(Fusion Begleitheft)
Rojava als Alternative.
Seit dem Krieg der USA und ihrer Verbündeten 2003 gegen den Irak versinkt der Nahe Osten in einem Chaos aus religiös und ethnisch legitimierter Gewalt. Auch die demokratischen Revolutionen des arabischen Frühlings konnten dies nicht ändern: sie endeten oft in den Sackgassen furchtbarer Bürgerkriege, oder, wie in Ägypten, in einer neuen Diktatur.
Das einzige Beispiel, wo diese demokratischen Aufstände nicht von reaktionären Kräften weitgehend zerstört werden konnten, sondern aus ihnen ein neues demokratisches Gemeinwesen hervorging, ist Rojava, das kurdische Gebiet in Nordsyrien. Die Revolution in Rojava schuf unter Führung der PYD, einer Partei mit sozialistischer Zielstellung, etwas in der Region ganz einzigartiges: Ein laizistisches, multiethnisches und demokratisches Gemeinwesen, basierend auf den Werten der Selbstverwaltung, der Demokratie, der Ökologie und des Feminismus. Dieses Gesellschaftsmodell stützt sich auf Räte, in denen es auf allen Ebenen Frauenquoten gibt, und in die sich alle religiösen und ethnischen Gruppen gleichberechtigt einbringen können.
Nirgendwo sonst haben sich die demokratischen Revolten dieses Jahrzehnts – vom Tahrir-Platz über occupy bis zu den Platzbesetzungen Südeuropas – so sehr zu einem alternativen Gesellschaftsentwurf verdichtet, wie in Rojava. Rojava hat das Potenzial, zu einem alternativen Modell für andere Teile der Region zu werden und andere Kämpfe zu inspirieren.
Von Anfang an sah sich die Revolution in Rojava existenziellen Gefahren ausgesetzt: durch das Assad-Regime, die Terrorbanden des IS und durch den türkischen Staat. Doch sollte es gelingen, Rojava zu verteidigen und sich damit eine Perspektive von Hoffnung und Selbstbefreiung etablieren, würde dies größte Auswirkungen auf die ganze Region haben: Es würde den kurdischen Befreiungs- und Demokratisierungsbewegungen in der Türkei und im Iran Auftrieb geben und den Menschen im ganzen Nahen Osten die Realisierbarkeit demokratischer und sozialistischer Perspektiven demonstrieren.
Darum ist es auch so wichtig, konkrete Solidarität mit der Revolution in Rojava zu organisieren – ohne sie dabei unkritisch zu glorifizieren.
Die PYD ist eine Schwesterpartei der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans). Die PKK und ihre Schwesterorganisationen kämpfen in Syrien und in dem Irak in vorderster Front gegen den IS; in der Türkei gegen den neoliberalen Despotismus Erdogans; in Syrien gegen das Assad-Regime; im Iran gegen die Mullah-Diktatur; im Nordirak gegen das korrupte und pro-imperialistische Regime Barzanis. Mit einem Wort: gegen die ganze Scheiße in der Gegend.
Gleichzeitig wird die PKK von den USA, Deutschland und vielen anderen Ländern weiterhin als angebliche Terrororganisation verfolgt. An keinem einem anderen Beispiel lässt sich die Verlogenheit des westlichen „Krieges gegen den IS“ besser illustrieren, als anhand der fortgesetzten Verfolgung des militantesten Gegners des IS, der PKK, durch den Westen. In dieser Situation sind wir gefordert, als konkreten Ausdruck internationalistischer Solidarität mit der wichtigsten linken Organisation im Nahen Osten einen aktiven Kampf gegen das PKK-Verbot in Deutschland zu führen.
Von Florian Wilde
Erschienen in:
Party und Revolte, Fusion und Widerstand. Politisches Begleitheft zum Fusion-Festival, Berlin 2016, S.3f.