschlägen gegen Repressionsorgane
und Konzerne und mit Diskussionsbeiträgen
in die Öffentlichkeit tritt. Andrej sei
verdächtig, weil er sich in linken Kreisen
bewege, mit einem der Beschuldigten
bekannt war und zu dem Thema Gentrifizierung
arbeite, welches in linken Debatten um
die Umstrukturierung von Stadtteilen eine
Rolle spielt und auf dass auch die mg in
ihren Erklärungen Bezug nehme, so die Bundesanwaltschaft.
Die Folge für Andrej: Eine
Hausdurchsuchung und mehrere Wochen
Untersuchungshaft, aus der er nur aufgrund
internationalen Drucks der Wissenschaftsgemeinde
entlassen wurde.
Offensichtlich sollte hier eine Verbindung
zwischen kritischer Wissenschaft und
sozialen Kämpfen verhindert werden. Diese
Beispiele zeigen: Mit Hilfe des Paragrafen
129a wird versucht, Unmut gegen die bestehenden
Verhältnisse des Kapitalismus zu
kontrollieren und zu unterdrücken.
Von linker Seite muss der Zusammenhang
zwischen immer schärferen Sicherheitsmaßnahmen
und stärker werdender Ausbeutung
unbedingt thematisiert werden. Fatal ist
daher, dass sich DIE LINKE dort, wo sie an
Regierungen beteiligt ist, an Verschärfungen
von Polizeigesetzen beteiligt, wie vergangenes
Jahr in Mecklenburg-Vorpommern und
aktuell in Berlin geschehen. Notwendig
ist vielmehr eine breite gesellschaftliche
Protestbewegung gegen Kontrollstaat und
Überwachungsgesellschaft. Einen ermutigenden
Anfang dafür bildeten die 15.000
DemonstrantInnen, die am 22.9. in Berlin
gegen die Vorratsdatenspeicherung und den
Paragrafen 129a auf die Straße gingen.
Soziale Sicherheit statt Überwachungsstaat!
Zur „Terrorbekämpfung“ gegen soziale Bewegungen
von Florian Wilde. Veröffentlicht in Linke.Campus