„Diskussionsfreiheit ist innerhalb unserer Partei absolut notwendig“.
Zum Verhältnis des KPD-Vorsitzenden Ernst Meyer zur innerparteilichen Demokratie 1921/22
Von Florian Wilde. Veröffentlich in Jahrbuch für historische Kommunismusforschung
Ernst Meyer – der vergessene KPD-Vorsitzende
Ernst Meyer, obwohl „einer der bemerkenswertesten Führer des deutschen Kommunismus“, ist bis heute relativ unbekannt geblieben. Außer einigen Kurzbiographien , der allerdings sehr ergiebigen politischen Autobiographie seiner Frau sowie einem Aufsatz von Hermann Weber aus dem Jahre 1968 gibt es keine Arbeiten, die sich intensiver mit ihm beschäftigen.
Dabei spielte der 1887 geborene Meyer von seinem Eintritt in die SPD 1908 bis zu seinem Tod 1930 eine wichtige Rolle auf dem linken Flügel der deutschen Arbeiterbewegung.
Meyer, zum Freundeskreis um Rosa Luxemburg zählend, gehörte nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu den Gründern und Führern der Gruppe Internationale und des aus ihr hervorgegangenen Spartakusbundes. Diese Gruppen vertrat er auch als Delegierter auf den internationalen Treffen sozialistischer Kriegsgegner in Zimmerwald (1915) und Kienthal (1916). Auf dem Gründungsparteitag der KPD wurde er in die Zentrale der Partei gewählt, der er in den folgenden Jahren fast ununterbrochen angehörte und in der er verschiedene leitende Funktionen übernahm. Am II. und IV. Weltkongress der Komintern (1920 und 1922) nahm Meyer als Delegierter der KPD teil. In Folge der Verhaftung des KPD-Vorsitzenden Heinrich Brandler im April 1921 übernahm Meyer kommissarisch die Leitung der Partei. Nach dem Jenaer Parteitag zum Leiter des Polbüros gewählt, wurde er zum faktischen Vorsitzenden der KPD. Unter seiner Führung gelang – vor allem wegen der wesentlich von ihm vorangetriebenen Einheitsfrontpolitik gegenüber SPD und Gewerkschaften – eine Konsolidierung der KPD als Massenpartei. Nach der Rückkehr Brandlers im August 1922 mit Unterstützung des Komintern-Apparates allmählich entmachtet, wurde Meyer auf dem Leipziger Parteitag der KPD (Januar 1923) nicht wieder in die Zentrale gewählt. Als der linke Flügel um Ruth Fischer Anfang 1924 die Führung der Partei übernahm, wurde er zur führenden Figur der oppositionellen Kreise, der sogenannten Mittelgruppe, von ihren Gegnern später als „Versöhnler“ geschmäht. 1926 kehrte Meyer als Führer der Mittelgruppe in die zentralen Gremien der Partei zurück, war vorrübergehend neben Thälmann der „eigentliche Parteiführer“ und bestimmte erneut „maßgebend die Geschicke der KPD“. Der bereits schwer erkrankte Meyer wurde nach der erneuten ultralinken Wende der KPD 1929 aus der Führung entfernt und in der Partei an den Rand gedrängt. Am 2.2.1930 starb Ernst Meyer und wurde auf dem Sozialisten-Friedhof in Berlin-Friedrichsfelde bestattet.
Die KPD 1921/22: Noch eine demokratisch verfasste Partei?
Die Frage, wie demokratisch verfasst die KPD Anfang der 20er Jahre war, ist in der Forschung heftig umstritten. In der „klassischen“ westdeutschen KPD-Forschung, so in Ansätzen bei Ossip K. Flechtheim und dann v.a. bei Hermann Weber, wird deutlich unterschieden zwischen einer diskussionsfreudigen, demokratischen Anfangsphase der KPD und der entdemokratisierten, vom Apparat bürokratisch gesteuerten und von der Komintern und damit der Führung der KPdSU gänzlich abhängigen KPD der späten Weimarer Republik. Dazwischen habe die Phase der – in der KPD anfänglich als „Bolschewisierung“ deklarierten – Stalinisierung und einer damit verbundenen grundlegenden „Wandlung“ der Partei in den Jahren 1924-28 gelegen: „[Die Stalinisierung] bedeutete für die KPD den Wandel von einer Partei mit einem hohen Maß an innerer Demokratie in eine disziplinierte Organisation mit strikt zentralisierter Befehlsgewalt. Stalinisierung hieß Veränderung des inneren Aufbaus, Entstehung einer monolithischen, straff durchorganisierten, hierarchischen Partei. In ihr beherrschte die Führungsspitze mit Hilfe des Apparates […] die Mitgliedschaft; die Politik wurde im Sinne und entsprechend den Weisungen der Stalinschen KPdSU praktiziert. […] An die Stelle von Pluralismus, Selbstständigkeit, Diskussion und Autonomie [traten] Unterordnung, Gläubigkeit, Disziplin und Kommandoherrschaft“. Mit der Stalinisierung sei das Entwicklungspotenzial eines in der Anfangsphase der Partei noch dominanten „demokratischen Kommunismus“ Luxemburgischer Prägung verschüttet worden, der in der Auseinandersetzung mit dem „diktatorisch-bürokratischen Kommunismus“ schließlich unterlegen sei. Die Stalinisierung sei aber „schwerlich als notwendiger und unumgänglicher, ja wohl nicht einmal als folgerichtiger Werdegang des deutschen Kommunismus zu begreifen“.
Diese Wandlungsthese wurde von Weber vor allem in seinem 1969 erschienenen, richtungsweisenden Werk „Die Wandlung des deutschen Kommunismus. Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik“ herausgearbeitet. An ihrer Gültigkeit hält Weber bis heute fest.
Es gibt aber auch Stimmen, die dieser These widersprechen. In ihrem 1986 erschienenen Werk „Aufstand der Avantgarde. Die Märzaktion der KPD 1921“ siedelt Sigrid Koch-Baumgarten – obwohl sie an der Wandlungsthese grundsätzlich festhält – die erste Metamorphose des Kommunismus schon vor der Phase 1924-28 an.
Sie bezeichnet schon die Ausschlüsse von Mitgliedern in Folge der Auseinandersetzung um die Märzaktion als „Säuberungswellen“ und kommt zu dem Schluss: „Damit war die erste und entscheidende Phase der >Bolschewisierungstalinisierenluxemburgischenweitgehenden innerparteilichen DemokratieStalinisierungStalinisierung< sprechen als von einer sehr frühen Bolschewisierung der KPD ausgehen“.
In jedem Fall ist Wirsching zuzustimmen, wenn er fordert: „Die These von den alternativen Potentialen der Frühzeit [muss] sich am empirischen Material konkret erweisen“.
Einen Beitrag hierzu soll der vorliegende Artikel leisten. In ihm soll das Verhältnis des Parteivorsitzenden Ernst Meyer zur innerparteilichen Demokratie in der KPD in den Jahren 1921/22 herausgearbeitet werden. Da ein wesentlicher Gradmesser für den demokratischen Zustand einer Partei ihr Umgang mit oppositionellen Minderheiten ist, soll im Folgenden der Umgang Meyers und der von ihm geleiteten Zentrale mit dem rechten und dem linken Flügel der Partei untersucht werden.
Der Schwerpunkt wird dabei auf der Auseinandersetzung mit der rechten Opposition liegen, da dieser im untersuchten Zeitraum seinen Höhepunkt und Abschluss erreichte. Dabei wird es nicht um die inhaltliche Dimension der Auseinandersetzungen gehen, sondern um die grundlegenden Positionen Meyers (bzw. der von ihm geleiteten Zentrale) zur parteiinternen Demokratie, die sich anhand der Konflikte mit den oppositionellen Flügeln herausarbeiten lassen. Aus den Positionen Meyers sollen abschließend Rückschlüsse auf den Zustand der innerparteilichen Demokratie in der KPD 1921/22 gezogen werden.
Der Konflikt mit der rechten Opposition
Die „Märzaktion“ hatte die KPD in eine schwere Krise gestürzt. Der ehemalige Parteivorsitzende Paul Levi äußerte öffentlich scharfe Kritik am putschistischen Kurs der Partei und wurde daraufhin ausgeschlossen. Eine Reihe führender KPD-Mitglieder verließ mit ihm die Partei. Im September 1921 schlossen sie sich in der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft (KAG) zusammen. Sie versuchten, von außen den Kurs der KPD zu beeinflussen und hielten gleichzeitig Kontakt mit mit ihnen sympathisierenden Mitgliedern des rechten Flügels innerhalb der Partei. Zwischen dem rechten und dem starken linken Flügel etablierte sich eine Zentrumsströmung um Ernst Meyer. Diese Strömung dominierte die auf dem Jenaer Parteitag der KPD (22.-26.08.21) neugewählte Zentrale.
Zum Umgang mit den oppositionellen Strömungen meinten alle Zentrale-Mitglieder, „dass es absolut notwendig ist, mit starker Hand in das politische Leben der Partei einzugreifen, aber nicht durch organisatorische Maßnahmen, sondern durch politische Betrachtung des Objekts“. Und im Rundschreiben der Zentrale vom 30.10.21 heißt es: „Insbesondere ersuchen wir die Genossen aus den Bezirken, in keiner Weise […] zu Repressalien gegen rechtsstehende Parteigenossen vorzugehen, sondern noch mehr als bisher die Genossen zu tätiger Mitarbeit heranzuziehen“.
Das Bestreben, politische Konflikte in der Partei in erster Linie politisch und nicht organisatorisch, also etwa durch Maßregelungen oder gar Ausschlüsse, zu lösen, war kennzeichnend für die Haltung der gesamten Zentrale, vor allem aber Meyers selbst, in den folgenden parteiinternen Auseinandersetzungen. In seinem Referat auf der November-Sitzung des Zentralausschusses (ZA; höchstes beschlussfassendes Gremium der KPD zwischen den Parteitagen, tagte 1921/22 vierteljährlich) setzte sich Meyer auffallend sachlich mit den Auffassungen der KAG auseinander. Auch wenn er abschließend ihr „Vorgehen […] und ihre Existenz überhaupt als ein Verbrechen an der Arbeiterschaft“ bezeichnete, da sie „diejenigen Elemente aus der USP und SPD fernhält, die bereit sind, zu unserer Partei zu kommen“, welche aufgrund der Kritik der KAG glaubten, „dass auch unsere Partei absolut nichts tauge“, so trat er doch unbedingt für eine politische Auseinandersetzung mit dieser Gruppe ein: Die KPD habe die Auffassungen der KAG „politisch zu diskutieren und in der Diskussion zu widerlegen, und unsere Parteipresse wird […] kurz, sachlich und nüchtern die arbeitsgemeinschaftlichen Auffassungen widerlegen müssen. Organisatorisch gegen die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft vorzugehen, ist nur dann nötig, wenn die Arbeitsgemeinschaft […] anfängt, sich zu einer Partei auszubilden und organisatorisch uns Schwierigkeiten zu machen. Dann werden wir dem organisatorischen Vorgehen, das über eine rein publizistische Vertretung ihrer Interessen und falschen Auffassungen hinübergeht, auch organisatorisch antworten müssen“.
Im Winter 1921/22 erreichte der Konflikt mit der rechten Opposition in der sogenannten „Frieslandkrise“ seinen Höhepunkt und Abschluss. Ernst (Reuter-)Friesland, Generalsekretär der KPD, hatte sich, obwohl ursprünglich auf dem äußersten linken Flügel der Partei stehend, seit dem Jenaer Parteitag immer mehr den Positionen der KAG angenähert.
Auf ihrer Reichskonferenz am 20.11.21 hatte die KAG die Annahme von „Leitsätzen“ beschlossen, die verschiedene von ihr an die KPD gestellte Forderungen (gemeint auch als Voraussetzung für den Wiedereintritt der KAG in die KPD) enthielten.
Trotz bereits zuvor bestehender Differenzen kam es für die anderen Zentrale-Mitglieder sehr überraschend, dass sich Friesland auf der Sitzung des Polbüros am 12.12. und erneut auf der Sitzung der Zentrale am 14.12. zu den Forderungen der KAG bekannte , an denen nur schlecht sei, „dass sie von der KAG und nicht von der KPD selber gestellt sind“. Damit war seine Mitgliedschaft im Führungsgremium der KPD problematisch geworden. Das Polbüro beschloss noch am 12.12. mit 5:3 Stimmen (neben Friesland scheinen Zetkin und Meyer, der persönlich ein gutes Verhältnis zu Friesland hatte, dagegen gestimmt zu haben ), das Amt des Generalsekretärs abzuschaffen und damit Friesland dieses Postens zu entheben. Einige Zentrale-Mitglieder forderten auch Frieslands Ausschluss aus der Zentrale. Meyer sprach sich dagegen aus. Auf ihrer Sitzung am 27.12. beschloss die Zentrale in Abwesenheit Meyers dann einstimmig, bis zur nächsten ZA-Sitzung Friesland von seinen Funktionen in der Zentrale und die mit ihm sympathisierenden Otto Brass und Heinrich Malzahn von ihren Funktionen in der RGZ (Reichsgewerkschaftszentrale der KPD) zu suspendieren. Meyer stimmte nachträglich der Suspendierung Frieslands zu, hielt die Maßnahmen gegen Brass und Malzahn aber für verfehlt.
Grund für die Suspendierung der betreffenden Genossen war, dass sie am 20.12. einen gemeinsamen Aufruf an die Mitglieder der KPD veröffentlicht hatten, der Sympathien mit den Positionen der KAG erkennen ließ. Am gleichen Tag veröffentlichte Friesland eine Broschüre „Zur Krise unserer Partei“, die sich mit den selben Themen beschäftigte. Am 22.12. legten Friesland, Malzahn und Brass der Zentrale eine von 128 Genossen, darunter fünf Mitgliedern der Reichstagsfraktion, unterzeichnete Erklärung vor, in der erneut der Rücktritt der belasteten Zentrale-Mitglieder und die Einrichtung eines internen Untersuchungsausschusses zur Märzaktion gefordert wurde. Anfang Januar erschien ein weiterer, diesmal von 28 prominenten Oppositionellen unterzeichneter, Aufruf.
Die zunehmend unter Druck geratene Zentrale veröffentlichte am 17.12. in ihrem „Politischen Rundschreiben“ folgenden Beschluss: „Die Stellung der KPD wie aller ihrer Mitglieder zur KAG kann […] nur die des schärfsten Kampfes sein. Jede direkte oder indirekte Unterstützung der Bestrebungen der KAG in den Reihen der KPD ist unvereinbar mit den Pflichten eines Parteimitglieds“. Weiter unten heißt es dann aber in dem Rundschreiben gleich einschränkend, es sei „streng zu unterscheiden zwischen der ideologischen Auffassung von Genossen, die mit der KAG sympathisieren, und zwischen Handlungen, die […] einen Bruch der Parteidisziplin bedeuten. Anschauungen werden natürlich nicht durch disziplinarische Maßregeln widerlegt, sondern sie können nur durch Aufklärung liquidiert werden“. Aber selbst bei Verstößen gegen die Parteidisziplin ersuchte die Zentrale die Ortsgruppen und Bezirke, dass „der ernste Versuch gemacht wird, die Genossen von der Schädlichkeit ihres Vorgehens zu überzeugen, und dass erst, wenn solche Versuche sich als völlig aussichtslos erweisen, disziplinarisch vorgegangen und in den ärgsten Fällen ein Ausschlussverfahren eingeleitet wird“.
Obwohl das EKKI (Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale) die gegenüber der rechten Opposition „zu schwache“ und „zu tolerante“ Haltung der deutschen Parteispitze scharf kritisierte , blieb die Zentrale bei ihrem Herangehen. So schrieb Meyer in einem Artikel vom 08.01.22 erneut: „Unsere Partei wird […] die politischen Fragen politisch beantworten und nur dann organisatorisch einschreiten, wenn grobe organisatorische Verstöße es absolut erfordern“. Tatsächlich suchte die Zentrale die politische Auseinandersetzung und räumte der Opposition breiten Raum zur Darstellung ihrer Positionen ein: Der Aufruf von Friesland, Brass und Malzahn, die Erklärung der 128 und der Aufruf der 28 wurden in der „Roten Fahne“ veröffentlicht, Friesland konnte auf KPD-Veranstaltungen in zahlreichen Städten, in Berlin beispielsweise auf einer Versammlung von 2000 Funktionären, seine Standpunkte vertreten und referierte auf der Sitzung des ZA am 22.01.22.
Meyer trug dort den „Bericht der Zentrale“ vor. Ausführlich beschäftigte er sich mit der KAG, der Friesland-Krise und mit dem Umgang mit der rechten Opposition. Meyer führte aus: „Die Genossen von der Opposition können sich nicht beschweren, dass nicht genügend Diskussionsfreiheit bestanden hat. […] Haben die Genossen in den letzten Monaten nicht Gelegenheit gehabt, innerhalb der Organisation alles zu sagen, was sie sagen wollten? Artikel über Artikel sind publiziert worden und Versammlungen über Versammlungen haben stattgefunden, wo die Genossen die breiteste Diskussionsfreiheit gehabt haben. […] Gerade auf die politischen Angriffe der KAG ist politisch geantwortet worden, und auf die politische Frage der Opposition ist politisch geantwortet worden. Als aber die Genossen organisatorisch gegen uns vorgingen, blieb der Zentrale nichts anderes übrig, als organisatorische Maßnahmen zu ergreifen. Die Zentrale ist zum Teil angegriffen worden, dass sie zu spät eingegriffen hätte. […] Wir halten diese Vorwürfe für fasch, und zwar aus folgenden Gründen: jede organisatorische Maßnahme wurde und ist selbst jetzt noch behandelt als eine Maßregelung, als ein Zeichen der Unfähigkeit, politisch zu antworten. Deshalb mussten wir diesen Kampf zuerst politisch führen“. Meyer stellte den Antrag der Zentrale an den ZA vor, Friesland, Brass, Malzahn und die Unterzeichner des „Aufrufs der 28“ aus der Partei auszuschließen, ein Schritt, der „die notwendige Folge ihres politischen und organisatorischen Auftretens“ sei, notwendig auch deshalb, weil die Auseinandersetzung mit der Opposition die Partei hindere, sich überhaupt noch mit aktuellen Fragen zu beschäftigen. Der ZA stimmte dem Antrag der Zentrale mit 41:4 Stimmen zu und schloss die Betreffenden aus. Mit dem Ausschluss Frieslands und der ihm nahestehenden Genossen, denen noch einige weitere Austritte von mit ihnen sympathisierenden Mitgliedern und Funktionären folgten, kam der Konflikt mit der rechten Opposition zu seinem Abschluss.
Der Umgang mit der linken Opposition
Die linke Opposition war zahlenmäßig weitaus stärker als die rechte, ihre Hochburgen in der Partei waren die mitgliederstarken Bezirke Berlin-Brandenburg (Wirkungsstätte der führenden Köpfe dieses Flügels, Ruth Fischer und Arkadij Maslow) und Wasserkante. Auf dem Jenaer Parteitag 1921 war „der Standpunkt der Linken stark zur Geltung“ gekommen. Dennoch bedeutete die Annahme der Einheitsfrontpolitik einen „entscheidenden Sieg der rechten und gemäßigten Richtungen in der KPD über den militanten linken Flügel“.
Während dieser in permanenter Opposition zur Auslegung der Einheitsfrontpolitik der Zentrale stand, versuchte die Zentrale dennoch, ihn zu integrieren und für seine Ansichten sogar das Zentralorgan der Partei offen zu halten. So beantragte der Bezirk Berlin-Brandenburg auf der Sitzung der Zentrale am 11.11.21, in der „Roten Fahne“ eine Beilage mit dem Titel „Taktik und Organisation“ erscheinen zu lassen und diesem Bezirk die Redaktion der Beilage zu übertragen. Die Zentrale beschloss, die Beilage herauszugeben, sie zwar von der Redaktion der „Roten Fahne“ redigieren zu lassen, den Berlinern aber „ein weites Mitspracherecht“ zuzugestehen. In der Praxis wurde sie bald zu einem faktischen Organ des linken Flügels und wurde schließlich auf den Druck Lenins hin zum 1.1.1923 eingestellt. Ähnliche Beispiele für den Integrationskurs der Zentrale sind die zahlreichen Artikel führender Linker in der „Internationale“, die Hinzuziehung Ruth Fischers, der ärgsten innerparteilichen Widersacherin Meyers, zu den Zentrale-Sitzungen im Sommer 1922 oder auch der große Anteil der Linken an der Delegation der KPD zum IV.Weltkongress der Komintern.
Dass dem linken Flügel die kommunistische Presse weitgehend offen stand, nutzte er wiederholt zu heftigen Angriffen auf die Zentrale und auf Meyer selbst – vor allem im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den Kurs der Partei in der Rathenau-Kampagne im Sommer 1922.
Der Integrationskurs der Zentrale gegenüber der linken Opposition, ihre Einbindung in die Praxis der Partei etwa als Bezirksleitung der stärksten KPD-Bezirke und die „wenn auch sehr tolerante Parteidisziplin“ führten aber generell dazu, dass sich die linke Opposition nicht rücksichtslos artikulieren konnte. So konnte eine Eskalation des Konfliktes einschließlich Ausschlüssen und ähnlichen Maßnahmen vermieden werden.
Ernst Meyers Positionen zur innerparteilichen Demokratie
Ernst Meyer verteidigte in den internen Auseinandersetzungen die Diskussionsfreiheit in der Partei und die Offenheit der kommunistischen Presse für oppositionelle Ansichten als unbedingt notwendig. Auf der Sitzung des November-ZA erklärte er:
„Wir können feststellen […] dass gelegentlich rechts und links Auffassungen vorhanden sind, die nicht der Auffassung der Parteimehrheit entsprechen […] Es muss selbstverständlich Aufgabe unserer Partei sein, alle solche Abweichungen […] sachlich zu diskutieren und politisch zurückzuweisen. Diskussionsfreiheit ist innerhalb unserer Partei absolut notwendig, eine Freiheit, die auch dadurch gestärkt werden muss, dass unsere Organe, insbesondere unsere Zentralzeitschriften […] sachlich taktischen Auseinandersetzungen Raum gewähren. Wir denken nicht daran, […] nach dieser oder jener Seite hin die Fragen personell oder organisatorisch zu lösen und abzuschneiden, sondern: Unsere Partei hat Raum und muss Raum haben für die sachliche Diskussion der verschiedenen politischen Auffassungen. […] Wenn also bei einzelnen Genossen die Befürchtung bestehen sollte, dass Ausschlüsse oder Versetzungen oder ähnliche schreckliche Dinge geplant seien, so können wir die Genossen von vornherein beruhigen. Das ist nicht die Absicht der Zentrale, durch personelle Erledigung politische Fragen zu lösen, sondern wir betrachten es als Aufgabe der Partei, politische Fragen politisch zu lösen“.
Diese Offenheit der Diskussionen in der kommunistischen Partei wurde von Meyer als Vorzug der KPD gegenüber den anderen Arbeiterparteien gepriesen. So sagte er auf dem Leipziger Parteitag im Januar 1923: Die Diskussionen dieses Parteitages seien nicht sonderlich fruchtbar gewesen, da alle Fragen bereits im Vorfeld „so eingehend in den Mitgliedschaften diskutiert worden sind, das eigentlich alle Genossen vollkommen über die Argumente […] unterrichtet sind. Eben dadurch unterscheidet sich unserer Parteitag vom dem der Sozialdemokratie, dass er tatsächlich vorbereitet ist durch eine eingehende Diskussion aller Fragen. Unsere Partei fürchtet nicht die Kritik, prüft mit aller Schärfe nach jeder Aktion, was falsch gewesen ist, und so kann der Parteitag nur das abschließende Urteil geben. Die Partei braucht Kritik, denn das ist das Zeichen der Gesundheit“. Interessant ist die Einschränkung, die Meyer dann zu diesem Punkt macht: „Was wir aber vermeiden müssen, ist die Übertreibung der Kritik, aus der leicht eine Schädigung der Werbekraft unserer Partei entstehen kann“. Freiheit der Kritik scheint für Meyer kein Selbstzweck gewesen zu sein, sondern ein unbedingt notwendiges Element der Entwicklung einer richtigen Politik und damit der Stärkung des kommunistischen Einflusses. Sie war aber auch daran gekoppelt und diesem Ziel letztlich untergeordnet: Übertriebene Kritik, die eine Stärkung dieses Einflusses zu gefährden drohe, müsse vermieden werden: „Die Wirkung der Kritik muss doch sein, die Organisation schlagkräftiger zu machen, sie innerlich zu festigen und nach außen ihre Position zu erleichtern“.
Ebenso fand die Freiheit der Diskussion nach innen für Meyer ihre Grenzen in dem Moment, in dem aufgrund der Diskussionen Mehrheitsbeschlüsse gefasst wurden, aus denen Aktionen nach außen folgten: „Dass, was die Partei verlangt, ist nur, dass in der Zeit der Aktion alle verschiedenen Auffassungen zugunsten der Aktion schweigen oder zurücktreten, die von der gesamten Partei oder ihren Organen beschlossen ist“.
Und an anderer Stelle sagte er, es müsse hervorgehoben werden, „dass viele Kritiker, die nachher die Märzaktion kritisiert haben, damals erfreulicherweise revolutionäre Kampfdisziplin geübt haben und mit uns in den Reihen der Kämpfenden standen. Wir können nur die Kritik begrüßen, die vom Boden des Kampfes aus geübt worden ist, und wir lehnen von vornherein jede Kritik ab, die abseits der Kämpfenden steht und an dem herumnörgelt, was blutende Proletarier getan haben oder tun“.
Fazit
Das grundsätzliche Herangehen Meyers (und der von ihm geleiteten Zentrale) an oppositionelle Strömungen in der Partei war 1921/22 geprägt von dem Bestreben, politische Konflikte politisch, also durch Diskussion und nicht durch Reglementierung, zu lösen. Meyer selbst scheint geradezu einen Widerwillen gegen Maßnahmen wie Parteiausschlüsse etc. gehabt zu haben, die er als „schreckliche Dinge“, als „ein Zeichen der Unfähigkeit, politisch zu antworten“, bezeichnete. Wie seine Frau später schrieb, kämpfte er in den internen Auseinandersetzungen „mit politischen Argumenten in bester Tradition demokratischer Spielregeln, die alleine das Funktionieren einer gesunden Partei auf die Dauer sicherstellen können. […] Mit unfairen Methoden zu kämpfen, war Ernsts Stärke nicht“. Innerhalb der Zentrale wandte er sich so anfänglich gegen die Suspendierung Frieslands, später gegen die von Malzahn und Brass. Erst als er keine Möglichkeit zur anderweitigen Beilegung des Konfliktes sah, sprach er sich für einen Ausschluss der Opponenten aus, den er auf dem Januar-ZA mit fast entschuldigendem Ton begründete. Für Meyer demonstrierte die Zentrale mit den Ausschlüssen nicht ihre Stärke, sondern ihre Schwäche.
Generell wurde seitens der Meyer-Zentrale versucht, die Opposition wo möglich zu integrieren. Ihr stand die Parteipresse weitgehend offen, ihre Erklärungen wurden dort selbstverständlich abgedruckt und auf Parteitagen wie auf ZA-Sitzungen konnte sie ihre Positionen in Korreferaten offen vertreten.
Das von Meyer vertretene Partei-Modell war nicht das einer monolithischen, von der immer Recht habenden Führung beherrschten Partei, sondern das einer offenen, in sich demokratischen kommunistischen Partei, die in freier Diskussion den adäquaten Weg zum Sozialismus zu finden sucht.
Die vehement von Meyer verteidigte Notwendigkeit von Diskussionsfreiheit und Freiheit der Kritik in der Partei können somit als Grundelemente seines Verständnisses von Demokratie in der KPD 1921/22 gewertet werden. Ihre Grenzen finden diese allerdings in dem Moment, in dem die Partei eine von ihr oder ihren Gremien beschlossene Aktion beginnt. Dann haben „die verschiedenen Auffassungen zu Gunsten der Aktion [zu] schweigen“. Auch die Minderheit müsse von der Mehrheit beschlossene Aktionen aktiv mitmachen, wenn sie diese später kritisieren will: „Wir können nur die Kritik begrüßen, die vom Boden des Kampfes aus geübt worden ist“.
Meyer erscheint daher als Verfechter eines im leninschen Sinne demokratischen Zentralismus: Freiheit der Diskussion nach innen, Einheit in der Aktion nach außen, und in der Aktion Unterordnung der Minderheit unter die Beschlüsse der Mehrheit. Sehr betont wurde von ihm die demokratische Seite des demokratischen Zentralismus. Dieser war etwas substanziell anderes als das später unter gleichen Namen in den stalinisierten Parteien dominante Modell eines dann nur noch bürokratischen Zentralismus, in dessen Folge die Freiheit der Kritik und Debatte immer mehr abwürgt und gegen abweichende Meinungen sofort organisatorisch durch Ausschlüsse etc. vorgegangen wurde.
Die hier vorgenommene Untersuchung zu Ernst Meyers Verhältnis zur internen Demokratie lässt auch eine Positionierung in der eingangs dargestellten Forschungskontroverse zu. Wenn Mallmann versucht, anhand von Beispielen aus den späten 20er und frühen 30er Jahren (wie z.B.: „Am 13.Juli werden wir dem Führer der proletarischen Klassenfront [gemeint: Thälmann, FW] […] proletarische Rechenschaft ablegen“) einen „grassierende(n) Führer-Begriff“ und ein „in den Bahnen von Befehl und Gehorsam erstarrende(s) Denken“ als generelle Merkmale der KPD nachzuweisen, zeigt dies, wie Mallmanns Zurückweisung der Stalinisierungs-These den Blick auf die grundlegend veränderten Realitäten in der KPD der frühen und der späten 20er Jahre verstellt. Denn was auf die KPD der späten 20er fraglos zutrifft, muss in den frühen 20ern noch keineswegs Gültigkeit haben: In der gesamten Zeit, in der Ernst Meyer an der Spitze der Partei stand, findet sich nicht ein Hinweis auf einen sich an seiner Person oder auch an der von ihm geleiteten Zentrale manifestierenden Führer-Begriff, nicht einmal findet sich in den untersuchten Quellen eine Verbindung von Meyers Namen mit dem Wort „Führer“ oder ähnlichen Attributen. Ebenso problematisch ist, wenn Mallmann erneut ausgehend von Beispielen ab der Mitte der 20er Jahre für die gesamte Geschichte der KPD verallgemeinert: „Kollegialität musste unter diesen Umständen selbst auf der Führungsebene ein Fremdwort bleiben“. Die Meyer-Zentrale erweckt aber (v.a. nach dem Ausscheiden Frieslands) sehr wohl den Anschein einer kollegial arbeitenden Parteiführung, deren Atmosphäre etwa von Pieck in verschiedenen Briefen vom Frühjahr und Sommer 1922 als „sehr harmonisch“ beschrieben wird. Auch mit Begriffen wie „Korporalsform der Macht“ , „Kasernenhofdenken“ oder „Kommandosprache“ lässt sich die KPD zumindest unter Leitung Ernst Meyers 1921/22 nicht angemessen fassen. In der Summe muss also Mallmann widersprochen werden, wenn er von einem „lange vor Stalin angelegten Prozess hin zur Apparatherrschaft“ schreibt. Tendenzen in Richtung einer Zentralisierung und ideologischen Homogenisierung der Partei waren zwar in der Tat Eigenprodukte der Entwicklung des deutschen Kommunismus – in Anbetracht der extremen ideologischen Heterogenität der KPD bei ihrer Gründung wohl auch notwendige Eigenprodukte – an die im Verlauf der Stalinisierung angeknüpft werden konnte. Das aus diesen Tendenzen aber eine bürokratische Diktatur des Apparates erwuchs, ist ohne einen erst später im Zuge der Stalinisierung einsetzenden, grundlegenden Funktionswandel des deutsche Kommunismus (und damit auch seiner Führung) nicht erklärbar.
Somit muss auch die von Löwenthal, Koch-Baumgarten und Wirsching vertretene These einer frühen Bolschewisierung der KPD zu Beginn der 20er Jahre relativiert werden: Sie macht nur dann Sinn, wenn diese Bolschewisierung als qualitativ verschieden von der (ja anfangs auch unter der Bezeichnung „Bolschewisierung“ laufenden) Stalinisierung ab Mitte der 20er Jahre gewertet wird. Die auf Zentralisierung und ideologische Homogenisierung abzielende Bolschewisierung (wenn man diesen Begriff denn benutzen will) der frühen 20er Jahre lief unter Wahrung eines hohen Ausmaßes an parteiinterner Demokratie und Diskussionsfreiheit, wie sie ja auch die SDAPR (Bolschewiki) zumindest bis zum Verbot ihrer innerparteilichen Fraktionen 1921 kannte.
Die eklatanten Unterschiede zwischen dem oben skizzierten Ausmaß von parteiinterner Demokratie und Diskussionsfreiheit in der KPD unter Führung Ernst Meyers 1921/22 und dem vollständig entdemokratisierten Zustand in der stalinisierten KPD der späten 20er und 30er Jahre bleiben ohne die Annahme einer erst nach 1922 einsetzenden grundlegenden Wandlung des deutschen Kommunismus auch weiterhin nicht schlüssig erklärbar.
Beachte: ONLINE-FASSUNG OHNE FUßNOTEN