(Rosalux) «Ein Konzern, der international aufgestellt ist, muss international angegangen werden». So einfach brachte Bernd Riexinger die Sache bei einer von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten Podiumsdiskussion in Berlin auf den Punkt. Gemeinsam mit GewerkschafterInnen aus Deutschland, Polen und Spanien diskutierte der Vorsitzende der Partei DIE LINKE am 3. Ok- tober vor einem vollen Saal in der ver.di-Zentrale am Kreuzberger Spreeufer. «Solidarität über Grenzen hinweg» war das Motto der Diskussionsrunde, die im Anschluss an den Ratschlag «Amazon – Strategien für ‹gute Arbeit› und Tarifbindung» der Fraktion DIE LINKE im Bundestag stattfand.
Während in der Amazon-Konzernzentrale alle Informationsstränge aus den mittlerweile weltweit mehr als 160 Distributionszent- ren zusammenlaufen, haben die Beschäftigten unterschiedlicher Standorte allein aufgrund der großen geografischen Entfernungen normalerweise kaum Berührungspunkte. Dazu kommen Sprachbar- rieren, Unterschiede in der Struktur der nationalen Gewerkschaften oder schlicht die Ungleichzeitigkeit von Organisierungsprozessen und Arbeitskämpfen. All das sei «nichts Ungewöhnliches» – bei Amazon wie in jedem anderen transnationalen Unternehmen, be- tonte Riexinger. Entscheidend sei jedoch: «Es braucht gemeinsam abgestimmte Aktionen der Arbeiterbewegung, um den Vorteil der Kapitalseite wenigsten teilweise ausgleichen zu können.»
Was das in der Praxis bedeutet, machte Christian Krähling, ver.di- Vertrauensmann und Streikaktivist der ersten Stunde bei Amazon in Bad Hersfeld, deutlich. «Wenn wir streiken, verschiebt Amazon so- viel wie möglich von unserem Auftragsvolumen nach ORY1.» Das Kürzel steht für das französische Versandzentrum bei Orléans. Um dieser Strategie etwas entgegensetzen zu können, baute die ver.di- Betriebsgruppe Kontakte zu den französischen KollegInnen auf. 2014 kam es dann, inspiriert vom Arbeitskampf in Deutschland, zu ersten, wenn auch noch kleinen, Streiks in Frankreich.
In Spanien, wo Amazon seit 2012 ein Versandzentrum in der Nähe von Madrid betreibt, ist man von Arbeitskampfmaßnahmen noch weit entfernt. Dort wurden Mitte September erstmals Gewerk- schafterInnen ins Fabrikkomitee gewählt, berichtete Maria del Rosario García Sánchez, eine von zwei gewählten Delegierten der Gewerkschaft Comisiones Obreras (CC.OO). Einen Vertreter stellt die anarchosyndikalistische CGT, die restlichen zehn der 13 Sitze im Gremium werden von einer sogenannten Unabhängigen Liste wahrgenommen. Die ist tatsächlich jedoch völlig vom Management abhängig. Dank der Zustimmung dieser «gelben» Mehrheit kann Amazon ganz legal den allgemeingültigen Branchentarifver- trag unterlaufen. Um diese Situation langsam zu verändern, müsse man zunächst die eigene Basis im Betrieb aufbauen, so die Gewerk- schafterin. «Erfahrungen aus anderen Ländern und besonders aus Deutschland helfen uns dabei.»
In einem Unternehmen wie Amazon Fuß zu fassen, kann nur mit einer gut geplanten Organizing-Kampagne gelingen, betonte Kacper Stachowski von der polnischen Solidarnosc. Amazon ist in Polen
seit Herbst 2014 mit drei Versandzentren aktiv, die ausschließlich für den deutschen Markt tätig sind, ein viertes ist geplant. Immerhin drei Monate nach Eröffnung nahm die Gewerkschaft ihre Tätigkeit im Betrieb auf. Doch die Art wie Amazon reagierte, war auch für polnische Maßstäbe ungewöhnlich: «Öffentlich erklärten sie, dass sie uns als Gewerkschaft anerkennen», so Stachowski, «aber prak- tisch verweigern sie jedes Gespräch und antworten nicht auf unsere Korrespondenz.» Klar sei, dass die Gewerkschaft Druck aufs Unter- nehmen ausüben müsse, um hier eine Veränderung zu bewirken. Enge Kooperation mit ver.di und den anderen Partnerorganisatio- nen in der UNI Global Union sei dabei essenziell: «Der Kampf mit einer globalen Firma, kann nur global geführt werden», unterstrich Stachwoski und fügte hinzu: «Wir sind froh, dass wir dabei von den Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern pro- fitieren können.»
Genau darum ging es beim Austauschmeeting am darauf folgenden Sonntagvormittag. Ohne Publikum, ganz unter sich, diskutierten mehr als 50 Amazon-Beschäftigte sämtlicher deutscher Amazon- Standorte sowie ver.di-Betreuungssekretäre mit ihren KollegInnen aus Wroclaw und Madrid. Unterschiede bei Entlohnung und Arbeitszeiten wurden detailliert unter die Lupe genommen, wie auch auffällige Ähnlichkeiten im Vorgehen des jeweiligen nationalen und lokalen Managements gegenüber gewerkschaftlich Organisierten. Möglichkeiten für ein gemeinsames Vorgehen wurden erörtert und Kontakte ausgetauscht.
Allerdings konnte und sollte das Treffen am Sonntag keineswegs die europäische Amazon-Vernetzung ersetzen. Diese bringt unter dem Dach von UNI Global Union GewerkschafterInnen der franzö- sischen CGT, der britischen GMB und der tschechischen OSPO mit KollegInnen von ver.di und Solidarnosc zusammen. Sie hatte sich Ende September am Rande des ver.di-Bundeskongresses in Leipzig zum vierten Mal getroffen – ausgerichtet mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die den Vernetzungsprozess schon länger begleitet, und erstmals auch der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Im Gegenteil: Das Treffen am Sonntag sollte eine die bestehende Vernet- zung ergänzende Möglichkeit zum vertiefenden Austausch bieten. Dies ist auch insofern gelungen, als die CC.OO bisher nicht Teil der Amazon-Vernetzung waren, durch das Austauschtreffen aber an diese herangeführt werden konnten..
Die angereisten KollegInnen der CC.OO nutzten den Sonntag dann noch für ein weiteres transnationales Vernetzungstreffen – diesmal mit spanischen ArbeitsmigrantInnen, die sich in Berlin zur Aktions- gruppe Grupo di Accion Sindical (GAS) zusammengeschlossen haben und versuchen, migrantische Beschäftigte aus Südeuropa gewerkschaftlich zu organisieren.
Das Wochenende machte deutlich: Konzerne wie Amazon mögen Global Players sein – doch die Beschäftigten und ihre Gewerkschaf- ten versuchen, der Macht transnationaler Konzerne die internatio- nale Solidarität der Beschäftigten entgegenzusetzen und sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Ihre Bewegung ist noch jung, aber sie gewinnt europaweit an Kraft. Aus ihren konkreten Erfahrungen kann viel für die großen Fragen transnationaler gewerk- schaftlicher Organisierung gelernt werden.
Über Grenzen hinweg. Internationaler Erfahrungsaustausch von Amazon-Kolleginnen. Von Jörn Boewe und Florian Wilde, in: Rosalux Nr.3/2015, S.22f. Langfassung: http://www.rosalux.de/documentation/54159/solidaritaet-ueber-grenzen-hinweg.html
———————–
«LABOR DES WIDERSTANDS»
Interview mit Johannes Schulten über den kampf der amazon-beschäftigten
Johannes Schulten und Jörn Boewe berichten seit 2013 über die Streiks bei Amazon. Für die Rosa-Luxemburg-Stiftung verfassten sie die Studie «Der lange Kampf der Amazon- Beschäftigten», die im Dezember erscheint.
In eurer Studie untersucht ihr die Strategie des Amazon-Kon- zerns in Europa. Was sind die wichtigsten Ergebnisse? Schulten: Das Unternehmen schöpft die nationalen gesetz- lichen Spielräume für Steuern und Abgaben ebenso wie für Löhne und Arbeitsbedingungen überall so weit wie möglich in seinem Interesse aus. Bezahlung und Arbeitszeiten unterschei- den sich teilweise erheblich, vor allem zwischen West- und Ost- europa, wohin Amazon verstärkt expandiert. Dem Konzern geht es vor allem darum, Arbeitsplätze in Länder mit niedrigen Löh- nen und schwachen Gewerkschaften zu verlagern.
Wie sieht es mit der gewerkschaftlichen Organisierung an den Amazon-Standorten in Europa aus?
Schulten: Nicht besonders gut. Und Amazon setzt alles daran, dass das so bleibt. In Spanien und Frankreich gibt es gelbe Ge- werkschaften und unternehmensfreundliche Beschäftigten- gruppen. In Großbritannien hat Amazon 2001 mit einer bisher in Europa einzigartigen Union-Busting-Kampagne alle gewerk- schaftlichen Aktivitäten beendet. Ernstzunehmende Streiks hat es bisher erst in Deutschland und Frankreich gegeben.
Das heißt, die Amazon-Beschäftigten in Deutschland spielen im gewerkschaftlichen Kampf eine Vorreiterrolle?
Schulten: Das ist ganz klar der Fall. In keinem anderen Land ist es bisher gelungen, so starke betriebliche Strukturen auf- zubauen wie hier. Wir sprechen in der Studie von einem «La- bor des Widerstands». Bei ver.di hat man offenbar verstanden, welche Bedeutung die Dumping-Politik von Amazon für den gesamten Einzelhandel und darüber hinaus hat. In anderen Ländern sind die Gewerkschaften noch nicht so weit. Aber es passiert einiges, und die Rosa-Luxemburg-Stiftung spielt eine hilfreiche Rolle, wie man beim internationalen Erfahrungsaus- tausch europäischer Amazon-Gewerkschafter Anfang Oktober in Berlin sehen konnte.
Werden Streiks allein ausreichen, um den Internet-Riesen in einen Tarifvertrag zu zwingen?
Schulten: Nein. Um erfolgreich zu sein, müsste der Konflikt über den betrieblichen Rahmen hinaus geführt werden. Ein Ele- ment wäre eine Skandalisierungs-
kampagne, die das Ansehen des Konzerns beschädigt und Recht- fertigungsdruck erzeugt. Bündnis- partner dafür gibt es genug, denn überall wo Amazon auftritt, macht sich das Unternehmen Feinde.
Fragen: Florian Wilde.
In: ebenda, S.23