(SoZ) 100 Jahre KPD.
Das lebendige Erbe des frühen deutschen Parteikommunismus.
Von Florian Wilde.
Inmitten des von der Novemberrevolution ausgelösten Umbruchs vereinigten sich zur Jahreswende 1918/19 der Spartakusbund und die Internationalen Kommunisten Deutschlands zur Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).
Die Notwendigkeit einer eigenständigen revolutionären Partei war erst während der Kriegsjahre klar geworden. Bis dahin hatten die Linksradikalen als Strömung in der SPD gewirkt. Die Unumgänglichkeit der Trennung wurde erst langsam und schmerzlich bewusst. Der Verbleib in einer Partei, die dem mörderischen Weltkrieg im Bündnis mit der eigenen Regierung den Segen gab, die einen Burgfrieden mit dem Kapital schloss und die Novemberrevolution bis zuletzt zu verhindern versuchte und sich dann gemeinsam mit den alten Mächten gegen die Räte stellte – drohte die Revolutionäre in den Augen kriegsmüder und rätebegeisterter Massen zu diskreditieren.
Frisch war außerdem die bittere Erfahrung des Säumens, ein Netzwerk der Revolutionäre innerhalb der SPD vor 1914 aufzubauen. Denn als der Krieg ausbrach, standen die linksradikalen Kriegsgegner ohne Strukturen, Geld und Publikationsorgane da. Dies alles musste von dem Kreis um Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches, Ernst Meyer und anderen – der Kerngruppe des Spartakusbundes – unter schärfstem Repressionsdruck während des Krieges mühevoll aufgebaut werden. Als es der SPD gelang, sich Mehrheiten in den Räten zu sichern und sie so die Selbstentmachtung der Räte zu erreichen, wurde den Revolutionären die Notwendigkeit einer eigenständigen Organisation nochmal dramatisch vor Augen gehalten.
Programm und Praxis
Diese Organisation wurde als KPD am ersten Tage des Jahres 1919 gegründet, der Gründungsparteitag verabschiedete ein von Rosa Luxemburg verfasstes marxistisches Parteiprogramm.
Bereits 28 Jahre zuvor hatte sich die SPD einer vom Marxismus inspirierten Programmatik verschrieben. Neu an der KPD sollte sein, dass bei ihr eine revolutionäre Programmatik und eine revolutionäre Praxis Hand in Hand gehen sollten. Das war die entscheidende Lehre aus der Entwicklung der SPD, die schließlich im großen Verrat, der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914, gemündet hatte. Insbesondere die Spartakisten wünschten sich außerdem eine Partei, die weit demokratischer funktionieren sollte als die SPD. Noch sehr präsent war ihre Erfahrung mit der Macht des SPD-Parteiapparats während der Kriegsjahre, als es diesem gelang, antimilitaristische Regungen der Parteibasis immer wieder abzuwürgen – in schreiendem Widerspruch zum Parteiprogramm.
Künftig sollten Minderheiten die Möglichkeit haben, Mehrheiten in der Partei zu erobern, ohne dabei an bürokratischen Apparaten zu scheitern. Die kommunistische Partei sollte im Gegensatz zur alten sozialdemokratischen Partei wahrhaft internationalistisch sein. Das große Trauma dieser linken Generation – dass die Parteiführungen sich 1914 auf die Seite der herrschenden Klasse schlugen – sollte sich nie wiederholen können. Die neue Partei sollte daher Teil einer verbindlichen weltweiten revolutionären Struktur werden, einer dritten Internationale.
Diese drei Grundmotive der KPD-Gründung – das revolutionäre, das demokratische und das internationalistische – machen eine Auseinandersetzung mit dieser Partei auch für heutige Linke spannend und lehrreich. In ihrem ersten Jahrzehnt war die KPD tatsächlich eine überaus demokratische und in sich plurale kommunistische Partei, die in einem lebendigen kollektiven Diskussionsprozess einen Weg zum Sozialismus suchte. Zahlreiche Flügel und Strömungen rangen miteinander um die Ausrichtung. Minderheitspositionen wurden auf Parteitagen und in der Parteipresse zur Diskussion gestellt. Immer wieder konnten vorherige Minderheiten auf demokratischem Wege eine Mehrheit in der Partei erobern, die Parteiführungen und -vorsitzenden wechselten mehrfach.
Strategische Herausforderungen
Heiß diskutiert wurde, wie die angestrebte Verbindung von revolutionärer Programmatik und Praxis konkret aussehen sollte. Anfangs überwog der Eindruck der Aufstandstage 1918/19. Als Hauptaufgabe der Revolutionäre galt, die Revolution «zu machen»: der entschiedenste, radikalste, vorwärtstreibende Teil einer revolutionären Bewegung zu sein und diese zur Eroberung der politischen Macht zu führen.
Und so stürzte sich die junge Partei sofort nach ihrer Gründung in die Rückzugsgefechte der Novemberrevolution: den Berliner Januaraufstand und die Kämpfe um die Räterepubliken in Bayern und Bremen. Mit voller Wucht wurde die Partei von der Repression getroffen und mit der Ermordung ihrer bekanntesten und fähigsten Köpfe faktisch enthauptet. Diese Schwächung des Kerns, der die Partei gegründet hatte, erschwerte die Strategiebildung der kommenden Jahre.
Nachdem die KPD durch ihre Vereinigung mit dem linken Flügel der USPD Ende 1920 endlich zu einer Massenpartei geworden war, versuchte sie in der «Märzaktion» des Jahres 1921, aus eigener Kraft einen aufständischen Generalstreik zu erzwingen – und scheiterte damit auf ganzer Linie. Auch für diese isolierte Aktion zahlte die Partei einen hohen Preis und verlor einen Gutteil ihrer eben erst gewonnenen Mitglieder.
Die gesamte Kommunistische Internationale musste sich nach dem Desaster der Märzaktion eingestehen: die revolutionäre Welle in Westeuropa war vorerst abgeebbt. Damit stand die kommunistische Bewegung vor der Herausforderung, ein Modell revolutionärer Politik zu entwickeln, dass auch für nichtrevolutionäre Zeiten tragfähig war. Ein Ausgangspunkt war dabei das Diktum Rosa Luxemburgs aus dem Parteiprogramm der KPD: man werde die Macht nur «durch den klaren, unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in Deutschland» ergreifen.
Unter der Parole «Zu den Massen» leiteten Lenin und Trotzki auf dem III.Weltkongress der Kommunistischen Internationale im Sommer 1921 die Wende hin zu einer Einheitsfrontpolitik ein. Als Hauptaufgabe der Kommunisten wurde nun nicht mehr nur der unmittelbar revolutionäre Akt des Aufstands definiert, sondern dessen langfristige Vorbereitung durch die Eroberung des ausschlaggebenden kommunistischen Einflusses in den Gewerkschaften, Betrieben und Stadtteilen.
Dies erforderte eine Teilnahme an allen konkreten Kämpfen, auch wenn sie für sich genommen noch nichtrevolutionär waren. Um breite Massen in gemeinsamen Aktivitäten vom Reformismus loszulösen und von der Richtigkeit kommunistischer Programmatik und Praxis überzeugen zu können, wurde eine neue Bündnispolitik mit der Sozialdemokratie abgestrebt, deren Kernelement kommunistische Vorschläge für gemeinsam zu führende außerparlamentarische Kämpfe der beiden Arbeiterparteien waren. Mittels einer solchen «revolutionären Realpolitik» gelang es der KPD unter ihrem Vorsitzenden Ernst Meyer 1921/22, sich als Massenpartei zu konsolidieren und ihren Einfluss in der Arbeiterschaft in einem Maße auszubauen, dass die Partei im Oktober 1923 noch einmal einen Aufstand ins Auge fassen konnte.
Pervertierter Internationalismus
Das internationalistische Grundmotiv der KPD-Gründung führte zu ihrer engen Einbindung in die Strukturen der Komintern, in der wiederum der russische Einfluss kontinuierlich zunahm. Als sich Stalin in Folge des Scheiterns des «deutschen Oktobers» in der isoliert bleibenden Sowjetunion durchsetzen konnte, nutzte er die Komintern als Transmissionsriemen zur Installation gleichgesinnter Führungen in den KPs, zur Durchsetzung einer Apparatherrschaft und zum Abwürgen der Parteidemokratie.
Auch die KPD degenerierte schließlich zu einem autoritär geführten Satelliten der Stalinschen KPdSU. Bis heute wird die Frühphase der KPD durch eine Thälmann-Hagiographie und das Zerrbild einer monolithisch-autoritären Partei verschattet.
Dabei lässt sich gerade in der Auseinandersetzung mit der frühen KPD verdeutlichen, dass Kämpfe um konkrete Reformen und die systemüberwindende, revolutionäre Perspektive keineswegs Gegensätze sein müssen, sondern eine organische Einheit antikapitalistischer Strategie bilden können. Dogmatismus und die autoritäre Herrschaft des Parteiapparats waren keineswegs von Anbeginn Teil des kommunistischen Projekts.
Die junge KPD bietet sich auch heute noch für all jene als Bezugspunkt an, die selbstbewusst an revolutionäre Traditionen anknüpfen wollen und nach historischen Bezugslinien für den Aufbau einer sozialistischen Massenbewegung im 21.Jahrhundert suchen.
* Der Autor ist Gewerkschaftsreferent bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Autor von Revolution als Realpolitik. Ernst Meyer (1887–1930). Biographie eines KPD-Vorsitzenden (Konstanz 2018).
Veröffentlicht in: SoZ – Sozialistische Zeitung 1/19.