Perspektiven des Bildungsstreiks

(junge Welt) »Wir brauchen die Radikalisierung der Bewegung« Bildungsstreiks werden im Sommer weitergehen. SDS will den Druck auf die Regierung erhöhen. Gespräch mit Florian Wilde, in: junge Welt.

Das neue Hochschulsemester hat begonnen. Gibt es Anzeichen für eine Wiederauflage der Bildungsstreikaktivitäten, wie wir sie im zurückliegenden Jahr erlebt haben?

Auf alle Fälle. An vielen Orten gibt es weiterhin aktive Bildungsstreikbündnisse, eine neue Protestwelle wird vorbereitet. Wir orientieren für die erste Phase des Semesters auf ein neues Element in der bisher vorrangig dezentral agierenden Bewegung: eine Demonstration gegen Studiengebühren in Düsseldorf am 5. Mai. Mit ihr soll im Vorfeld der Landtagswahl in NRW massiv Druck für eine Abschaffung der Studiengebühren und aller Bildungsgebühren gemacht werden.

Das klingt wie ein Aufruf zugunsten der SPD, die im Wahlkampf die Abschaffung aller Bildungsgebühren verspricht …

Nein, zur Wahl der SPD rufen wir bestimmt nicht auf. Aber zur Abschaffung der Studiengebühren in NRW ist ein Sturz der dortigen schwarz-gelben Koalition eine wesentliche Voraussetzung.

In Ihrem Aufruf zur Düsseldorfer Demo heißt es, die Abwahl der NRW-Regierung könnte eine »tiefe Bresche in die konservativ-liberale Hegemonie« schlagen und eine »Wende in der Bildungspolitik« erzwingen. Ist das nicht doch zu euphorisch, wenn man das politische Sündenregister der SPD bedenkt?

Wir denken nicht von der SPD her, sondern von den Herausforderungen, vor denen die Bildungsstreikbewegung steht. Eine Abschaffung der Studiengebühren in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, könnte die gesellschaftliche Debatte in dieser Frage komplett drehen und einen Dominoeffekt in anderen Bundesländern auslösen. Für die gesamte Bildungsstreikbewegung wäre es eine ungeheuer motivierende Erfahrung, daß sich durch Druck von unten tatsächlich etwas bewegen läßt.

Bräuchte es dazu nicht eine mitregierende Linkspartei, die die SPD auf Linie bringt?

Was Regierungsbeteiligungen angeht, sind wir als SDS aufgrund der Erfahrungen mit Berlin und Brandenburg überaus skeptisch. Ich habe eher den Eindruck, daß dort die SPD der Linken die Linie diktiert. Um die Interessen ihrer Anhänger effektiv zu vertreten, sollte die Linke einen harten Oppositionskurs fahren und auf die Stärkung sozialer Bewegungen und gewerkschaftlicher Kämpfe orientieren. Mit Blick auf NRW denken wir, daß die Bildungsstreikbewegung einen derart starken außerparlamentarischen Druck aufbauen muß, daß keine künftige Regierungskoalition mehr an einer Abschaffung der Gebühren vorbei-kommt.

In Hessen, worauf die Bewegung gerne verweist, gibt es keine Studiengebühren mehr, dafür soll jetzt aber der Bildungsetat massiv gekürzt werden. Was lernt man daraus?

Daß es keineswegs nur um Studiengebühren geht. Sie stehen im Kontext von Gebühren für Arztbesuche, Hartz-IV-Schikanen, der Rente mit 67 – eben der ganzen neoliberalen Politik der vergangenen Jahre. Als sozialistischer Studierendenverband kämpfen wir für einen radikalen Bruch mit allen Aspekten dieser Politik. Um diesen im Bildungsbereich durchsetzen zu können, brauchen wir einerseits eine Ausweitung und gleichzeitige Radikalisierung der Bewegung. Andererseits müssen wir stabile Allianzen mit Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und linken Organisationen aufbauen.

Was ist neben der Düsseldorfer Demo noch an Aktivitäten in diesem Semester geplant?

Am 17. Mai soll eine große Bologna-Konferenz der Bundesregierung stattfinden, die nach aktuellem Stand in alle Hochschulen live übertragen übertragen wird. Wir hoffen dabei auf eine Politisierung weiterer Teile der Studierendenschaft. Zu ihrer Auswertung schlagen wir vor, an allen Hochschulen Vollversammlungen zu organisieren. Am 9. Juni findet dann der nächste Bildungsstreik statt. Bundesweit werden wieder Zehntausende Schüler und Studierende auf die Straße gehen. In den Tagen vor und nach dem Streik wird es eine Vielzahl von Aktionen geben: von kreativ-bunten über direkte und militantere des zivilen Ungehorsams bis hin zu Besetzungen einzelner Institute. Kleinere Zugeständnisse konnten wir den Regierenden bereits abringen. Nun geht es darum, den Druck aufrechtzuerhalten, um eine grundlegende Wende in der Bildungspolitik zu erzwingen.

Florian Wilde ist Bundesgeschäftsführer beim Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband Die Linke.SDS

Interview: Ralf Wurzbacher