(unveröff. Hausarbeit, WS 1999)
Soziale Fragen in der Komödie des Aristophanes anhand der Wolken und dem Plutos.
Von Florian Wilde.
Inhaltsverzeichnis:
- Einleitung S.1
- Hauptteil S.3
2.1 Stellung der Sklaven S.3
2.2 Stadt und Land S.4
2.3 Reich und Arm S.6
- Schluß S.11
- Quellen- und Literautverzeichnis S.14
4.1 Quellen S.14
4.2 Literatur S.14
1.Einleitung
Im Athen des ausgehenden 5. und beginnenden 4.Jahrhunderts wurden Komödien anlässlich zweier Feste aufgeführt, der Dionysien und der Lenäen. Diese Feste hatten eine „enorme politische Bedeutung“1 für das Leben der Polis, kamen hier doch der Adel und das Volk ebenso wie die Bewohner von Stadt und Land zusammen. Die Komödie war daher aufs engste mit dem gesamten Leben der Polis verflochten2. Während der Dionysien und der Lenäen durften in den Komödien Politiker, Militärs und sogar die Götter fast uneingeschränkt verspottet, verhöhnt und beleidigt werden. Der heute bekannteste Komödiendichter dieser Zeit ist Aristophanes (* um 445 v.Chr., + um 385 v.Chr.), von dem elf Komödien erhalten geblieben sind.
Die Komödie des Aristophanes war politisch, und zwar „in dem Sinne, als sie Themen, die das Gemeinwesen, die Polis, betreffen, zum Inhalt hat.“3 Ein politisches Thema, das den Hintergrund zu verschiedenen Komödien des Aristophanes bildet, ist der Peloponesische Krieg (431-404 v.Chr.), so in den Achanern, im Frieden und in Lysistrate.
In der hier vorliegenden Arbeit soll der Umgang mit einem anderen politischen Thema, der „sozialen Frage“ im 5./4.Jhr.v.Chr. in der Komödie des Aristophanes untersucht werden. Die Komödie wurde von zahlreichen attischen Bürgern verschiedener sozialer und geographischer Herkunft besucht und war sehr volkstümlich gehalten. Sie reflektierte die Probleme und Wünsche der Gemeinschaft4 und kann daher viel Auskunft geben über das öffentliche Bewusstsein im Hinblick auf verschiedene soziale Probleme, erfüllte doch das „athenische Wesen sein Eigenstes … in Aristophanes“5, wie der Altphilologe Albin Lesky schreibt. Um den Umgang mit sozialen Themen in Athen zu untersuchen, erscheint mir daher die Komödie besonders geeignet.
Anhand zweier Komödien, der Wolken und dem Plutos, soll exemplarisch untersucht werden, ob und in wie weit der Konflikt zwischen Stadt und Land, der Umgang mit den Sklaven und der Unterschied zwischen arm und reich von Aristophanes (und damit dem Athen seiner Zeit) wahrgenommen und thematisiert wird. Der Schwerpunkt dieser Arbeit soll auf der Untersuchung des Umgangs mit dem Unterschied zwischen arm und reich liegen, einem Thema, dem Aristophanes eine eigene Komödie gewidmet hat, den Plutos.
Auf die Umfangreiche Forschungsdebatte über Aristophanes Haltung zu sozialen Problemen wie etwa die Kritik von Malcolm Heath6 an den Positionen von de Ste Croix7 und die Verteidigung dieser Positionen durch David Konstan8 soll hier nicht eingegangen werden. Statt dessen soll die Auseinandersetzung mit zwei Originaltexten (Wolken und Plutos) im Zentrum dieser Arbeit stehen. Beide Texte wurden „Aristophanes. Sämtliche Komödien“9, übertragen von Ludwig Seeger und mit einer Einleitung von Otto Weinrich entnommen. Für die Wolken wurde ausserdem auf die Übersetzung von Otto Seel (Reclam-Ausgabe von 1963) zurückgegriffen10. Für die Auseinandersetzung mit dem Werk des Aristophanes wurden neben den bereits erwähnten Werken von David Konstan und Malcolm Heath auf Douglas MacDowell´s „Aristophanes and Athens“11, auf Albin Leskys „Geschichte der griechischen Literatur“ und auf Bernhard Zimmermanns „Die griechische Komödie“ zurückgegriffen.
2.Hauptteil
2.1 Stellung der Sklaven
Die Erscheinung der Sklaven in den beiden untersuchten aristophanischen Komödien ist keineswegs servil, sondern im Gegenteil: Gerade im Plutos tritt der Sklave Karion seinem Herren Chremylos wie auch dem Gott Hermes selbstbewusst, mitunter fordernd und sogar befehlend gegenüber auf und äußert seine Meinung zu verschiedenen Themen – auch unaufgefordert – frei. Ja, er droht seinem Herren sogar: „Herr, wenn du mir nicht sagst, warum wir dem nachlaufen, kriegst du deine Not mit mir!“12 Und auf die Aufforderung zu schweigen, entgegnet er: „Pah, ich schweige nicht, bis du mir sagst, wer der Mensch da ist!“13
An der Unterhaltung zwischen seinem Herren und dem Gott Plutos nimmt Karion als gleichberechtigter Gesprächspartner teil14. Gegen Ende der Komödie stellt der Sklave Karion den Götterboten Hermes sogar als Bediensteten ein und befiehlt ihm: „Geh jetzt zum Brunnen und wasch die Kaldaunen ja recht sauber: Das soll dein Probestück als Bedienter sein!“15
In seinem „Staat der Athener“ beschreibt Pseudo-Xenophon (wegen seiner politischen Haltung auch der „alte Oligarch“ genannt) das öffentliche Auftreten der Sklaven in Athen:
„Bei den Sklaven hingegen und den Metoiken herrscht in Athen größte Zuchtlosigkeit, und man darf dort den Sklaven weder schlagen16, noch wird er dir bescheiden ausweichen. … Denn so wie an Kleidung das Volk daselbst nichts besseres ist als die Sklaven und die Metoiken, so sind sie auch in ihrer ganzen Erscheinung um nichts besser. … Deshalb haben wir sogar für die Sklaven freie Meinungsäußerung eingeführt in dem selben Maße wie für die Freien.“17
Diese Beschreibung wird in den Komödien des Aristophanes vollauf bestätigt. All das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der attische Bürger die rechtlichen Unterschiede zwischen sich und den Sklaven „sehr wohl empfand und verstand“18 und dass die Sklaven eben keine freien Menschen waren, sondern Eigentum ihrer Herren.
So wird in den aristophanischen Komödien deutlich, wie sehr das Schlagen von Sklaven (auch für kleine Vergehen) bzw. die Androhung von Schlägen durch ihre Herren im antiken Athen gang und gebe war.
So z.B. in den Wolken:
Sklave: „In unserer Lamp’ ist nicht ein Tropfen Öl!“
Strepsiades: „Was brennst du denn auch die versoffne Ampel? Komm her, ich will dir!“
Sklave: „Aber, Herr, warum denn?“
Interessant ist auch ein Vers im Plutos, in dem der Sklave Karion seine Stellung reflektiert: „So will’s das Schicksal! Meines Leibes Herr bin ich nicht selber, sonden wer ihn kauft. – Nun, sei es drum!“19 Bei aller oben geschilderten Freiheit der Rede stellt er sein Dasein als Sklave nie in Frage, sondern nimmt es als unabänderlich, als schicksalshaft hin.
2.2 Stadt und Land
Die meisten Komödien des Aristophanes stammen aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges, einer Zeit der besonderen Belastungen des Verhältnisses zwischen Stadt- und Landbevölkerung, waren doch aufgrund der spartanischen Besetzung Attikas immer wieder unzählige Bauern mit ihren Familien und ihrem Gesinde gezwungen, hinter den „langen Mauern“ Athens vorübergehend Zuflucht zu suchen. Ein solcher Flüchtling scheint in den Wolken Strebsiades zu sein, der, obwohl neben Sokrates wohnend, eigentlich auf dem Land lebt: „Was hatt´ ich für ein hübsches Bauernleben…“20 und einige Zeilen später: „Pardon, ich wohn weit draußen auf dem Dorf“21. Das gemeinsame Leben in der Stadt verändert die Beziehung zwischen Herren und den Knechten, die nichts mehr zu tun haben, was gleich am Anfang der Wolken deutlich wird: Strepsiades: „Den Hahn hab ich doch längst schon krähn gehört. Die Knechte schnarchen noch! Gab´s sowas eh? Hol dich, du Krieg, die Pest — aus vielen Gründen; jetzt darf man so ´nen Kerl noch nicht mal hau´n!“22 Letzteres deutet auf eine zunehmende Aufmüpfigkeit der Knechte (=Sklaven) hin, die auch noch zum Feind überzulaufen drohen23.
Dem nach Athen geflohenen Bauern Strepsiades wird seine bäuerliche Herkunft immer wieder negativ vorgehalten: Sokrates: „Herrje, was ist das für ein dummer Bauernlümmel“24, „du bist ein Rülp und Esel!“25, „Nein, solchen Tölpel sah ich doch noch nie, so bäurisch, linkisch, so stupid vergesslich“26. Dieses steht im Widerspruch zu der oft geäußerten Meinung, die Landarbeit sei in Athen eine besonders angesehene Form der Arbeit gewesen. Austin und Vidal-Naquet etwa betonen immer wieder, wie eng die Bindung der Athener an das bebaute Land war, war doch gerade das Recht auf Landbesitz der einzige rein wirtschaftliche Unterschied zwischen Bürgern und Nichtbürgern und daher ein besonderes Privileg27. Auch bestand die „geistige und soziale Elite Athens … immer weitgehend aus Grundbesitzern“28. In dieses Bild passt der herablassend-beleidigende Umgang des Sokrates mit dem Strepsiades nicht hinein. Möglich ist aber auch, dass gerade dieser herablassende Umgang negativ auf Sokrates zurückfallen soll, wird Sokrates doch als weltfremder und abgehoben in den Wolken schwebener Interlektueller dargestellt, über den man sich viel eher belustigen sollte als über die bäuerliche Art des Strepsiades. Eindeutig gibt es aber ein starkes kulturelles Gefälle zwischen (armen) Bauern und den Städtern. Dieses kommt nicht nur in den Problemen des Strepsiades, den Ausführungen des Sokrates zu folgen, zum Ausdruck. Er selbst beklagt diesen Unterschied zwischen sich und seiner Frau gleich zum Beginn der Wolken: „Als ich mit der das Hochzeitsbett bestieg, roch ich nach Hefe, Käs’und schmutz’ger Wolle, sie nach Pomade, Schmink’ und Zungenküsschen, Hoffart, Verschwendung, Schlemmerei und Buhlschaft.“29
2.3 Reich und arm
Die für die Frage nach dem Gegensatz von Arm und Reich und der ungerechten Verteilung der Reichtümer zweifellos ergiebigste Komödie ist Plutos. Leider ist ihre genaue Einordnung in den historischen Kontext schwierig. Die uns überlieferte Fassung stammt aus dem Jahre 388 v.Chr. (in dem sie auch aufgeführt wurde). Allerdings hatte Aristophanes bereits 408 einen Plutos aufgeführt. Welche Teile der uns überlieferten späteren Fassung älteren Datums sind, ist nicht bekannt. Daß beide Versionen identisch waren, ist, so Otto Weinrich in seiner Einleitung zu „Aristophanes: Sämtliche Komödien“ „unvorstellbar“, da einerseits ein Abstand von zwanzig Jahren mit einschneidenden Veränderungen in Athen zwischen beiden Aufführungen lag, andererseits Plutos in der uns überlieferten Fassung überhaupt nicht zum Stil aristophanischer Komödien aus der Zeit um 408 passe30. Somit müssen wir annehmen, das die Komödie die Zustände um 388 zum Thema hat, einer Zeit, als Athen den Zenit seiner Macht und seines Einflusses bereits überschritten hatte und viel persisches Gold in die Stadt floss, von dem allerdings bei ärmeren Schichten vor allem der ländlichen Bevölkerung kaum etwas ankam31.
Eines der wichtigen Themen im Plutos ist denn auch die Kritik an der Macht des Geldes, denn, wie der Bauer Chremylos feststellt: „Geld regiert die Welt“32. Daher sind die Reichsten auch die Mächtigsten, im Himmel wie auf Erden:
Chremylos: „Hör an: Was macht den Zeus zum Herren der Götter?“
Karion: „Je nun, sein Geld, er hat am meisten!“33
Immer wieder wird im Plutos die Spaltung der Gesellschaft in arm und reich, in ehrliche und unehrliche Menschen thematisiert. Chremylos erzählt seinen Sklaven, er habe das Orakel in Delphi aufgesucht, um den Gott Apoll zu befragen, ob sein Sohn den Weg des Vaters einschlagen solle, der sein ganzes Leben hart und ehrlich gearbeitet hat und dennoch in Armut lebt, oder ob er nicht Gauner, Schelm und Taugenichts werden sollte, da dieses der einzige Weg sei, zu Reichtum zu kommen (28-40). Der Gegensatz von unredlich erworbenem Reichtum und redlichem Leben in Armut durchzieht das ganze Stück. So klagt Chremylos an anderer Stelle: „Wem kommt es nicht vor wie verkehrt und verdreht, ja, wahrhaftig, die pure Verrücktheit? Nichtswürdige Schurken, und ihrer sind’s viele, besitzen die Fülle des Reichtums, unehrlicherweise zusammengescharrt! Doch viele der redlichsten Männer sind im Elend und nagen am Hungertuch und verkehren mit dir nur, o Armut!“34
Als Chremylos, inzwischen durch die Hilfe des Gottes Plutos reich geworden, seinen Freund Blepsidemos trifft, kann dieser sich denn auch nicht vorstellen, daß Chremylos durch etwas anderes als ein Verbrechen reich geworden wäre (367). Erst vermutet er, Chremylos habe einen Tempel geschändet, dann, daß der Reichtum durch Diebstahl zustande kam, und als Chremylos seinen Freund überzeugen kann, daß es kein Diebstahl war, vermutet dieser, es müsse wohl Raub gewesen sein (357-388). Die Vorstellung, Reichtum könne auf andere als auf unehrliche Art erworben werden, ist ihm vollkommen fremd.
Ein auf unehrliche Weise reich gewordener Mensch tritt im Stück auf, der Sykophant. Karion befragt ihn, was er denn beruflich treibe, ob er Bauer, Kaufmann oder vielleicht Handwerker (also Angehöriger eines redlichen Berufes) sei. Der Sykophant weisst jede dieser Beschäftigungen empört von sich. Er nämlich lebe von „öffentlichen und Privatgeschäften“, was im Falle eines Sykophanten bedeutet, Leuten hinterher zu schnüffeln, um sie vor Gericht zu bringen und so Geld zu verdienen. Von sich aber behauptet er, auf diese Weise dem Vaterland zu dienen (900-913). Den Handwerkern, Kaufleuten und Bauern, also Menschen, die einer gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeit nachgehen, wird hier der vom Staat ausgehaltene Schmarotzer (personifiziert durch den Sykophant) gegenüber gestellt.
Aristophanes formuliert an diesen Stellen eine scharfe Kritik an den Reichen und Mächtigen Athens, die als rein parasitäre Klasse dargestellt werden. Im ganzen Stück ist von keinem einzigen reichen Mann die Rede, der seinen Reichtum auf ehrliche Art erworben haben könnte.
Zur Lösung des Problems der ungerechten und ungleichen Verteilung der Reichtümer werden im Plutos verschiedene Möglichkeiten diskutiert.
Die eine Möglichkeit, einzelne redliche Menschen reich und mächtig zu machen, wird verworfen, weil einzelne Menschen, sobald sie reich sind, auch schlecht werden. Plutos etwa beklagt sich bitter über einzelne, die von ihm reich gemacht wurden: „Und haben sie mich dann und sind sie reich – Spitzbuben werden sie gleich, unübertrefflich niederträchtig.“35
Und an anderer Stelle klagt Penia, die Göttin der Armut: „In den Städten, wie steht’s mit den Rednern? Ihr seht es ja täglich: Solange sie arm sind, da handeln sie redlich und ehrlich am Volk und am Staate, wer könnte sie schelten? Doch wenn sie sodann vom gemeinsamen Gut sich bereichert, da wandeln sie plötzlich in gefährliche Feinde des Volkes sich um, in Schurken und Landesverräter!“36
Den anderen, geradezu sozialrevolutionären Lösungsvorschlagt macht Chremylos. Er will, dass mit Hilfe des Gottes Plutos alle redlichen, aber armen Menschen reich werden, die reichen, unredlichen Menschen aber verarmen:
„Darüber, behaupt’ ich, ist jeder sich klar und erkennt als gerecht es und billig, dass ehrlichen Menschen es wohlergeh’ und das Glück die gerechten nur segne, daß den Schurken hingegen es schlecht ergeh’ und die Frevler das Unglück verfolge. So meinen wir sollt’ es und müsst’ es geschehn und fanden nach langem Studieren ein vortreffliches Mittel, ein Plänchen, so schön und so heilsam und allen ersprießlich: Wir geben dem Plutos zurück das Gesicht … dann wird er gewiss nur die Guten besuchen in Zukunft und sie nimmer verlassen! Gottlose jedoch wird er fliehn und die Schlechten: dann werden reich alle, die redlich und ehrlich sind… .“37 Der Vorschlag des Chremylos läuft also darauf hinaus, das unterste der Gesellschaft nach oben zu kehren, die bisher mächtige, parasitäre Klasse durch die redlich arbeitenden, bisher aber von Macht und Reichtum ferngehaltenen Klassen zu ersetzen – also eine radikale Umgestaltung der attischen Sozialverhältnisse.
Diesem Vorschlag allerdings hält die Göttin der Armut, Penia, einerseits entgegen, dass, wenn alle Güter gleichmässig verteilt wären, niemand mehr nützliche körperliche und wissenschaftliche Arbeit verrichten wollen würde und daher das Leben schlechter werden würde, da es bald für den Reichtum keine Güter und keine Sklaven mehr zu kaufen gäbe. Dieses müsse zum Verfall der Gesellschaft führen. Denn die Armut bringe „an Gestalt und an Geist weit bessere Männer“hervor als der Reichtum, der nur „dickwanstige Herren mit geschwollenen Wampen und Waden“ hervor zu bringen vermag, wohingegen die Armen „schlank wie die Wespen und straff und im Kampfe den Feinden ein Schrecken“ sind.38
Andererseits argumentiert sie, dass Reichtum die Menschen immer korrumpiert. Dieses könne man beispielsweise an den Rednern in den Städten sehen, die, sobald sie sich bereichern können, zu gefährlichen Feinden des Volkes werden (s.o.). Daher wohne Rechtschaffenheit nur bei der Armut, bei den Reichen hingegen nur Laster und Frevel.39
Die Argumentation der Penia läuft also darauf hinaus, dass es in der Natur der Menschen läge, dass die, die reich und mächtig werden, automatisch auch schlecht und faul würden und daher „alles, was gut ist, von der Armut kommt“40. Von der Abschaffung der Armut durch eine gleichmässige Verteilung der Güter, wie sie Chremylos vorschwebt, könne eine Gesellschaft daher nichts Gutes erwarten – ja, sie meint sogar, daß Chremylos „den Menschen … keinen schlimmeren Dienst erweisen“41 könnte.
Penia und Chremylos führen in der dritten Szene des zweiten Aktes ein hitziges Streitgespräch über die Abschaffung der Armut durch eine gerechte Verteilung des Reichtums, in dem Penias Argumente für Chremylos die überzeugenderen sind. Dennoch will er nicht von seinem Plan ablassen, alle redlichen Menschen mit Hilfe des Plutos reich zu machen: „Denn hätt’st du auch recht, recht geb ich dir nie“42 entgegnet Chremylos der Penia.
Chremylos setzt seinen Plan also um. Im vierten und fünften Akt werden verschiedene Auswirkungen der neuen Verhältnisse dargestellt. In das Haus des zuvor armen Chremylos hat nie gekannter Reichtum Einzug gehalten, Karion zählt in der ersten Szene des vierten Aktes die unterschiedlichen Reichtümer ausführlich auf43. Gleich anschließend betritt ein redlicher Bürger, „unglücklich sonst, jetzt überglücklich“44, die Bühne um dem Gott für seinen neuen Reichtum zu danken.
Aber auch von den neuen Verhältnissen geschädigte Personen treten auf. So der bereits erwähnte Sykophant, der klagt: „Verloren hab ich alles, Hab und Gut, durch diesen Gott!“45 Ebenso eine rechtschaffende alte Frau, deren bisheriger Liebhaber, ein Jüngling, nun, da er auf ihr Geld nicht mehr angewiesen ist, von ihr nichts mehr wissen will. Sie klagt: „Seit sein Gesicht der Plutos wieder hat, hat er das Leben grausam mir verbittert.“46
Auch die Götter und ihre Priester gehören zu den Verlierern der neuen Ordnung. Nun, da fast alle reich geworden sind, will keiner mehr den Göttern opfern. Die Götter und ihre Priester drohen zu verhungern47.
Das Ende des Plutos ist offen. Es wird nicht geklärt, ob die von der Göttin Penia befürchteten negativen Folgen der Abschaffung der Armut tatsächlich eintreten. Den durch die Neuverteilung der Reichtümer zu Schaden gekommenen wird geholfen, soweit sie rechtschaffend sind (dem Sykophanten also nicht). Der alten Frau verspricht Chremylos: „Dein Jüngling kommt heut abend noch zu dir!“48 Hermes findet als Bediensteter im Hause des Chremylos Beschäftigung und Auskommen49 und der Priester des Zeus wird zum Priester des Plutos50.
- Schluss:
In den beiden untersuchten Komödien werden verschiedene soziale Probleme thematisiert. Während sie in den Wolkenallerdings nur am Rande (etwa bei der Charakterisierung bestimmter Personen ) auftauchen, stehen soziale Probleme und mögliche Lösungen im Zentrum des Plutos.
Was die Stellung der Sklaven anbelangt, wird in beiden Komödien die Aussage des oben zitierten Textes des Pseudo-Xenophon über die Sklaven bestätigt: In ihrem Auftreten und in dem, was sie sagen, sind sie kaum von freien Athenern zu unterscheiden. Ihr selbstbewusstes Auftreten und ihre Freiheit der Rede sind jedoch nur die eine Seite des Sklaven-Daseins, wie es uns in der Komödie begegnet. Die andere Seite sind Schläge auch aus nichtigem Anlass und die die Freiheit der Rede kontrastierende Unfreiheit des Seins. Eine Unfreiheit, die an keiner Stelle in Frage gestellt wird, sondern die, auch von den Sklaven, als selbstverständlich hingenommen wird.
Der Gegensatz von Stadt und Land begegnet uns in den Wolken vor allem als ein kultureller Gegensatz, personifiziert durch den bodenständig-einfältigen Bauern Strebsiades auf der einen und den abgehobenen, in den Wolken schwebenden Interlektuellen Sokrates auf der anderen Seite. Die Darstellung des Strebsiades als etwas einfältigen Bauern soll meines Erachtens die in der Komödie kritisierte Abgehobenheit des Sokrates kontrastieren. Eine grundlegende Kritik des „ländlichen Idiotismus“ ist nicht die Intention von Aristophanes, denn die bäuerlichen Hauptakteure im Plutos wie der Chremylos bestechen keineswegs durch Einfalt, sondern sind im Gegenteil sogar zu höchst anspruchsvollen Streitgesprächen in der Lage wie die Diskussion zwischen Chremylos und Penia verdeutlicht.
Während die Themen Sklaverei und der Unteschied von Stadt und Land eher nebensächlich behandelt werden, ist der Gegensatz zwischen arm und reich das zentrale Thema im Plutos und scheint somit als ein wichtiges Problem in der öffentlichen Auseinandersetzung in Athen wahrgenommen worden zu sein.
Aristophanes scheint dieses Problem als ein grundlegendes Menschheitsproblem zu betrachten, wird es doch (ebenso wie die Ansätze zu seiner Lösung) sehr allgemein und nicht anhand konkreter politischer Fragen oder Personen Athens um 388 v.Chr. diskutiert. Auffallend ist, wie modern einerseits die Darstellung des Problems (das arbeitsfreie Einkommen der reichen Klassen im Gegensatz zum Leben in Armut für die arbeitenden Klassen), andererseits die Vorschläge zu seiner Lösung anmuten.
Ein Lösungsvorschlag, den man heute als „Reformismus“ bezeichnen würde, lautet, ohne die Strukturen der Gesellschaft grundlegend zu verändern, einzelne anständige Menschen reich zu machen (also nach oben zu bringen), in der Hoffnung, sie würden dann eine anständige Politik machen. Im Plutos wird dieser Ansatz schnell verworfen. Plutos selbst hat die Erfahrung gemacht, wie schnell diese Leute, reich geworden, zugleich auch „unübertrefflich niederträchtig“51 werden. Penia führt Redner an, die, solange sie arm sind, auch redlich sind, sich aber, sobald sie sich aber an öffentlichen Mitteln bereichern können, „plötzlich in gefährliche Feinde des Volkes“52 verwandeln. Der Marsch Einzelner durch die Institutionen scheint also schon im antiken Athen die Marschierer weit mehr verändert zu haben, als die Institutionen.
Aus dem offensichtlichen Scheitern dieses Ansatzes zieht Chremylos radikale, in ihrer Konsequenz egalitär-kommunistische Schlussfolgerungen: Er will mit Hilfe des Gottes Plutos allen arbeitenden Armen zu Reichtum (und damit Macht, denn: „Geld regiert die Welt“53 [eine Feststellung, die in den letzten 2.500 Jahren sicher nichts an Aktualität eingebüsst hat]) verhelfen, die bisherigen, parasitären Reichen aber ins Elend stürzen.
Die Argumente, mit denen die Göttin Penia Chremylos von der Notwendigkeit des Scheiterns eines solchen kommunistischen Versuches überzeugen will, sind die gleichen, mit denen die Kommunisten des 19. und 20.Jhr.n.Chr. konfrontiert wurden. Im Kern drehen die Argumente der Penia sich um die Frage nach der „Natur des Menschen“, die ihrer Ansicht nach für ein egalitäres Gesellschaftsmodell ungeeignet ist. Einerseits, so argumentiert sie, werden die Menschen, wenn sie einmal alle reich sind, faul und wollen nicht mehr arbeiten, andererseits werden Menschen durch Reichtum (und damit Macht) automatisch und immer schlecht.
Das Ende der Komödie bleibt sehr offen. Chremylos setzt seinen Plan in die Tat um und es werden positive wie negative Auswirkungen gezeigt. Nicht gezeigt wird, ob die Befürchtungen der Penia sich alle bewahrheiten. Dieses offene Ende deutet darauf hin, dass Aristophanes die im Plutos geführte Diskussion in die attische Gesellschaft hineintragen wollte, ohne sich oder die Zuschauer auf eine der Positionen festzulegen. Es wäre sicherlich falsch, Aristophanes als einen Anhänger sozialrevolutionärer Ideen zu betrachten. Dass in der Komödie die Argumente der Penia den Chremylos zwingen, ihr im Prinzip rechtzugeben54, deutet darauf hin, dass ihre den kommunistischen Ideen des Chremylos gegenüber skeptische Haltung der des Aristophanes entsprach. Das offene Ende zeigt aber zugleich, dass Aristophanes derartige kommunistische Ideen für zumindest diskussionswürdig hielt und sie nicht von vornherein zum Scheitern verurteilen wollte.
Besonders spannend ist die ganz am Ende der Komödie dargestellte Auswirkung einer kommunistischen Sozialordnung auf die Religion: Sobald die Reichtümer gleichmäßig und gerecht verteilt sind, ist das Ende der Götter und ihrer Priester gekommen. Keiner will ihnen mehr opfern, und so verlässt Hermes schließlich den Olymp, um als Bediensteter eines Bauern zu arbeiten. Aristophanes nimmt hier die materialistische Religionskritik des 19.Jhr.n.Chr. (Feuerbach, Marx) vorweg: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“55 Sobald die Menschen unter Bedingungen von sozialer Gleichheit leben, brauchen sie die Religion nicht mehr, die Götter (versinnbildlicht durch Hermes) werden wieder zu den Bediensteten ihrer Schöpfer, der Menschen und müssen sogar den Befehlen der Sklaven gehorchen.
Unabhängig davon, dass dieses Ende der Götter für die Athener des 4.Jhr.v.Chr. eher ein Argument gegen die Einführung einer egalitären Sozialordnung gewesen sein dürfte (und wohl daher von Aristophanes aufgeführt wird), ist die Erkenntnis, dass die Existenz der Götter von den Verhältnissen abhängt, unter denen die Menschen leben, sicherlich eine für die Zeit des Aristophanes revolutionäre Erkenntnis.
1 Zimmermann, Bernhard: Die griechische Komödie, Düsseldorf/Zürich 1998, S.17
2 Lesky, Albin: Geschichte der griechischen Literatur, München 1993, S.472
3 Zimmermann S.57
4 Zimmermann S.63
5 Lesky S.471
6 Heath, Malcolm: Political Comedy in Aristophanes, Göttingen 1987
7 de Ste. Croix, G.E.M.: The class struggle in the Ancient Greek world, London 1983
8 Konstan, David: Greek Comedy and Ideology, New York/Oxford 1995
9 Hoenn, Karl (Hsg.): Aristophanes. Sämtliche Komödien, Zürich 1968. (Künftig als Plutos oder als Wolken1)
10 Aristophanes: Die Wolken. Übersetzung, Nachwort und Anmerkungen von Otto Seel, Stuttgart 1963. (Künftig als Wolken2)
11 MacDowell, Douglas: Aristophanes and Athens. An Introduction to the Plays, Oxford 1995
12 Plutos Vers 19
13 Plutos Vers 24f
14 Plutos Vers 55ff
15 Plutos Vers 1169f
16 „D.h. ein freier Mann konnte nicht beliebig einen Sklaven schlagen, der ihm nicht gehörte“, Anm. d. Hsg. in: Austin, Michel/Vidal-Naquet, Pierre: Gesellschaft und Wirtschaft im alten Griechenland, München 1984, S.249
17 Zit. nach Austin/Vidal S.248f
18 Austin/Vidal S.248
19 Plutos Vers 6f
20 Wolken2 Vers 43
21 Wolken2 Vers 138
22 Wolken2 Vers 7
23 Thukydides schreibt: „Nun hatten die Athener nicht nur ihr ganzes Gebiet verloren, sondern auch mehr als 20.000 ihrer Sklaven waren zum Feind übergegangen.“ in: Thukydides: Der Peleponesische Krieg, Augsburg 1959, 7,27
24 Wolken2 Vers 492
25 Wolken2 Vers 654
26 Wolken1 Vers 628ff
27 Austin/Vidal S.76f
28 Austin/Vidal S.78
29 Wolken1 Vers 49f
30 Hoenn, S.75
31 ebenda
32 Plutos Vers 149
33 Plutos Vers 130
34 Plutos Vers 501f
35 Plutos Vers 109
36 Plutos Vers 567f
37 Plutos Vers 489-497
38 Plutos Vers 558-561
39 Plutos Vers 564
40 Plutos Vers 593
41 Plutos Vers 463
42 Plutos Vers 100
43 Plutos Vers 802-22
44 Plutos Vers 825
45 Plutos Vers 857
46 Plutos Vers 968
47 Vgl. Plutos, fünfter Akt
48 Plutos Vers 1201
49 Plutos Vers 1166f
50 Vgl. Plutos, fünfter Akt, zweite Szene
51 Plutos Vers 109
52 Plutos Vers 567f
53 Plutos Vers 149
54 Plutos Vers 100
55 Marx, Karl/Engels, Friedrich: Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Berlin (Ost) 1985, S.9
- Quellen und Literaturverzeichnis
4.1 Quellen
Aristophanes: Die Wolken. Übersetzung, Nachwort und Anmerkungen von Otto Seel, Stuttgart 1963.
Hoenn, Karl (Hsg.): Aristophanes. Sämtliche Komödien, Zürich 1968.
Thukydides: Der Peleponesische Krieg, Augsburg 1959.
4.2 Literatur
Austin, Michel/Vidal-Naquet, Pierre (Hsg.): Gesellschaft und Wirtschaft im alten Griechenland, München 1984.
de Ste. Croix, G.E.M.: The class struggle in the Ancient Greek world, London 1983.
Heath, Malcolm: Political Comedy in Aristophanes, Göttingen 1987.
Konstan, David: Greek Comedy and Ideology, New York/Oxford 1995.
Lesky, Albin: Geschichte der griechischen Literatur, München 1993.
MacDowell, Douglas: Aristophanes and Athens. An Introduction to the Plays, Oxford 1995.
Marx, Karl/Engels, Friedrich: Ausgewählte Werke in sechs Bänden, Berlin (Ost) 1985.
Zimmermann, Bernhard: Die griechische Komödie, Düsseldorf/Zürich 1998.