Im kommenden Jahr feiert Hermann Weber seinen 80. Geburtstag. Wie kein anderer hat der Mannheimer Professor die bundesdeutsche Kommunismus- und DDR-Forschung geprägt, als deren Nestor er längst gilt. Nun blickt er in seinem neuen Buch zusammen mit seiner Frau Gerda auf fünf bewegte Jahrzehnte ihres gemeinsamen Lebens zurück.
Die Erinnerungen schließen an Hermann Webers ebenfalls autobiographischem Werk »Damals, als ich Wunderlich hieß. Vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten. Die SED-Parteihochschule ›Karl Marx‹ bis 1949« an, in dem er seine Zeit als Studierender der SED-Parteihochschule, an der er Gerda kennen lernte, sowie die beginnende Entfremdung vom Stalinismus beschrieb. Das nun vorliegende Buch, in weiten Teilen aus der Erzählperspektive Hermann Webers geschrieben, setzt mit den Verhaftungen der beiden Webers 1953 in Westdeutschland ein.
Ihm wurde die illegale Tätigkeit für die bereits verbotene kommunistische Freie Deutsche Jugend (FDJ) zur Last gelegt, ihr die Rolle als führende Funktionärin im kommunistisch beeinflussten Demokratischen Frauenbund Deutschland (DFD). Die Verhaftungen kamen gerade zu dem Zeitpunkt, als die beiden ihren schon länger geplanten und dann mehrfach erschobenen Bruch mit dem Stalinismus endlich öffentlich vollziehen wollten. Aus dem Gefängnis heraus aus der kommunistischen Bewegung auszutreten, kam für beide allerdings nicht in Frage, um vor den Genossen und der Polizei nicht als Überläufer zu erscheinen.
Mehrere Monate verbrachten sie in Untersuchungshaft. Der Gefangenenalltag wird anschaulich beschrieben, wobei deutlich hervorgehoben wird, wie viel besser es Kommunisten trotz aller Unerfreulichkeiten in westdeutschen Gefängnissen hatten, verglichen mit den furchtbaren Schicksalen zahlreicher kommunistischer Häftlinge in der DDR. Erst nach der Freilassung konnte der Bruch mit dem Stalinismus – und dass hieß damals: mit der gesamten offiziellen kommunistischen Bewegung, in der beide tief verwurzelt waren – öffentlich vollzogen werden.
Hermann Weber etwa provozierte seinen Ausschluss aus der KPD durch das Verschicken trotzkistischer Materialien an verschiedene Funktionäre. Der Bruch mit dem Stalinismus bedeutete für die Webers aber keineswegs einen Bruch mit dem Marxismus. Sie blieben linke Sozialisten, auf der Suche nach Alternativen sowohl zum Realsozialismus wie auch zur westdeutschen kapitalistischen Restauration. Eine Suche, die sie in Kontakt zu den verschiedenen Strömungen der nichtstalinistischen Linken der 50er Jahre brachte.Wie viele andere oppositionelle Kommunisten dieser Zeit trat Hermann Weber in die SPD ein, war dort aktiv in linken Zirkeln und weiterhin auf der Suche nach einem »Dritten Weg« (so der Name einer Zeitschrift, an der er mitarbeitete) zwischen Ost undWest.
Der erste Teil des Buches liefert so ein sehr anschauliches und spannend zu lesendes Porträt der fast vergessenen deutschen Linken vor 1968 in ihren verschiedensten Facetten, von der KPD über diverse linke Splittergruppen bis hin zu linken Gewerkschaftern und Sozialdemokraten, dem SDS und den Falken.
Ausgehend von eigenen Erfahrungen treibt Weber nun sein Leben lang die Frage um, worin die Ursachen der »Wandlung des Kommunismus aus einer Abspaltung von der sozialen Emanzipationsbewegung mit dem Ziel einer klassenlosen Gesellschaft hin zu einem System der Unterdrückung und des Massenterrors « (S. 450) lagen. Antworten auf diese Frage versuchte er ab dem Ende der 50er Jahre mit seinen umfangreichen Forschungen zu finden. So liegt der Schwerpunkt des zweiten Teils des Buches auf den Stationen von Hermann Webers beachtlichem Werdegang als Wissenschaftler. Als der Dreißigjährige 1958 bei einem Vortrag das erste Mal eine Uni von innen sah, waren ihm akademische Gepflogenheiten noch so fremd, dass er das anschließende Klopfen auf den Tischen als ein Zeichen des Missfallens wertete und empört reagierte. Der Arbeitersohn Weber, der sein Abitur erst in den 60ern nachholte, schaffte es dann in nur neun Jahren vom Erstsemester zum ordentlichen Professor. Seine Forschungen brachten ihn dabei immer wieder in Kontakt zu zahlreichen damals noch lebenden historischen Figuren
der kommunistischen Bewegung, die Weber in gewohnter Manier in Kurzbiographien vorstellt. Ausführlich beschrieben werden die Reaktionen des SED-Regimes und seiner Historiker auf Webers Forschungen in Form von üblen Angriffen und Verleumdungen ebenso wie die Geschichten der wiederholt aufWeber und sein Umfeld angesetzten Stasi-Spitzel.
Leider tritt dabei die Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der Linken seit Mitte der 60er Jahre stark zurück. Die Studentenbewegung und die neue Linke der 70er Jahre werden außer anhand von Webers Engagement im Republikanischen Club Mannheim oder in der sozialdemokratischen Bildungsarbeit kaum behandelt. Ausführlich beschreibt Weber hingegen sein erdienstvolles Engagement zur Rettung der ostdeutschen Archive nach 1989 und seinen Einsatz in der Enquete-Komission des Bundestages in den 90er Jahren.
Die Webers berichten über ihr Leben sowohl als Augenzeugen wie als Historiker, die das Dargestellte mit Fakten belegen. Ihr Leben stellen sie unter das Motto des »Prinzip links«,
dem Prinzip eines in der Tradition der Aufklärung stehenden »humanen, freiheitlichen und antistalinistischen Sozialismus« (S. 139).
Auf aktuelle politische Entwicklungen wie etwa die der Linkspartei wird dabei bedauerlicherweise nur sehr kurz eingegangen. Sie wird – Matthias Platzeck zitierend – einfach als
»alles, aber nicht links« (S. 451) charakterisiert.
Abschließend schreibt Weber, er bleibe im Kern bei der Feststellung, dass »das hohe Ideal einer Gesellschaft ohne Klassen und Ausbeutung, ohne (…) Rassenhass und Völkerkriege
weiterhin als Richtschnur von Politik gelten« sollte (S. 452). Wie er als Ort für eine solche Politik nach Asylkompromiss, Kosovokrieg und Hartz-IV-Gesetzen immer noch die SPD sehen kann, erklärt er uns aber leider nicht.
von Florian Wilde
Rezension zu Hermann und Gerda Weber: Leben nach dem »Prinzip links«. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Christoph Links Verlag Berlin 2006, 480 S. (19,90 Euro). Veröffentlich in utopie kreativ 201/202 Juli/August 2007.