Nicht länger ein Paria

Nicht länger ein Paria.
Gewerkschaften: Neue Formen des Austauschs zwischen Aktiven und Wissenschaft mit den Schwerpunkt „Streiks“.

Von Florian Wilde und Fanny Zeise. In: Dagmar Enkelmann/Florian Weis: „Ich lebe am fröhlichsten im Sturm“. 25 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung, Berlin 2015, S.104-106.

 

Mit dem Zusammenschluss der wesentlich von westdeutschen GewerkschafterInnen getragenen Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) mit der PDS zur Partei Die Linke bekam auch die jahrzehntelang fast unangefochtene Hegemonie der SPD in den Gewerkschaften Risse. Von der Politik der Sozialdemokraten enttäuschten GewerkschafterInnen stand plötzlich eine Alternative zur Verfügung. Die Linke verstand sich als aktives Sprachrohr gewerkschaftlicher Positionen in Parlament und Gesellschaft, schrieb sich die tatkräftige Unterstützung gewerkschaftlicher Aktivitäten auf die Fahne. Neue Spielräume für linke Gewerkschaftspolitik und linke Politik in den Gewerkschaften taten sich auf.

In der Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte das Themenfeld Gewerkschaften schon immer eine Rolle gespielt – wie könnte es in einer den Grundprinzipien des demokratischen Sozialismus verpflichteten Stiftung auch anders sein. Arbeitslinien waren z.B. Prekarisierung und Organisierung oder Automobil, Krise und Konversion. Allerdings waren die finanziellen und personellen Mittel der Stiftung gering, bevor der vereint antretenden Linken 2005 der Durchbruch bei der Bundestagswahl gelang, so dass es in der RLS lange keine gesonderte „Gewerkschaftsstelle“ gab. Der Aufwuchs der Stiftungsmittel und die neue gewerkschaftliche Verankerung der Linken machten einen Ausbau und eine Neuausrichtung der Gewerkschaftsarbeit der Stiftung sowohl möglich als auch erforderlich.

2011 wurde eine Referentenstelle für Arbeit, Produktion und Gewerkschaften geschaffen und im Institut für Gesellschaftsanalyse angesiedelt. Sie sah sich von Anfang an großen Herausforderungen gegenüber: Es galt, dazu beizutragen, die Stiftung aus ihrer jahrelangen Pariarolle innerhalb der Gewerkschaften zu führen und sie zu einem anerkannten Partner neben den anderen Parteienstiftungen werden zu lassen. Neue Formate wurden entwickelt, in denen ein Austausch zwischen verschiedenen Generationen von Betriebs- und Gewerkschaftsaktiven untereinander sowie von diesen mit gewerkschaftsnahen WissenschaftlerInnen stattfinden kann. Zudem galt es, eigene Akzente in der Gewerkschaftsarbeit zu setzen.

Als eigenen Schwerpunkt innerhalb der in den letzten Jahren breit geführten Diskussionen um gewerkschaftliche Erneuerung haben wir das Thema „Streik“ gewählt. Der Streik stellt das wichtigste Machtmittel der Gewerkschaften dar, war aber lange Zeit in der Forschung unterbelichtet, und wurde in den vergangenen streikarmen Jahrzehnten auch in der gewerkschaftlichen Praxis eher selten angewandt. Dabei bietet gerade das Thema Streik großes Potenzial für eine demokratische und konfliktorientierte Erneuerung der Gewerkschaften, zumal in den letzten Jahren neue Beschäftigtengruppen aus dem Dienstleistungsbereich verstärkt das Streikgeschehen prägen.

Zunächst stand 2012 unter dem Motto „Politische Streiks im Europa der Krise“ die damalige Welle an Generalstreiks in Südeuropa im Fokus. Ab 2013 wurde dann das Potenzial einer „Erneuerung durch Streik“ auf zwei großen Konferenzen in den Blick genommen. Die erste Konferenz fand in Stuttgart statt, wo der lokale ver.di-Bezirk durch innovative Experimente mit einer demokratischen und partizipativen Streikkultur spannende Erfahrungen gesammelt hatte. Entwickelt wurde das Konzept noch zusammen mit Bernd Riexinger in seiner damaligen Funktion als Geschäftsführer von ver.di Stuttgart. 2014 folgte mit 700 TeilnehmerInnen die zweite Konferenz „Gemeinsam Strategien entwickeln. Konflikte führen. Beteiligung organisieren“ in Hannover, die einen lebendigen, überregionalen und branchenübergreifenden Erfahrungsaustausch zwischen haupt- und ehrenamtlichen GewerkschafterInnen, kritischen WissenschaftlerInnen und politisch Aktiven aller Altersgruppen, darunter auffallend vielen jüngeren, bot.

Ein anderes erfolgreiches Format stellen aktuelle Tarifauseinandersetzungen begleitende Ratschläge der Stiftung gemeinsam mit der Linksfraktion dar, wie bspw. anlässlich des Streiks im Einzelhandel, bei Amazon oder in den Sozial- und Erziehungsdiensten.

Das gegenwärtige Streikgeschehen in der Bundesrepublik ist aber nicht allen Akteuren ein Anlass zur Freude: Die Bundesregierung versucht, das Streikrecht durch das sogenannte Tarifeinheitsgesetz einzuschränken. Zu diesem Thema organisierte die RLS im Frühjahr 2015 eine Fachtagung in Erfurt – die erste Stiftungsveranstaltung, die durch einen linken Ministerpräsidenten eröffnet wurde. Kontrahenten der verschiedenen Lager wie der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Reinhard Göhner, und der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, trafen hier auf einander. In der Folge auch dieser Fachtagung wurde Bodo Ramelow als Schlichter für den langwierigen Konflikt bei der Bahn berufen.

Der auch medial stark beachtete „Streikfrühling“ 2015 deutet eine weitere Zunahme der Diskussionen um gewerkschaftliche Erneuerung an – nicht zuletzt im Bereich prekärer Arbeit. Wir wollen diese Diskussion und gewerkschaftliche Auseinandersetzungen auch weiterhin kritisch begleiten, thematisch verbreitern und hoffentlich bereichern.

Fanny Zeise ist Referentin für Arbeit, Produktion und Gewerkschaften, Florian Wilde ist Referent für Gewerkschaftspolitik in der Rosa-Luxemburg-Stiftung.