IndustriALL: Neue Führung gewählt

(junge Welt)

IG Metall bleibt Spitze.

Die Weltindustriegewerkschaft IndustriALL wählt sich eine neue Führung. Geändert hat sich wenig: Ganz vorne im Verband steht ein Deutscher.

Schon die Wahl des Veranstaltungsortes sollte ein Zeichen der Solidarität sein. Vom 4. bis 7. Oktober fand in Rio de Janeiro der 2. Weltkongress von IndustriALL Global Union, dem im Juni 2012 gegründeten Weltdachverband der Industriegewerkschaften, statt. Das Treffen in Brasilien brachte die Unterstützung der Gewerkschafter für die frühere, durch einen Rechtsputsch gestürzte Regierung der Arbeiterpartei Brasiliens (PT) zum Ausdruck. Die etwa 1.500 Delegierten aus 101 Ländern sowie zahlreiche Gäste nahmen teil. Auf dem Programm der Konferenz standen Satzungsänderungen, die Wahl einer neuen Führung und die Ausrichtung des Dachverbands für die kommenden Jahre.

Mit frenetischem Applaus wurde der ehemalige Metallarbeiter und spätere Präsident Brasiliens (von 2003 bis 2010), Luiz Ignazio Lula da Silva, während der Konferenzeröffnung begrüßt. Der Präsident der brasilianischen Metallarbeitergewerkschaft CNM-CUT, Paolo Cayes, sagte in seiner Rede: »Lula selbst kommt aus der Armut, und er wurde Präsident und bekämpfte die Armut. Dafür wollen sie jetzt Lula ins Gefängnis werfen.« Nun verschärfe sich der Klassenkampf im Land wieder. In dieser Situation gelte es, so Cayes, um die Rechte der Arbeiter sowie deren Geschichte zu ringen, »wir müssen Lula verteidigen«.

Zuvor hatte der scheidende IndustriALL-Präsident Berthold Huber den Kongress mit einem Statement zur Flüchtlingsfrage eröffnet: »Heute gilt unsere Solidarität und Sympathie den Menschen, denen Flucht als einziger Ausweg aus ihrem Elend erscheint. Nur in einer gerechten Weltordnung finden Terroristen und Rassisten keinen Nährboden mehr.« Die »lebendige Arbeit« müsse »zumindest gleichberechtigt neben dem Kapital geachtet« werden.

Auf den IG-Metall-Mann Huber folgt Jörg Hofmann als Präsident des Dachverbands. Auch er kommt aus der deutschen Metallergewerkschaft, was ein Zeichen für deren Dominanz in IndustriALL ist. Zum Generalsekretär wurde Valter Sanches bestimmt, früherer Vorsitzender der brasilianischen CNM-CUT. Sanches war Betriebsrat bei Daimler in Brasilien und verfügt über gute Verbindungen zur IG Metall. Die Personalwahlen erfolgten einstimmig ohne Enthaltungen.

 Dennoch hatte es um die neue Führung im Vorfeld des Kongresses heftige Auseinandersetzungen gegeben. Entsprechend dürfte es eine Konzession an die weiter links-stehenden Kräfte im Verband sein, dass mit Sanches ein Repräsentant der Gewerkschaften des globalen Südens in eine wichtige Position gebracht wurde. Hinter vorgehaltener Hand äußerten Delegierte aber auch Kritik an dem Auswahlverfahren der Führung. Es sei ein »Deal der Giganten« in der Organisation, der den Delegierten keinen Raum für eigene Entscheidungen gelassen habe.

Bei IndustriALL handelt es sich um den bisher wohl ambitioniertesten Versuch, dem Kapital mit einer transnationalen gewerkschaftlichen Organisierung entlang der industriellen Wertschöpfungsketten entgegenzutreten. Der Dachverband ist 2012 aus einer Fu­sion des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes mit den internationalen Föderationen der Chemie-, Energie-, Bergbau- und Fabrikarbeiterverbände sowie den internationalen Vereinigungen der Textil-, Leder- und Bekleidungsarbeiter hervorgegangen. Etwa 600 Gewerkschaften, die rund 50 Millionen Mitglieder in 140 Ländern organisieren, sind in IndustriALL vereint.

Zu den Schwächen des Verbandes gehört, dass Frauen und Jugendliche in ihm noch nicht gut genug vertreten sind. Lediglich knapp 30 Prozent der Delegierten waren weiblich, nur etwa 60 der 1.500 Delegierten waren jünger als 35 Jahre. Auf dem Kongress wurde beschlossen, die Jugendarbeit zu intensivieren. Zudem wurde die Satzung geändert. Ab 2020 sollen Frauen mindestens 40 Prozent der Mitglieder aller Gremien der Organisation stellen. Verbindlich ist diese Quote allerdings nicht.

Bestätigt wurden fünf strategischen Ziele des Dachverbands. Diese sind: 1. die Stärkung gewerkschaftlicher Organisationsmacht durch Mitgliedergewinnung und den Aufbau handlungsfähiger transnationaler Netzwerke innerhalb der multinationalen Konzerne sowie innerhalb ganzer Branchen; 2. die Schwächung der Macht des Kapitals durch globale Rahmenverträge; 3. die Verteidigung der Beschäftigtenrechte; 4. der Kampf gegen prekäre Beschäftigung; 5. das Ringen um eine sozial und ökologisch nachhaltige Beschäftigung in der Industrie.

Von Florian Wilde, Rio de Janeiro.

Der Artikel erschien am 11.10.2016 in der „junge Welt„: https://www.jungewelt.de/2016/10-11/058.php