Klimaschutz und Klassenpolitik

(ALiNA)

Klimaschutz und Klassenpolitik. 

Von Florian Wilde. 

Bereits zum dritten Mal wurde im Sommer 2019 der Allzeit-Hitzerekord in Deutschland gebrochen. Der Klimawandel ist auch hierzulande spürbare Realität geworden. Gleichzeitig haben die Klima-Proteste mit der Fridays for Future“-Bewegung eine bisher ungekannte Dynamik angenommen.
So sehr linke Politik die auch von neusten Studien belegte Erkenntnis, dass er menschengemacht ist, gegen die Klimawandel-Leugner aus dem AfD-Umfeld verteidigen sollte, so sehr sollte sie sich hüten, „den Menschen“ insgesamt die Schuld für diese mittelfristig sogar ihre Existenz als Gattungswesen bedrohenden Entwicklungen zuzuschieben. Denn es ist nicht „der Mensch“ im Allgemeinen dafür verantwortlich, sondern die spezifische Art und Weise, in der unsere Gesellschaft und unsere Produktion heute organisiert sind.

Wer ist verantwortlich für die herannahende Klimakatastrophe?

Tatsächlich sind nicht alle Menschen gleichermaßen verantwortlich zu machen – im Gegenteil: Zweidrittel aller seit der industriellen Revolution ausgestoßenen Treibhausgase gehen auf das Konto von nur 90 Konzernen. Die reichsten 10% der Bevölkerung sind für über die Hälfte der gegenwärtigen CO2-Emissionen verantwortlich. Ein Angehöriger des reichsten Prozents der Weltbevölkerung ist für 175mal mehr Treibhausgase verantwortlich als ein Angehöriger der ärmsten zehn Prozent, hat die Hilfsorganisation Oxfam berechnet. Es ist dabei keineswegs ein Zufall, dass diese Zahlen gleichermaßen das Spiegelbild der sozialen Ungleichheit sind, in deren Folge heute die reichsten 10% der Weltbevölkerung über 85% aller Vermögen besitzen, während sich die restlichen 90% der Menschen die verbleibenden knappen 15% aufteilen dürfen. Soziale Ungleichheit und Klimawandel bedingen einander, denn sie entspringen der selben Quelle: dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, in dem alle Unternehmen bei Strafe ihres Untergangs auf den Märkten gezwungen sind, um jeden Preis so viel Profit wie nur irgendwie möglich zu erwirtschaften, völlig ungeachtet der Kosten, die die Umwelt und die armen und arbeitenden Menschen für diese Profite zahlen müssen.

Wer sind die ersten Leidtragenden des Klimawandels?

Und es werden zuerst die Armen sein, deren Leben durch den Klimawandel zerstört werden. Bereits jetzt treffen Hitzewellen, Dürreperioden und Überschwemmungen ganz überproportional arme Länder. In nicht allzuferner Zukunft wird der Klimawandel die Lebensbedingungen auch in einem reichen Land wie Deutschland zunehmend beeinträchtigen. Doch werden die Reichen die letzten sein, die es betrifft: sie können ihre Häuser als erste mit Klimaanlagen ausrüsten, werden sich eine Bleibe in kühleren Gegenden organisieren können – und sich Villen in den Bergen kaufen, wenn die Ebenen in den Fluten versinken.

Solange die bestehenden Eigentumsverhältnisse und das sie hervorbringende Wirtschaftssystem nicht fundamental geändert werden, werden alle Appelle an „die Menschen“, sich einzuschränken und einem klimafreundlicheren Lebenswandel zuzuwenden, nutzlos verhallen. Denn welchen Sinn soll es haben, einen Lebenswandel einzuschränken, der sowieso nur minimal zum Klimawandel beiträgt, solange Konzerne und Superreiche den Planeten gnadenlos weiter in die Klimakatastrophe treiben?

Was muss sofort passieren?

Eine sozialistische Klimapolitik darf aber natürlich nicht tatenlos auf das Ende des Kapitalismus warten. Konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz müssen unverzüglich und mit höchster Priorität in Angriff genommen werden. Entscheidend ist dabei das Verständnis der eigentlich Verantwortlichen: Es sind die deutschen Autokonzerne, die seit Jahrzehnten eine Verkehrswende blockieren. Es sind die deutschen Stromkonzerne, die sich einer Energiewende verweigern und in unverantwortlicher Weise weiter auf die Kohle setzen. Es sind die Lebensmittelkonzerne, die seit Jahren eine Abkehr von Plastikverpackungen sabotieren. Es sind die Eigner der Kreuzfahrt- und Containerschiffe, die unverdrossen unsere Luft verpesten. Ein echter Klimaschutz ist nur in harter Frontstellung gegen diese Konzerne und ihre Profitinteressen denkbar. Und die potenziell größte Macht, diese Konzerne in die Knie zu zwingen, haben die Menschen, die für sie arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen. Denn wenn sie ihre Arbeit niederlegen, bricht die ganze Macht und Herrlichkeit der Konzerne, die auf der Ausbeutung ihrer Arbeiter*innen beruht, in sich zusammen. Würden sich die arbeitenden Menschen vereinigen und als arbeitende Klasse kollektiv der Klasse der Eigentümer, Ausbeuter und Klimazerstörer entgegentreten: die Türe stünde auf zu einer vernünftigen Ordnung der Welt, in der endlich der Mensch, die Umwelt und der Klimaschutz im Zentrum stehen – und nicht mehr die Profite der Kapitalisten. Der Neoliberalismus hat die Arbeiterklasse versprengt, gespalten und geschwächt. Oberstes Ziel linker Politik muss daher sein, die Macht der arbeitenden Klasse in den konkreten Kämpfen um Umverteilung und Klimaschutz wiederaufzubauen und klimabewegte Aktivist*innen für eine klassenpolitische Orientierung zu gewinnen.

Wer kann die sozial-ökologische Klima-Wende durchsetzen?

Ein großes Problem ist allerdings, dass gerade die dringend erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen eine Vereinigung der arbeitenden Klasse und das Zusammengehen mit der Klima-Bewegung zu erschweren drohen: die Beschäftigten in der Kohle-, Auto- oder Rüstungsindustrie fürchten um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze – eine Sorge, die unter kapitalistischen Rahmenbedingungen keineswegs unbegründet ist. Es besteht daher die reale Gefahr, dass sie sich gegen die Klima-Bewegung wenden und auf die Seite ihrer Konzerne schlagen, um ihre Arbeitsplätze zu verteidigen und ihrem Absturz in Arbeitslosigkeit und Armut zu entgehen.

Eine sozialistische Klassenpolitik, die den Klimawandel aufhalten möchte, muss daher immer verschiedenes leisten: Zuvörderst und im Bündnis mit der Klima-Bewegung und den Gewerkschaften den Kampf für den Klimaschutz gegen die Hauptverantwortlichen des Klimawandels organisieren, gegen Großkonzerne und Superreiche. Die großen Konzerne müssen unter öffentliche demokratische Kontrolle gestellt und ihr Handeln dem Allgemeinwohl – insbesondere dem Klima- und Umweltschutz, aber auch guten Arbeitsbedingungen und guten Löhnen – verpflichtet werden. Die Vermögen der Superreichen müssen enteignet und zum Schutz von Umwelt und Klima, zur Absicherung guter Arbeit und zum Abbau der globalen sozialen Ungleichheit verwendet werden.

Gleichzeitig gilt es, den Spaltungslinien innerhalb der Arbeiterklasse entgegenzuwirken und alle Teile der Klasse – auch die Beschäftigen etwa der Energie- und Autokonzerne – mitzunehmen und ihre Anliegen mit denen der aufkommenden Klima-Bewegung zusammenzubringen. Dies wird nur gelingen, wenn linke Politik konkrete Klimaschutzmaßnahmen zum Einen mit Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Lohnarbeitenden in Konfrontation mit den wahren Verursachern des Klimawandels – etwa durch Arbeitszeitverkürzungen und Lohnerhöhungen – verknüpft, und zum Anderen mit dem Kampf um eine vernünftige Organisation von Gesellschaft und Produktion im Interesse der übergroßen Mehrheit der Menschen verbindet – also mit der Perspektive auf eine wirklich demokratische, sozialistische Gesellschaft. In einer solchen Gesellschaft würde durch massive Arbeitszeitverkürzung nicht nur die Arbeit gerecht verteilt werden, sondern auch ausreichend Freizeit zur Verfügung stehen, um einen klimafreundlicheren Lebenswandel der einzelnen zu ermöglichen. Massive Investitionen in den öffentlichen Verkehr würden Alternativen zu Auto und Kurzstreckenflügen schaffen und den Transport von der Straße auf die Schiene verlagern. Kein Beschäftigter eines klimaschädlichen Unternehmens müsste Angst vor dem Verlust seines dortigen Arbeitsplatzes mehr haben, wenn die Gesellschaft ihm Einkommen und Wohnung sowie einen klimaneutralen Arbeitsplatz garantieren würde. Sobald eine Gesellschaft als Ganze sich ernsthaft und glaubwürdig dem Schutz des Klimas und dem größtmöglichen Wohlergehen aller ihrer Mitglieder verpflichtet, wird es auch eine echte Bereitschaft der Einzelnen geben, den individuellen Lebenswandel klimafreundlich anzupassen.

Fazit

Der Klimawandel stellt die Menschheit vor fundamentale Herausforderungen. Die Grünen werfen zwar einige der großen Fragen unserer Zukunft auf, können aber keine der notwendigen, umfassenden Antworten liefern, weil sie den ökonomischen Rahmen, der die Zerstörung des Klimas wie auch die Ausbeutung der arbeitenden Menschen notwendig hervorbringt, keinesfalls antasten wollen.

Linke Politik muss diese Lücke füllen, und fundamentale Antworten anbieten: den Bruch mit den klimazerstörenden kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnissen und letztlich den Aufbau einer demokratischen sozialistischen Weltrepublik. Diese wird überhaupt erst die Voraussetzungen  schaffen, um im Weltmaßstab die notwendigen Maßnahmen zur Rettung des Klimas zu ergreifen, die gegenwärtig von den großen Konzernen und den ihren Interessen verpflichteten Regierungen der einzelnen Nationalstaaten blockiert werden.

Träger*innnen einer solchen ökosozialistischen Transformation müssen – neben Klima- und Umweltbewegungen wie „Fridays for Future“ – im Wesentlichen die arbeitenden Menschen sein, da nur sie die potenzielle Macht haben, der Herrschaft von Großkonzernen und Superreichen ein Ende zu setzen.

Nur durch den Wiederaufbau der Macht der arbeitenden Klasse in konkreten Kämpfen um Klimaschutz und Umverteilung wird sich die Perspektive auf eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft entwickeln lassen – und nur durch eine solche, umfassende Perspektive werden die verschiedenen Teile der arbeitenden Klasse im Kampf gegen die klimazerstörenden Großkonzerne miteinander verbunden werden können. Eine so verstandene sozialistische Klassenpolitik bietet die einzig realistische Option, die drohende Klimakatastrophe abzuwenden und der Menschheit in Gleichheit und Freiheit eine langfristige und damit klimaneutrale Zukunft zu erkämpfen.

Veröffentlicht in ALiNA – Altonaer linke Nachrichten Nr. 16, Herbst/Winter 2019/20, S. 3-5.