Zum 25. Todestag von Ernest Mandel

Zum 25. Todestag von Ernest Mandel.

Heute vor 25 Jahren starb der jüdisch-belgische Revolutionär und Ökonomie-Professor Ernest Mandel, jahrzehntelang die zentrale Führungsfigur der trotzkistischen 4. Internationale. Nachdem zahllose ihrer Kader unter Stalinismus und Faschismus (Mandel selbst gelang nur knapp die Flucht aus einem Transport ins KZ) ermordet worden waren, ging sie äußerst geschwächt in die schwierigen Nachkriegsjahre, in denen sie von Mandel durch schmerzhafte Spaltungen und komplizierte Wiedervereinigungen in den linken Neu-Aufschwung nach 1968 navigiert wurde. Dass die Gruppen der 4. Internationale 1968 in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, noch tief in die Sozialdemokratie eingegraben und wenig sichtbar waren, erwies sich als schweres Manko: Obwohl Mandel enge Verbindungen zu Rudi Dutschke und dem SDS unterhielt, kam der Hauptstrom der Radikalisierung in Deutschland nicht dem antistalinistischen Trotzkismus, sondern dem Maoismus und (post-)Stalinismus zugute. Noch verstärkt wurde diese Entwicklung als die sozialliberale Koalition in Deutschland ein jahrelanges Einreiseverbot wegen „revolutionärer Umtriebe“ gegen Mandel erlies, nachdem dieser zum Professor an der FU Berlin berufen worden war.
Anders in Frankreich, dessen LCR sich zu einer prägenden Organisation der 4. mauserte. In den 70er und teilweise auch noch in den 80er Jahren schossen die Organisationen der 4. quasi durch die Decke und legten ein dynamisches Wachstum hin. In Ländern wie Mexiko oder Peru konnten beeindruckende Wahlergebnisse erzielt werden, in Brasilien hatte man starken Einfluss auf die Arbeiterpartei (PT) Lulas, im Baskenland schloss sich eine Mehrheit der ETA der 4. an, überall entstanden neue Sektionen oder wuchsen die bestehenden. Aus eigenen Kräften eine zentralisierte Internationale der proletarischen Revolution aufzubauen, konnte einem als durchaus nicht unrealistische Perspektive erscheinen. Die Revolutionen in Algerien, Kuba und Nicaragua fanden in der 4. engagierte, wenn auch manchmal etwas unkritische, Verteidiger, in allen großen Streikbewegungen, aber auch der entstehenden Frauen- und Umweltbewegung mischten ihre Militanten fleißig mit. Zeitweise proklamierte man für Lateinamerika eine Guerilla-Strategie, die Tausenden Militanten Leben und Freiheit kostete und schließlich revidiert wurde zugunsten eines Schwerpunktes auf die Verankerung in der industriellen Arbeiterklasse. Strategischer Leitstern der 4. war die Theorie der drei Dimensionen der Weltrevolution: soziale Revolution zum Sturz des Kapitalismus im Westen, politische Revolutionen zum Sturz der stalinistischen Bürokratie im Osten, und antikoloniale (permanente) Revolutionen im Süden.
Doch als der linke Neuaufbruch mit den Niederlagen der portugiesischen Revolution, der Solidarnosc-Bewegung in Polen und dem Miners Strike in England zerbrach und die jahrzehntelange Defensive der sozialistischen und Arbeiterbewegung im Neoliberalismus begann, wirkte sich dies auch auf die 4. Internationale zurück. Die autoritäre Führung der amerikanischen SWP, lange eine der wichtigsten und finanzstärksten Sektionen, führte die 4. in den 80ern in eine verlustreiche Spaltung. Der Kurs einer Vereinigung mit maoistischen Restbeständen beschädigte eine Reihe von Sektionen (u.a. Deutschland und Spanien) nachhaltig und führte zu einer verminderten Sichtbarkeit der 4. Internationale genau in dem Moment, als der Stalinismus zusammenbrach und ihre große Stunde hätte schlagen müssen. Das Scheitern des Kurses in Brasilien und Illusionen Mandels in Gorbatschow taten ihr übriges, und so ging die 4. arg gebeutelt in die 90er und fand auch nach Mandels Tod nie wieder zu alter Geschlossenheit, Dynamik und Stärke zurück.
Von allen trotzkistischen Zusammenschlüssen bietet die 4. die wohl faszinierendste und interessanteste Geschichte. Denn während dieses Spektrum oft genug nur Sekten oder bizarre Mikro-Parteien am Rande der Obskurität hervorzubringen vermag, verfügte die 4. über zahlreiche relevante Organisationen, die in echten Kämpfen echte Erfolge erzielten, oder echte Niederlagen erlitten. Da, wo sie rückblickend selbst Fehler eingestand – Guerilla-Strategie, unkritisches Verhältnis zu nationalen Befreiungsbewegungen, Wahlstrategien – waren es Fehler der gesamten Linken, in der man eben mittendrin mitwirkte und nicht nur von der Seitenlinie besserwisserische Kritik zu bieten hatte.
Mandels theorietisches Erbe bleibt in vielem relevant, seine „Einführung in die marxistische Wirtschaftstheorie“ ist bis heute ein hervorragend geeigneter Schulungstext, ebenso seine „Einführung in den Marxismus“.
Ich selbst wurde als junger Mensch politisch in einer anderen Traditionslinie als der Mandels sozialisiert, aber verneige mich Tief vor dem theoretischen und praktischen Wirken dieses herausragenden Kopfes der antistalinistischen Linken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Erst kürzlich laß ich die Mandel-Biographie von Jan Willem Stutje „Rebell zwischen Traum und Tat“, die ich durchaus zur Lektüre empfehlen möchte.