(rosalux) Der Kampf um Demokratie am Arbeitsplatz.
Basisgewerkschaften aus unterschiedlichen Ländern tauschen sich auf dem G20 Alternativgipfel in Hamburg aus.
Etwa 100 interessierte besuchten am 5. Juli beim G20-Alternativgipfel (Gipfel der globalen Solidarität) den Workshop «Der Kampf um Demokratie am Arbeitsplatz – Beiträge von internationalen Basisgewerkschaften», der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ver.di, Ortsverein Hamburg, FB 8, angeboten wurde. Auf dem von Lars Stubbe (ver.di FB 08, Hamburg) moderierten Podium diskutierten Vertreter*innen aus Frankreich, Argentinien, Indien und Deutschland.
Vereine Angeli, Solidairs-SUD (Frankreich), berichtete: «Der Arbeitsplatz ist erstmal kein Ort der Demokratie, sondern der Ausbeutung und Macht. Oft wird uns gesagt, Arbeiter und Unternehmer müssten Partner sein. Aber so ist es nicht! Zugleich kann der Arbeitsplatz aber auch ein Ort konkreter Demokratie werden. Deshalb tritt unsere Gewerkschaft für direkte Demokratie im Betrieb ein, etwa durch Vollversammlungen der Beschäftigten, und den Aufbau von Netzwerken innerhalb der Konzerne. Um wirklich handlungsfähig zu sein, müssen wir solche Vernetzungen verstärkt auf der internationalen Ebene vorantreiben. Gleichzeitig unterstützen wir Ansätze tatsächlich demokratischer Betriebsformen, etwa durch den Aufbau von Genossenschaften und Kooperativen».
Sie schilderte auch die drohenden Angriffe der neuen französischen Regierung auf das Arbeitsrecht und insbesondere das Streikrecht im öffentlichen Dienst. Auch gegen traditionelle Aktionsformen der Arbeiterbewegung zeichne sich ein immer repressiveres Vorgehen des Staates ab.
Ähnlich wie in Deutschland sei die Beschäftigtenlandschaft zunehmend fragmentiert, zwischen Kernbelegschaften und Leih- und Werkvertragsarbeiter*innen, zwischen be- und entfristeten Kolleg*innen.
Ashim Roy von der New Trade Union Initiative NTUI (Indien) schilderte: «Leider wird Demokratie nicht immer als fundamentales Prinzip innerhalb der Gewerkschaftsbewegung gesehen. Wir hatten in Indien lange Zeit recht fortschrittliche Arbeitsgesetze, die auch gewisse Elemente von Demokratie beinhalteten. Aber es gab schon immer große Spannungen zwischen formalisierten und den informellen Arbeitsverhältnissen. Die informellen haben in der letzten Zeit massiv zugenommen, und stellt Gewerkschaften vor große Herausforderungen. Wir versuchen daher verstärkt, auch in den Stadtteilen zu organisieren, und den Graben zwischen formellen und informellen Beschäftigten zu überwinden. Der Kampf um Demokratie in Ländern wie Indien ist aber immer auch ein Kampf um ökonomische Souveränität gegen die Übergriffe der multinationalen Konzerne, insbesondere in Bezug auf Lebensmittel. Gewerkschaften müssen Teil von Kämpfen um Demokratie sein – und Demokratie muss immer ein Teil der Gewerkschaften sein. Wir können keine echte Demokratie aufbauen, solange unsere Gewerkschaften nicht selbst demokratisch sind, und solange sie kein demokratisches Verhältnis zu sozialen Bewegungen haben.»
Jose Villa von der Metallarbeitergewerkschaft UOM – CGT (Argentinien) arbeitet in einer Fabrik eines wichtigen multinationalen Metall-Konzerns. Er erzählte:
«Das zentrale Element der Demokratie in einem Betrieb ist für uns die Versammlung der Arbeiter selbst, die dort selbst über ihre Interessen und Ziele diskutieren. Für uns sind diese Versammlungen der wichtigste Souverän. Wir können keine Abkommen mit dem Unternehmen schließen, ohne dass die Kolleg*innen darüber diskutiert und entschieden haben. Jede Gewerkschaft braucht einen Apparat, und wohl auch einen Generalsekretär. Das entscheidende ist aber, dass die Beschäftigten in den Betrieben selbst die Gewerkschaft sind, und an allen wichtigen Entscheidungen beteiligt werden müssen.
Wir sehen aber, wie die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt unter immer schlechteren Bedingungen leidet. Bei uns war es die neoliberale Regierung Menem, die viel dazu beitrug. Sie hat die Prekarisierung vorangetrieben, mit immer mehr befristeten Arbeitsverhältnissen. Dagegen müssen wir die Solidarität der Metallarbeiter*innen setzen, auf nationalem wie auf internationalem Level.»
Ezequiel Roldan, Generalsekretär der Gewerkschaft Aceiteros – CGT(Gewerkschaft der Soja-/Oliven-Ölarbeiter*innen, Argentinien) berichtete: «Oft kollidiert bei uns die Demokratie in der Fabrik, die Demokratie der Vollversammlungen, mit der Bürokratie der Gewerkschaften. Seit die neoliberale Regierung Macri im Amt ist, nehmen die Angriffe und die Repression gegen die Arbeiterbewegung zu. Wir verstärken dagegen unsere Demokratie der Vollversammlungen, um die Kolleg*innen zu mobilisieren. Eine wichtige Mobilisierung ist für uns gegenwärtig die für einen höheren Mindestlohn. Gegen das Bündnis aus multinationalen Konzernen und Regierungen hilft den Arbeiter*innen nur der Kampf.» Sein Kollege Carlos Zamboni, ein Ölarbeiter, schilderte, wie seine Generation, die Jüngeren, nie etwas anderes als einen de-regulierten Arbeitsmarkt kennengelernt hatten: «Auch bei uns ist die Arbeiterklasse immer stärker fragmentiert, nehmen die prekären Beschäftigungsverhältnisse zu. Immer mehr Arbeiter haben gar keinen richtigen Arbeitsverträge mehr. In den letzten 15 Jahren mussten wir Formen der Organisierung und des Kampfes lernen und uns neu aneignen, die zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten waren. Ein wichtiges Element darin ist die Demokratie der Vollversammlungen auf Fabrikebene. Aber ohne Streiks kann es auch keine echte Demokratie im Betrieb und in der Gewerkschaft geben. Der Streik ist die wichtigste Schule der Demokratie, und auch deshalb müssen wir das Streikrecht mit allen Mitteln verteidigen!»
Michael Fütterer von TIE, einem internationalen Basis-Gewerkschafternetzwerk (Deutschland), führte aus: «Wir sind in Industrienetzwerken aktiv, etwa im Textilbereich in Indien, Sri Lanka und Bangladesh, wo sich Kolleg*innen direkt untereinander über Strategien und Erfahrungen austauschen. Aber wir organisieren uns im Exchains-Netzwerk auch entlang der globalen Wertschöpfungsketten und versuchen, die Näherin in Bangladesh mit der H&M-Verkäuferin zusammenzubringen.
Häufig gibt es im Textilbereich internationale Kampagnen, die zwar das Elend der ArbeiterInnen aufgreifen und skandalisieren, aber die Handlungsperspektiven komplett in den globalen Norden verlegen, wo Gewerkschaften sich für ihre KollegInnen im Süden einsetzen sollen. Wir wollen dagegen echte Solidarität organisieren, die beidseitig funktioniert, und in der den KollegInnen aus dem Süden keine passive, sondern eine sehr aktive Rolle einnehmen.
Ein anderes Feld, auf dem wir arbeiten, ist das Thema Gesundheit und Arbeit. Unser Gewerkschaftsnetzwerk versucht zum Beispiel zu vermitteln, dass Erkrankungen ihre Ursachen oft im Arbeitsprozess und in der Ausbeutung haben, und damit auch kollektiv bearbeitet werden müssen. Wir wollen Wissen vermitteln, damit die KollegInnen an ihrem Arbeitsplatz für gute Arbeit kämpfen können. Dazu versuchen wir, praktische Werkzeuge zu vermitteln, wie Kämpfe um gute Arbeit und möglichst gesunde Arbeitsbedingungen geführt werden können. Gewerkschaftliche Arbeit muss daher immer auch über reine Lohnkämpfe hinausgehen.»
Es folgten eine Reihe von Nachfragen aus dem Publikum, die den Referent*innen die Möglichkeit zur Vertiefung verschiedener Aspekte gaben.
Eine gelungene Veranstaltung.
Florian Wilde
Mehr zu den RLS-Veranstaltungen auf dem Alternativgipfel
Presseschau:
- Portrait von Ashim Roy im nd
- Interview mit Vervaine Angeli und Ezéquiel Roldán in der WOZ