„Zutiefst dankbar für die Hilfe aus Kuba“

Museum des Befreiungskrieges 1973-91, Flüchtlingslager bei Tindouf.

(junge Welt) Europäische Linkspartei informierte sich in der Westsahara über die politische und humanitäre Lage. Ein Gespräch mit Florian Wilde. In junge Welt, 08.11.12 /

Sie waren Teilnehmer einer Delegation der Europäischen Linkspartei in die Westsahara. Sie haben dort Flüchtlingslager besucht und Gespräche mit der Polisario geführt, der Befreiungsbewegung der Sahrauis. Wie ist die humanitäre Lage dort?
Sehr angespannt, vor allem weil seit Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008 die internationalen Hilfslieferungen enorm zurückgegangen sind. Auch die Unterstützung aus Libyen ist entfallen, nachdem Staatschef Ghaddafi gestürzt wurde. Ein besonderes Problem ist, daß mehrere hundert Studentinnen und Studenten, die libysche Universitäten besuchten, ohne Abschluß zurückgeschickt wurden.

Wie sieht es konkret aus in den Lagern? Hungern die Menschen? Gibt es Krankheiten oder gar Epidemien?
Akuten Hunger konnten wir nicht feststellen – jedenfalls nicht in den von uns besuchten Lagern. Unsere Gesprächspartner von der Polisario fürchten allerdings, daß sich die Lage in kurzer Zeit dramatisch zuspitzen könnte. Was die Gesundheit angeht, konnten wir uns davon überzeugen, daß die Lager eine gut funktionierende medizinische Infrastruktur haben. Sie wurde über Jahrzehnte hinweg mit enormer Unterstützung aus Kuba aufgebaut, auch heute noch ist kubanisches Personal dort im Einsatz. Nicht nur die Bewohner der Lager, sondern auch die Polisario ist zutiefst dankbar dafür.

Nachdem Marokko jahrelang versucht hatte, sich die ehemals spanische Kolonie einzuverleiben, hatte die UN 1991 einen Waffenstillstand vermittelt. Es wurde auch vereinbart, daß eine Volksabstimmung über die Zukunft der Westsahara stattfinden soll. Das ist jetzt 21 Jahre her – wieso ist bisher nichts geschehen?
Marokko hat es verstanden, das zugesagte Referendum immer wieder zu verschleppen, mit immer wieder neuen und fadenscheinigen Vorwänden. Das war nur möglich, weil viele EU-Staaten und die USA das Königreich unterstützen – trotz der massiven Menschenrechtsverletzungen in der Westsahara.

Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen wollen sie mit Marokkos Hilfe Zugriff auf die riesigen Phosphatvorkommen in dieser Region bekommen und zum anderen das Fischfanggebiet zwischen der Sahara und den Kanarischen Inseln ausbeuten. Die EU bemüht sich zur Zeit um ein neues Fischereiabkommen mit Marokko. Das war zwar im ersten Anlauf gescheitert, wird aber möglicherweise im Dezember doch noch unterzeichnet.

Marokko hat einen Teil der Westsahara durch eine 2 700 Kilometer lange Mauer abgetrennt – kommt es trotz des Waffenstillstandes heute noch zu bewaffneten Auseinandersetzungen?
Die Mauer ist das eine – das andere sind fünf Millionen Landminen, die die marokkanischen Streitkräfte nach Angaben der Polisario dort verlegt haben. Regelrechte Kämpfe gibt es zwar nicht, in den besetzten Gebieten kommt es aber immer wieder zu kleineren Aufständen, vergleichbar mit der palästinensischen Intifada. Wie uns berichtet wurde, ist die Menschenrechtslage dort katastrophal, es gibt weder Versammlungsrecht noch Meinungsfreiheit. Erst vor zwei Jahren haben die Soldaten ein Lager brutal geräumt, in dem mehrere zehntausend Sahrauis die Einhaltung der Menschenrechte forderten. Alles unter Ausschluß der Weltöffentlichkeit.

Sie deuteten an, daß eine humanitäre Katastrophe droht – was kann die Europäische Linkspartei dazu beitragen, um das zu verhindern?
Ein Ziel unserer Reise war, uns an Ort und Stelle über die Lage zu informieren. Zum anderen wollten wir die Beziehungen zur Polisario festigen, der zentralen Organisation der Sahrauis. Wir müssen versuchen, auf die europäischen Regierungen einzuwirken, daß sie sich endlich für das vereinbarte Referendum einsetzen und auf Marokko einwirken, die Menschenrechte zu respektieren. Ein Hebel, um mehr Druck auszuüben, wäre zum Beispiel das erwähnte Fischereiabkommen.

Ich sehe nur zwei Möglichkeiten, diese unhaltbaren Zustände zu ändern: Zum einen muß es innerhalb der EU massiven Widerstand gegen deren imperialistische Außenpolitik geben – zum anderen müßte es in Marokko endlich eine Bewegung geben, die das reaktionäre Königshaus beseitigt und die Demokratie durchsetzt.

Interview: Peter Wolter
Florian Wilde ist Mitglied im Parteivorstand der ­Linkspartei