Gegenmacht im Gegenwind

(VSA:Sozialismus)

Gegenmacht im Gegenwind.

Gewerkschaftliche Kämpfe als Antwort auf Rechtsruck, Transformation und Kürzungspolitik.

Von Fanny Zeise und Florian Wilde.

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Vom 2.-4. Mai 2025 findet unter dem Motto »Gegenmacht im Gegenwind. Gewerkschaftliche Kämpfe als Antwort auf Rechtsruck, Transformation und Kürzungspolitik« die 6. Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung – umgangssprachlich »Streikkonferenz« genannt – in Berlin statt. Diese seit 2013 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstalteten Konferenzen haben sich mit zuletzt 1550 Teilnehmer:innen in Bochum 2023 zu den wohl größten links-gewerkschaftlichen Konferenzen in Deutschland seit Jahrzehnten entwickelt. Genau werden wir es erst bei der Konferenz-Eröffnung im Audimax der TU Berlin am Abend des 2. Mai wissen – aber den bisherigen Anmeldungen nach zu urteilen dürfte der Andrang in diesem Jahr sogar noch größer werden.

Mitveranstaltet wird die Konferenz von zahlreichen Gewerkschaftsgliederungen aus Berlin und Ostdeutschland – darunter ver.di Landesbezirk Berlin, der Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen der IG Metall, und die Berliner Sektionen von NGG, EVG, GEW und IG BAU – sowie gewerkschaftsnahen Einrichtungen wie der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt der TU Berlin und Arbeit und Leben. Sie bringen viele der Themen und Redner:innen ein, die sich nun im Konferenzprogramm finden.

Konferenz mit spezifischem Ansatz

Die »Streikkonferenzen« mit ihrem Fokus auf gewerkschaftliche Erneuerung verfolgen dabei einen sehr spezifischen Ansatz: Sie behandeln verschiedene Facetten einer konflikt- und beteiligungsorientierten Gewerkschaftsarbeit, knüpfen an aktuellen Auseinandersetzungen an und bearbeiten damit konkrete Themen aktiver haupt- und ehrenamtlicher Kolleg*innen. Dabei steht die konkrete Praxis im Zentrum. Über Erfahrungsberichte aus der Gewerkschaftsarbeit und die Diskussion mit den Teilnehmer:innen finden Reflexions- und Austauschprozesse über geeignete Strategien und Aktionsformen statt. Diese können so in anderen Branchen und Kontexten übernommen bzw. weiterentwickelt und angepasst werden. Dieser Prozess wird intensiviert, indem Gewerkschaftsforscher*innen ihre Forschungsergebnisse und ihren analytischen Blick in die gewerkschaftliche Debatte einbringen und ihrerseits von Diskussionen mit Praktiker*innen und Feldzugängen für weitere Forschung profitieren. Wichtig ist zudem der Vernetzungscharakter der Konferenz: Kolleg*innen einzelner Branchen tauschen sich überregional aus, diskutieren die konkreten nächsten Herausforderungen und können im Anschluss auf die neu geknüpften Kontakte zurückgreifen. Sie bieten damit gewerkschaftlich Aktiven einen Raum der Vernetzung und des Austausches – und damit handlungsrelevante Anregungen für die Herausforderungen ihrer alltäglichen Arbeit. Die Ausrichtung an praktisch relevanten Themen ermöglicht es zudem, Gewerkschafter*innen mit sehr geringem Zeitbudget anzusprechen. Zu den Erfolgsrezepten der Konferenzen gehört, dass sie nicht ideologisch-programmatische Fragen zum Ausgangspunkt nehmen, sondern die Herausforderungen der tagtäglichen Gewerkschaftsarbeit und das breit geteilte Bedürfnis nach einer Erneuerung der Gewerkschaften mit der Perspektive einer Stärkung der Organisationsmacht. Sie setzt an der Frage an, wie selbst gesteckte Ziele durchgesetzt werden können. Dadurch kann sie Anschlussfähigkeit über die klassischen linksgewerkschaftlichen Milieus hinaus erreichen sowie eine gewerkschafts- und generationenübergreifende Ausstrahlung entfalten, denn hier kommen Kolleg:innen verschiedener Gewerkschaften und Altersgruppen miteinander in den Austausch. Wichtig ist dabei auch, dass kritische Positionen nicht sektiererisch und rückwärtsgewandt, sondern solidarisch, vorwärtsgewandt und im Sinne einer Stärkung der Gewerkschaften formuliert werden. Mit diesem Ansatz konnte sich um die Rosa-Luxemburg-Stiftung im Laufe der Zeit eine Art gewerkschaftliche Such- und Erneuerungsbewegung etablieren, für die die Konferenzen eine zentrale Plattform für Austausch und der Vernetzung geworden sind.

Spezifische Inhalte

Die  Bochumer Streikkonferenz 2023 stand mit dem Motto »Gemeinsam in die Offensive« noch im Zeichen kämpferischer und recht erfolgreicher Tarifrunden nach den Inflations-Jahren. Damals hatten sich viele Gewerkschaften getraut, die Anliegen ihrer Mitglieder aufzunehmen und hohe Lohnforderungen zu stellen. In diesen Auseinandersetzungen zeigten die Gewerkschaften, dass sie kämpfen konnten. Bei der Post, im öffentlichen Dienst, in der Süßwarenindustrie und in anderen Bereichen war die Streiks stark, es wurde viel Neues ausprobiert und die Gewerkschaftseintritte waren hoch. Für ver.di war 2023 das Jahr mit der besten Mitgliederentwicklung seit der Gründung 2001.

Heute hat sich die Stimmung gewandelt, der Wind dürfte den Gewerkschaften unter einer wohl künftig von Friedrich Merz angeführten Bundesregierung scharf ins Gesicht wehen. Und von den Wahlerfolgen der AfD bis zu Trump im Weißen Haus scheint ein gewaltiger rechtsextremer Sturm aufzuziehen. Gewerkschaftliche Antworten auf den Rechtsruck sind daher eines der Oberthemen der Konferenz – aber ebenso die Auseinandersetzungen um die Transformation der Industrie und der Widerstand gegen die Kürzungspolitik. Es geht um Gegenmacht im Gegenwind.

In dieser Situation scheint es uns hilfreich, uns zu verständigen, uns gegenseitig Mut zu machen und weiter an der Erneuerung der Gewerkschaften zu arbeiten. Denn gerade jetzt muss Gewerkschaftsarbeit politischer, konfliktorientierter und partizipativer werden, um durchsetzungsfähig sein. Gerade im Gegenwind gilt: Nur mit von Vielen getragenen Protesten und Streiks kann eine Gewerkschaft ihre volle Kraft entfalten.

Gegen Rechts in Betrieb und Gesellschaft

Der sich im Kontext eines globalen Rechtsrucks vollziehende Aufstieg der AfD stellt die dem Antifaschismus aus der Geschichte heraus stark verpflichteten deutschen Gewerkschaften vor große Herausforderungen. In den Betrieben befördert er kulturalistische Spaltungslinien, die einer Vereinigung der Belegschaften entlang der Klassenlinie entgegenstehen, und in der Gesellschaft einen Rassismus, der migrantische Kolleg:innen mit und ohne deutschen Pass bedroht. Obwohl das Aufrüstungs- und Steuererleichterungsprogramm der AfD dezidiert gewerkschafts- und beschäftigtenfeindlich ist, gewinnt sie auch in den Betrieben und besonders im Industriebereich an Boden. Daher eröffnen wir die Konferenz mit einem Podium zum Rechtsruck in Betrieben und Gesellschaft, bei dem Kolleg:innen aus verschiedenen Gewerkschaften ihre Perspektiven auf die Ursachen und ihre Strategien für eine Gegenwehr vorstellen werden.

Der betriebliche Rechtsruck ist auch Gegenstand weiterer Arbeitsgruppen. Hier geht es etwa darum, wie man rechte Listen, wie das Zentrum Automobil, bei Betriebsratswahlen bekämpfen kann, aber auch um Strategien zum Umgang mit rechten Einstellungen und rassistische Spaltungslinien im Betrieb und zum Teil auch in der eigenen Gewerkschaft.

Weil es bei der Konferenz um Erneuerung geht, wollen wir aber auch die großen Proteste gegen die AfD und den Rechtsruck, die auch von Gewerkschaften getragen wurden, sowie Mut machende Aktionen in Betrieben in den Blick nehmen. Denn nicht zuletzt im Bündnis Widersetzen waren Gewerkschafter:innen zentral daran beteiligt, den AfD-Parteitag in Riesa im Januar mit zivilen Ungehorsam zu behindern. Kolleg:innen von Zeiss in Jena haben sich hingegen mit Aktionen im Betrieb gegen eine mögliche Regierungsbeteiligung der AfD in Thüringen gestellt.

Außerdem wollen wir fragen, ob es einen Zusammenhang von offensiver Gewerkschaftsarbeit und politischen Einstellungen von Beschäftigten gibt. Eine Studie der OBS, die auf der Konferenz vorgestellt wird, legt nahe, dass betriebliche Partizipationserfahrungen demokratische Einstellungen befördern.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: je mehr Mitbestimmung es in den Betrieben gibt, desto schwerer haben es die Rechten tendenziell in den Belegschaften. So gibt es gute Gründe anzunehmen, dass Menschen, die solidarisch zusammen kämpfen und dabei erfahren, dass sie etwas verändern können, nicht so leicht auf die zutiefst beschäftigtenfeindliche AfD reinfallen. Beteiligungsorientierte und offensive Gewerkschaftsarbeit scheint ein ganzes Stück weit gegen rechte Einstellungen zu immunisieren.

Daneben ist eine klare Kante gegen rechts wichtig. Mit der Gründung des „Verein zur Bewahrung der Demokratie“ hat die IG Metall einen wichtigen Baustein für die Verknüpfung von antifaschistischer Recherche, gewerkschaftlicher Expertise und betrieblichem Engagement geliefert.

Um dem Erstarken rechten Gedankenguts den Nährboden zu entziehen, braucht es aber auch grundlegende politische und solidarische Alternativen von Parteien, Bewegungen und nicht zuletzt Gewerkschaften. Hier zeigt sich die Notwendigkeit, politischer zu werden, sehr deutlich.

Transformation in der Krise

Diese Notwendigkeit zeigt sich für die Gewerkschaftsbewegung jedoch auch stark in den Auseinandersetzungen um eine Transformation der Industrie. Denn aktuell sieht es gerade bei den exportabhängigen Industrien im Organisationsbereich der IG Metall wirtschaftlich nicht gut aus. Der Absatz der Produkte schwächelt und die notwendige Transformation hin zu einer weniger klimaschädlichen Produktion wird nicht mit Zukunftsinvestitionen angegangen, sondern für Beschäftigungsabbau und Standortverlagerungen genutzt.

Das wurde besonders bei VW deutlich. Hier wurden drastische Managementfehler gemacht: Man hinkt bei der E-Mobilität hinterher und anstatt ein für viele Menschen bezahlbares Auto zu entwickeln, hat der Konzern die letzten Jahre auf PKW für Besserverdienende gesetzt, weil damit kurzfristig hohe Profite erwirtschaftet und entsprechende Dividenden ausgeschüttet werden konnten. Um diese hohen Renditen für die Anteilseigner zu halten, hatte der Konzern Ende 2024 Werkstilllegungen und Entlassungen angekündigt.

Die Kolleg:innen reagierten mit großen Demonstrationen und Warnstreiks. Auf deren Grundlage gelang der IG Metall die Verhinderung der angedrohten Standortschließungen – allerdings unter Inkaufnahme von Lohnverzicht und Beschäftigungsabbau.

Dabei reden wir hier von Belegschaften, die sehr gut organisiert sind und in der Vergangenheit beispielhafte Arbeitsstandards erkämpft haben. In diesen Großbetrieben gibt es nicht nur Betriebsräte, sondern auch gewerkschaftliche Vertrauensleutestrukturen. Diese Stärke gilt es jetzt zu nutzen, um sie für die Zukunft zu bewahren. Am besten ausspielen lässt sich diese Stärke, bevor die Lage im Betrieb schwierig wird und damit einzelne Werke für das Kapital verzichtbar werden. Solange das Geschäft noch einigermaßen am Laufen ist, sind Beschäftigte weit mehr in der Lage, mit Arbeitsniederlegungen Druck auszuüben, frei nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung.

Mit Sozialtarifverträgen aus der Defensive?

Aber selbst unter schwierigen ökonomischen Rahmenbedingungen konnten in einigen Zukunfts- und Sozialtarifvertragsauseinandersetzungen Ergebnisse erzielt werden, die zudem eine Transformation mit Beteiligung der Beschäftigten eröffnet und gleichzeitig, zumindest für einen gewissen Zeitraum, Beschäftigungs- und Standortsicherung festgeschrieben haben.

Denn anstatt die Betriebsräte allein über die Umsetzung des Beschäftigungsabbaus verhandeln zu lassen, macht es die Forderung nach einem Sozialtarif- oder Zukunftstarifvertrag möglich, gewerkschaftliche Kämpfe samt Arbeitsniederlegungen zu führen. Auch mit kreativen Streikformen, etwa Solidaritätsstreiks im Fall einer Werkschließung bei GKN Driveline. Hier blockierte das Unternehmen lange eine Zukunfts-Betriebsvereinbarung und verkündete dann die Entscheidung, das Werk Mosel bei Zwickau zu schließen. Als erste Proteste nichts erreichten, traten die Kolleg:innen für einen Sozialtarifvertrag im Werk Mosel in den unbefristeten Streik, unterstützt durch Solidaritätsstreiks an anderen Standorten. Durch dieses solidarische Handeln konnte ein guter Sozialtarifvertrag in Mosel und ein Rahmentarifvertrag mit Beschäftigungssicherung bis 2028 für die anderen Standorte durchgesetzt werden.

Kampf und Widerstand in den Betrieben lohnt sich also für die Beschäftigten auch in einem rezessiven Umfeld. Notwendig ist aber auch hier politischer Druck – und diesen will die IG Metall mit Großdemonstrationen im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages am 15. März in fünf Städten auf die Straßen bringen. Denn der sozial-ökologische Umbau ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die über die betriebliche Ebene hinaus auch politisch angegangen werden muss. Statt auf der unsinnigen Schuldenbremse zu beharren, muss die Politik Geld in die Hand nehmen für die Sicherung guter Jobs, für die soziale Abfederung des Strukturwandels und für eine ökologische Produktion, die auf Bus und Bahn statt immer mehr PKWs und auf E-Mobilität statt Verbrenner setzt. Dafür braucht es mehr betriebliche und wirtschaftliche Demokratie. Dort wo öffentliche Gelder fließen, geht das nur mit Gegenleistungen – u.a. muss dann die Mitbestimmung von Belegschaft und Gesellschaft ausgeweitet werden.

Hier schließt sich auch der Kreis zum oben beschriebenen Rechtsruck: Ein ökologischer Umbau, der auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird, wird die AfD noch stärker machen, und ein Scheitern des Industrieumbaus droht ihr perspektivisch sogar den Weg ins Kanzleramt zu ebnen. Stattdessen braucht es kämpfende Belegschaften, die ihre Expertise der Produktion und ihre Streikmacht einbringen und ein Bewusstsein, dass es sich hier um eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung handelt, die uns alle angeht. Auf der Konferenz wollen wir uns daher konkrete Auseinandersetzungen anschauen, die beides zumindest im Keim enthalten.

Gegen die Kürzungspolitik

Um eine Auseinandersetzung, die uns alle betrifft, handelt es sich aber auch bei den Kürzungen im öffentlichen Dienst. Mittels einer Unterfinanzierung der Kommunen und der Länder werden bereits jetzt Kürzungen in der Daseinsvorsorge durchgesetzt.

In Berlin sollen aktuell 3 Mrd. Euro vor allem im sozialen und kulturellen Bereich eingespart werden. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und viele weitere Initiativen haben schon Ende 2024 Widerstand gezeigt. Eine weitere Demonstration steht Ende Februar in Berlin an – Proteste, die wir auch auf unserer Konferenz auswerten wollen.

Gleichzeitig könnte die laufende Tarifrunde im öffentlichen Dienst die erste große Auseinandersetzung mit einer möglichen von Friedrich Merz geführten Regierung werden. Bisher zeigen sich die öffentlichen Arbeitgebervertreter wenig verhandlungsbereit und haben sogar mit Ronald Koch den ehemaligen Ministerpräsidenten von Hessen als ihren Schlichter bestimmt, der in seiner Amtszeit die Tarifflucht seines Bundeslandes zu verantworten hatte. Im öffentlichen Dienst ist nicht nur eine deutliche Lohnerhöhung für die über 2,6 Mio. Beschäftigten dringend notwendig, weil sich die realen Tarifentgelte auf Grund der Inflation trotz relativ hoher Tarifsteigerungen durch den Abschluss 2023 auf dem Niveau von 2017 befinden. Diese ist aber auch aus Sicht der Bevölkerung wichtig, die auf funktionierende Kitas, Bürgerämter und Nahverkehr angewiesen ist. Und Bewerber:innen für 500.000 unbesetzten Stellen sind schwer zu finden, wenn die Jobs unattraktiv entlohnt sind.

Angesichts der von der Union geplanten Agenda 2030, die vor allem Steuersenkungen für Besserverdienende beinhaltet, sind weitere Sozialkürzungen wahrscheinlich. Schon angekündigt hat sie weitere Repressionen und Einsparungen beim Bürgergeld.

Die Verteilungsspielräume werden aber auch durch die massiven, noch über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehenden, Aufrüstungspläne fast aller Parteien sehr viel enger, zumal das Sondervermögen von 100 Milliarden für die Bundeswehr 2027 ausgeschöpft sein und dann den Haushalt zusätzlich belasten wird. Zu befürchten ist, dass durch diesen Druck zwar die Schuldenbremse reformiert wird, aber der Austeritätskurs für Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau, Sozialausgaben und öffentliche Infrastruktur beibehalten werden wird.

Sowohl in Tarifauseinandersetzungen als auch auf der politischen Ebene werden Gewerkschaften in den Verteilungskonflikten der kommenden Jahre dringend gebraucht. Wenn die Union sprachlich an die Agenda 2010 der Regierung Schröder/Fischer vor über 20 Jahren anknüpft, ist Vorsicht geboten. Damals kam gewerkschaftlicher Widerstand spät und zögerlich. Der massive Druck auf Erwerbslose und die Ausweitung von prekärer Beschäftigung und Niedriglöhnen schwächt die Gewerkschaften bis heute. Die Konferenz soll daher auch ein Ort sein, gemeinsam die neue Lage zu analysieren, eine gewerkschaftsübergreifende Verständigung anzustoßen und gesellschaftliche Bündnisse und Proteste anzugehen.

Dabei können viele Erfahrungen mit politischen Druckkampagnen der letzten Jahre Anregungen bieten. So setzte die Krankenhausbewegung die Politik mit Ultimaten vor Landtagswahlen unter Druck. Beschäftigte brachten durch intensive Pressearbeit mit Berichten von ihrem Arbeitsalltag und gezielter Ansprache ihrer jeweiligen Communities die Bevölkerung auf ihre Seite und konnten dadurch Erfolge erzielen. Innovative Organizing-Methoden führten große Teile der Belegschaften aktiv in die Auseinandersetzung, und die unmittelbare Einbeziehung auf den Stationen gewählter Team-Delegierter in das Tarifverhandlungsgeschehen stärkte die Verhandlungsmacht der Tarifkommission deutlich. Die Krankenhausbewegung konnte durch diese Kampagnenelemente und den Draht zur Bevölkerung vielerorts Entlastung und mehr Personal durchsetzen.

Aus Erfahrungen lernen

Der Gegenwind mag heftig sein – aber es gibt in den gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen viele Momente des Aufbruchs und der Erneuerung. Wir wollen sie auf der »Streikkonferenz« sichtbar machen und haupt- und ehrenamtlichen Kolleg:innen das Wort zu ihren damit gemachten Erfahrungen erteilen. Inhaltlich bietet das Konferenzprogramm dabei über die roten Fäden Rechtsruck, Transformation und Kürzungspolitik hinaus eine breit gefächerte Themenpalette, um das facettenreiche Spektrum sich erneuernder Gewerkschaftsarbeit abzubilden. Hier werden vom strategischen Einsatz von Organizing-Methoden über den systematischen (Wieder-)Aufbau von Vertrauensleutestrukturen und einer Öffnung von Tarifverhandlungen bis hin zu neuen Streikformen viele Aspekte des Machtaufbaus diskutiert. Neue Ansätze verschiedener Branchen wie der gezielte Einsatz von Produktionsmacht gerade in niedrig entlohnten Bereichen oder der Kampf gegen Auslagerungen kommen zu Sprache. Aber auch der Stand in Punkto Arbeitszeitverkürzungen, Erfahrungen mit feministischer Gewerkschaftsarbeit und historische Auseinandersetzungen haben Platz im Konferenzprogramm. Immer wieder stellen wir die Frage nach gesellschaftlichen Bündnismöglichkeiten in Tarifkämpfen, wie sie in dem Bündnis von ver.di und der Klimabewegung in der Tarifrunde Nahverkehr exemplarisch geworden ist. Wir wollen uns von dynamischen Aufbrüchen wie dem der TVStud-Bewegung studentischer Beschäftigter an den Hochschulen inspirieren lassen. Und wir wollen auch „dicke Bretter“ wie die Gewerkschaftsarbeit bei Amazon oder Tesla und Strategien gegen das Union Busting in den Blick nehmen, ohne die auf den Baustellen, in der Lebensmittelindustrie oder im Einzelhandel gemachten Erfahrungen aus dem Blick zu verlieren.

Auch methodisch hat die Konferenz von Themen- über Praxis-Seminaren und Arbeitsgruppen bis zu Vernetzungstreffen viel Unterschiedliches zu bieten. Verschiedene Organizing-Ansätze werden nicht nur theoretisch diskutiert, sondern auch praktisch eingeübt, wobei auch internationale Teamende des weltweiten »Organizing for Power«-Programms der RLS, dass die von Jane McAlevey entwickelten Organizing-Methoden vermittelt, eingeladen sind.

Wir hoffen, dass die Konferenz wieder als Plattform für Austausch und Vernetzung der gewerkschaftlichen Erneuerung fungieren wird – und dass ihr ein überzeugender Ausblick auf die Herausforderungen unter einem neuen politischen Szenario gelingt. Denn unter den Vorzeichen von Rezession, Aufrüstung und weiteren Steuergeschenken an die Kapitalseite scheint das Auswerten und Verallgemeinern erfolgreicher Erfahrungen umso wichtiger, und umso notwendiger ein Fortsetzen der Bemühungen um Erneuerung: Damit gewerkschaftliche Gegenmacht trotz Gegenwind und Zeitenwende auf- und ausgebaut werden kann.

Fanny Zeise und Florian Wilde sind Referenten für Gewerkschaftspolitik in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und organisieren seit 2013 die »Streikkonferenzen« mit. 

Veröffentlich in: Sozialismus 3-2025, S.49-53.