Rezension zu Klaus Meschkat/Michael Buckmiller (Hg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale. Ein deutsch-russisches Forschungsprojekt, Berlin 2007. Veröffentlicht in JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung.
Durch die weitgehende Öffnung der Moskauer Komintern-Archive und die jahrelange Zusammenarbeit einer Forschungsgruppe der Universität Hannover mit russischen Kollegen wurde möglich, was lange Zeit undenkbar schien: Ein umfassendes biographisches Handbuch der Kommunistischen Internationale.
1919 aus den Erfahrungen des Versagens der II. Internationale beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit dem Anspruch, ein zentralisierte Weltpartei des revolutionären Proletariats zu sein, gegründet, fungierte die Komintern anfangs als ein wichtiges Instrument zur Ausbreitung und Verfestigung der von der Oktoberrevolution ausgehenden revolutionären Welle. Mit der Durchsetzung des Stalinismus in der Sowjetunion wandelte sich ihr Charakter allerdings grundlegend: Sie sank herab zu einer „willkürlich instrumentalisierbaren Agentur außenpolitischer Manöver des sowjetischen Staates“ (S.20) , so Michael Buckmiller in seinem einleitenden Beitrag. Diese Transformation der Komintern nicht nur ideen- und strukturgeschichtlich, sondern auch auf der Ebene der Biographien ihrer Akteure nachvollziehbarer zu machen – dazu kann dieses Handbuch beitragen.
Wer ein dem von Hermann Weber und Andreas Herbst herausgegebenen, 2004 erschienenen biographischen Handbuch „Deutsche Kommunisten“ entsprechendes Werk erwartet, wird allerdings enttäuscht – und muss auch enttäuscht werden: 28.626 Personeneinträge mit 15.815 Biographien lassen sich kaum in Buchform unterbringen. Die Herausgeber haben das Problem durch eine CD-ROM gelöst. Sie enthält die digitalisierten Daten dieser Vielzahl von Personen, die im Komintern-Apparat selbst arbeiteten oder mit der Komintern in Verbindung standen, darunter alleine 3994 deutsche Kommunisten. Fast 6.000 der aufgeführten Personen waren zuvor nicht einmal dem Namen nach bekannt.
Die einzelnen Biographien werden auf der CD-Rom nicht in einem Fließtext aufbereitet. Statt dessen gibt es eine einheitliche Datenmaske, die es erlaubt, auf schnellem Wege Auskunft zu zentralen biographischen Eckdaten zu erhalten. Sie ist in sechs Blöcke aufgeteilt. Der erste enthält „biographische Grunddaten“ wie Namen, Geburtsjahr, Parteimitgliedschaft und -beitritt und – für viele Forscher sicher besonders wertvoll – die Pseudonyme (so vorhanden in lateinischen und kyrillischen Lettern). In Block 2 erfährt der Nutzer, ob es z.B. eine Personalakte im Moskauer Archiv gibt und mit Hilfe welcher Akten (Signatur) der biographische Datensatz erstellt wurde. Das Handbuch erfüllt somit auch die Funktion eines virtuellen Findbuches und wird für viele Forscher eine wichtige Arbeitserleichterung und Zeitersparnis bedeuten.
Block 3 nennt Beruf, Ausbildung und Funktionen in der Arbeiterbewegung sowie die Repressionen in „Ost“ und „West“, denen die betreffende Person u.U. ausgesetzt war. Die weiteren Blöcke zählen auf, ob jemand etwa Delegierter zu Kongressen der Komintern oder angeschlossener Organisationen war, welche Funktionen er im Komintern-Apparat ausübte und nennt weitere wichtige Lebensdaten. Das Handbuch ist kein Buch zum Lesen. Es ist ein Instrument zum recherchieren und vergleichen nackter Fakten. Speziell für soziologisch und sozialgeschichtlich ausgerichtete Arbeiten dürfte dies von Interesse sein.
Leider ist die Datenmaske nicht besonders ansprechend gestaltet. Der Umgang mit ihr ist nicht unkompliziert und erfordert eine gewisse Einarbeitungszeit. Aufbau und Benutzung der Datenmaske wird in einem der Beiträge des Begleitbandes erklärt.
Dieser Band enthält auf ca. 500 Seiten die verschriftlichten und mit einem wissenschaftlichen Anmerkungsapparat versehenen Vorträge einer hochkarätig besetzten internationalen Tagung zur Kommunistischen Internationale in Hannover im April 2004. In ihm finden sich 20 Beiträge, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Komintern- und Biographien-Forschung beschäftigen. Mit Ruth Fischer und Herbert Wehner werden dort zwei bekannte deutsche Kommunisten mit Einzelbiographien vorgestellt. Eine wichtige Rolle spielt in dem Band die Auseinandersetzung mit Kollektivbiographien. Felix Tych steuert – ausgehend von den Erfahrungen bei der Arbeit am „Biographischen Handbuch der polnischen Arbeiterbewegung“ den „Versuch eines Kollektivportraits polnischer Komintern-Mitarbeiter“ bei. José Gotovich beschreibt seine Erfahrungen bei der Erstellung des 2001 erschienen biographischen Wörterbuchs der Kommunistischen Internationale für die französischsprachigen Länder (Frankreich, Belgien, Luxemburg, Schweiz, Marokko), Teil des als „Maitron“ bekannten, 44-Bändigen und 110.000 biographische Einträge unfassenden französischen biographischen Wörterbuchs der Arbeiterbewegung.
Weitere Beiträge beschäftigen sich – z.T. ebenfalls unter Einbeziehung biographischer Gesichtspunkte – mit der Komintern in Lateinamerika oder in Afghanistan. Anhand biographischer Beispiele wird dabei immer wieder deutlich, „wie der Stalinismus das revolutionäre Potential der frühen kommunistischen Bewegung zugrunde gerichtet hat.“ (Meschkat, S.126).
Andere Beiträge sind dem Terror und den „Säuberungen“ der 30er Jahre gewidmet. Fridrich Firsow geht dabei der Frage nach, in wieweit die Komintern in die „Säuberungen“ verwickelt war: Sie war den sowjetischen Repressionsorganen eng verbunden und übergab ihnen wiederholt Informationen über die Politemigranten, die zu vielfachen Verhaftungen und Hinrichtungen führten. Ihr Apparat half einerseits bei der Entfachung des stalinschen Massenterrors aktiv mit – und erlitt unter diesem andererseits selbst viele Opfer. Diese „Dialektik von Tätern und Opfern“ wird in einem sehr lesenswerten Beitrag von Michael Buckmiller untersucht. Eine klare Abgrenzung zwischen beiden Gruppen lässt sich im Komintern-Apparat kaum vornehmen, häufig wurden die, die den Terror mit entfachten, bald selbst zu seinen Opfern.
Den Herausgebern ist die Zusammenstellung eines sehr interessanten Begleitbuches gelungen – und mit dem biographischen Handbuch ein für die künftige Komintern-Forschung wohl unverzichtbares Hilfsmittel.
Florian Wilde