Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Schon zuvor waren die NSDAP und ihre paramilitärischen Formationen SA und SS – oft genug unter Duldung staatlicher Stellen – mit brutalem Terror gegen Angehörige der Arbeiterbewegung vorgegangen. Nun war dieser Terror staatlich legalisiert. Noch im Februar wurden SA und SS als Hilfspolizei eingesetzt und mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Ihr Kampf gegen die Linke bekam damit den Charakter von Staatsaktionen. Brutale Überfälle und Ermordungen bekannter antifaschistischer Aktivisten folgten der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler auf dem Fuße. Am schnellsten und stärksten von der nun einsetzenden Unterdrückung war die KPD betroffen. Am 23. Februar wurde ihre Zentrale, das Karl-Liebknecht-Haus, durchsucht und geschlossen, wenige Tage später ihre Zeitung, die „Rote Fahne“, verboten. Der Brand des Reichstages am 27. Februar diente als Vorwand einer neuen Welle des Terrors. Noch in der folgenden Nacht wurden allein in Berlin 1.500 Kommunisten festgenommen. Da die Gefängnisse rasch überfüllt waren, wurden die ersten Konzentrationslager eingerichtet. Am 6. März fanden die letzten Reichstagswahlen statt. Trotz aller Unterdrückungsmaßnahmen erhielt die KPD immer noch 4,8 Mio. Stimmen (12,3%), die SPD 7,3 Mio. Stimmen (18,3%). Die NSDAP verfehlte die absolute Mehrheit, konnte aber mit einer rechtskonservativen Partei erneut die Regierung bilden. Zur Festigung seiner totalitären Herrschaft peitschte Hitler im März ein „Ermächtigungsgesetz“ durch den Reichstag, das der Regierung das Recht gab, von der Verfassung abweichende Gesetze zu beschließen. Die kommunistischen Abgeordneten konnten an der Sitzung schon nicht mehr teilnehmen: Wer von ihnen nicht in den Untergrund gegangen war, war bereits verhaftet worden. Während alle bürgerlichen Parteien für Hitlers Gesetz stimmten, votierte als einzige die SPD dagegen. Der Weg in den totalitären Staat war nicht mehr aufzuhalten: Am 2. Mai wurden die Gewerkschaftshäuser besetzt und die Gewerkschaften zerschlagen, im Juli auch die SPD verboten. Mit der Zerschlagung der marxistischen Arbeiterbewegung hatten die Nazis ein erstes Ziel erreicht. Es war eine notwendige Voraussetzung dafür, dass sie ihre weiteren Ziele in Angriff nehmen konnten: die Aufrüstung Deutschlands als Vorbereitung des schrecklichsten Krieges der Geschichte, den Aufbau einer klassenübergreifenden „Volksgemeinschaft“ und den Kampf gegen alle „Volksfeinde“, die in der industriellen Vernichtung des europäischen Judentums gipfeln sollte.
Die Linke stand der Machübertragung an die Nazis weitgehend ohnmächtig gegenüber. Dies löste bereits damals weltweit Entsetzen aus: Wie konnte die faschistische Terrorherrschaft ausgerechnet in Deutschland etabliert werden, dem Geburtsland des Marxismus, der traditionellen Hochburg der Arbeiterbewegung, einem Land mit mächtigen Gewerkschaften, einer starken Sozialdemokratie und der größten kommunistischen Partei außerhalb der Sowjetunion? Wie konnte Hitler an die Macht kommen, ohne dass es zu einem Bürgerkrieg, ja, nicht einmal zu einem Generalstreik kam? Wieso konnten SPD und KPD ohne massiven Widerstand zerschlagen werden? 1920 hatten erstmals Hakenkreuzfahnen unter dem Brandenburger Tor geweht, als reaktionäre Offiziere gegen die junge Republik putschten. Kampflos verließ die SPD-geführte Reichsregierung Berlin und floh nach Stuttgart, denn die Reichswehr war nicht bereit, die Regierung gegen eine Bedrohung von Rechts zu schützen. Spontan erhoben sich daraufhin aber Millionen von Arbeitern gegen den rechten Putsch. Bald wurde das gesamte Land vom größten Generalstreik der deutschen Geschichte mit 12 Millionen Streikenden lahm gelegt. Den Putschisten standen so weder Telegraphen noch Eisenbahnen zur Verfügung. An vielen Orten bildeten sich Arbeitermilizen, die monarchistische Armeeeinheiten angriffen. Unter der Wucht dieser gemeinsamen Abwehraktion der gesamten Arbeiterschaft brach der Putsch nach wenigen Tagen zusammen.
Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wieso es 1933 zu keinem vergleichbaren Widerstand der Arbeiterorganisationen gegen ihren gemeinsamen Todfeind, den Faschismus, kam – und welche Lehren daraus auch für heutige AntifaschistInnen zu ziehen sind.
Weltwirtschaftskrise und Aufstieg der NSDAP
Der Aufstieg der NSDAP ist ohne die Weltwirtschaftskrise ab 1929 nicht zu erklären. Zuvor war die faschistische Bewegung eine in verschiedene Gruppen gespaltene Randerscheinung der Weimarer Republik gewesen. Zwar war sie in der Lage, punktuell immer wieder Gewalt gegen Linke und Juden auszuüben. Von gesellschaftlicher Relevanz war sie aber weit entfernt. Bei den Reichstagswahlen 1928 waren auf die NSDAP nur 2,8% (810.000 Stimmen) entfallen. Das änderte sich schlagartig mit der ungeheuren Verelendung, die die Wirtschaftskrise über die deutsche Bevölkerung brachte. Die Arbeitslosigkeit explodierte von 1.2 Mio. im Juli 1929 auf 6 Mio. im Januar 1932. Hinzu kamen weitere zwei Millionen nicht registrierte Arbeitslose und sechs Millionen Kurzarbeiter; die Produktion sank von 1929 bis Ende 1931 um 41,4%. Massenhafte Verelendung und Verzweiflung waren die Folge. Die gesamte Jugend war ohne Arbeit und für Jahre ohne jede Aussicht auf eine Anstellung. Stundenlanges Anstehen vor Suppenküchen wurde für viele zum Alltag. Das Ansehen der bürgerlichen Demokratie, in der eine Besserung der Lage vielen nicht mehr möglich erschien, sank ebenso rapide wie das Vertrauen in das kapitalistische Wirtschaftsmodell. Davon verstanden die Nazis mit ihrer aggressiven Propaganda, die sich – neben Juden und Marxisten – auch gegen das „raffende Finanzkapital“ und den Parlamentarismus richtete, zu profitieren. Bereits im September 1930 erhielten sie 18,3% (6,4 Mio. Stimmen), im Juli 1932 37,4% (13,8 Mio. Stimmen). In nur vier Jahren hatten sie 13 Mio. Wähler dazugewinnen können. Ihre Mitgliederzahl stieg von unter 100.000 1928 auf 850.000 Anfang 1933. Gleichzeitig wuchs die SA von 60.000 auf 400.000 Mitglieder. Die Tiefe der Krise und das Wachstum der Nazis machten diese für zunehmende Teile des deutschen Kapitals, vor allem Schwerindustrielle und Bankiers, interessant. Die Wirtschaftskapitäne fürchteten die Gefahr einer sozialen Revolution. Gleichzeitig hofften sie, durch eine Zerschlagung der Arbeiterbewegung die Krise auf dem Rücken der Bevölkerung „lösen“ zu können und spekulierten auf einen neuen Krieg als Revanche für die „Schmach von Versailles“ und zur Steigerung ihrer Profite. An diesen Punkten deckten sich ihre Interessen mit denen der Nazis, die auf eine wachsende Unterstützung durch das Kapital, aber auch durch ostelbische Gutsbesitzer, durch Offiziere, hohe Beamten und andere Teile der „Eliten“ zählen konnten. Gleichzeitig konnten die Nazis an dem über viele Jahre von konservativen Kreisen geschürtem Nationalismus anknüpfen. Viele sahen Deutschland als Opfer des Ersten Weltkrieges. Auch die SPD trug dazu bei. Sie schreckte davor zurück, die Schuld Deutschlands am Kriegsausbruch zu thematisieren, um ihre eigene Rolle als Unterstützerin dieses Krieges nicht hinterfragen zu müssen.
Staatstragend bis zum Untergang: Die SPD
Die SPD war die Partei, die sich am stärksten mit der Weimarer Republik identifizierte. Immer wieder erklärte sie, die Republik entschieden „gegen Angriffe von links und rechts“ verteidigen zu wollen. Die Bereitschaft der Partei zu einem harten Vorgehen gegen die radikale Linke war bereits in der Novemberrevolution 1918 und den anschließenden, bürgerkriegsähnlichen Kämpfen um die verschiedenen lokalen Räterepubliken deutlich geworden. Damals war sie ein Bündnis mit den „alten Mächten“ aus der Kaiserzeit in Militär, Verwaltung und Wirtschaft eingegangen, um die Rätebewegung zurückzudrängen und eine das Privateigentum nicht infrage stellende Republik mit sozialer Gesetzgebung durchzusetzen. Als Folge dieses Bündnisses wurde die Weimarer Republik von Anfang an mit der Hypothek eines antirepublikanischen Beamten-, Justiz und Militärwesen belastet, dass sich immer wieder als „auf dem rechten Auge blind“ erweisen sollte und nach 1929 zunehmend zu einem Bündnis mit den Nazis bereit war.
Ihre Identifikation mit der Weimarer Republik wurde in der Weltwirtschaftskrise zu einem großen Problem für die SPD, denn die auf dem Kapitalismus beruhende Weimarer Ordnung verlor nun das Vertrauen der Mehrheit der Bevölkerung. Da die SPD mit dieser Ordnung identifiziert wurde und sich selbst mit ihr identifizierte, konnte sie diesen Vertrauensverlust nicht auffangen und in eine sozialistische Richtung lenken. Sie wurde selbst zum Opfer des schwindenden Vertrauens.
Von 1928 bis 1930 war die SPD an der Regierung beteiligt. 1930 bis 1932 tolerierte sie die mit Hilfe von Notverordnungen regierende Rechtsregierung des Reichskanzlers Brüning, um so der NSDAP den Zugang zur Macht zu blockieren. Brünings Antwort auf die ökonomische Krise war allerdings eine deflationistische Sparpolitik (Demontage des Sozialstaates, Erhöhung der indirekten Steuern, Kürzungen von Löhnen und Gehältern), die die Notlage der sozialdemokratischen Anhänger weiter verschärfte. So wurden die Löhne der Staatsbediensteten um 25% gekürzt, alle Unverheirateten mussten eine Zusatzsteuer von 10% zahlen und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vervierfachten sich, während die Ausgaben für Arbeitslose um zweidrittel gekürzt wurden. Krankheiten griffen um sich, weil immer mehr Menschen sich keinen Arztbesuch mehr leisten konnten. Vor den Wahlen das Gegenteil von der Politik verkündend, die sie hinterher parlamentarisch tolerierte, machte sich die SPD immer unglaubwürdiger und verlor von Wahl zu Wahl Stimmen, von 30% 1928 auf 18% 1933.
Die Möglichkeit, den Lebensstandart ihrer Anhänger durch außerparlamentarische Mobilisierungen und betriebliche Abwehrkämpfe entschlossen zu verteidigen, wurde von der SPD-Führung nicht ins Auge gefasst. Die Selbstidentifikation mit dem Weimarer Staat führte die SPD zu einer mechanischen Gleichsetzung der Gegner dieses Staates, also von KPD und NSDAP. Wolfgang Abendroth schreibt: „Thälmann gleich Hitler, >NazisKozis< waren die üblen Slogans der SPD-Führung, mit denen sie ihrerseits die Spaltung der Arbeiterbewegung auf die schlimmste Art vertiefte“. An einen gemeinsamen Abwehrkampf mit den Kommunisten gegen Sozialkürzungen und Naziterror war von Seite der SPD-Führung her nicht zu denken. Gerade aber diese Spaltung der Arbeiterbewegung, die Unfähigkeit, eine gemeinsame Antwort auf die kapitalistische Krise zu geben, trieb viele Opfer dieser Krise in die Arme der Nazis. Zwar schlossen sich SPD, Gewerkschaften und Arbeitersportler 1931 zur „Eisernen Font“ zur Verteidigung der Republik mit 3,5 Mio. Angehörigen zusammen, deren Kern die eine viertelmillion Mitglieder starken „Schutzformationen“ des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“, der sozialdemokratischen Kampforganisation, bildeten. Aber die Legalitäts- und Parlamentsfixierung der SPD verhinderte ihren effektiven Einsatz.
Militant, aber sektiererisch: Die KPD
Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ging aus dem linksradikalen Flügel der SPD hervor, als dieser nach der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten im Ersten Weltkrieg mit der Partei brach. Anfang der 20er Jahre zur Massenpartei geworden, zeichnete sich die KPD zunächst durch ein hohes Maß an innerparteilicher Demokratie und Diskussionsfreiheit aus. Verschiede Strömungen waren in der Partei vorhanden. Eine Kernfrage war dabei die nach dem Umgang mit der SPD: Sollten die Kommunisten die von ihnen für die Ermordung von Luxemburg, Liebknecht und hunderten revolutionären Arbeitern verantwortlich gemachte SPD frontal bekämpfen, wie es die „linken“ Kommunisten forderten? Oder sollte man nicht eher eine Einheitsfront-Politik verfolgen, also der SPD konkrete Mobilisierungen und Bündnisse gegen Angriffe durch das Kapital vorschlagen? Die Idee der Einheitsfront war, dass man entweder, wenn die SPD ablehnte, ihren Anhängern demonstrieren konnte, dass die SPD-Führung nicht einmal für einen Krumen Brot zu kämpfen bereit war. Stimmte sie gemeinsamen außerparlamentarischen Aktivitäten aber zu, würden sich ihre Anhänger durch die radikalisierende Dynamik sozialer Kämpfe nach links bewegen und in der gemeinsamen Praxis erkennen können, dass die Kommunisten die einzigen konsequenten Kämpfer für die Interessen der Arbeiterschaft sind. So sollte versucht werden, eine Mehrheit der Arbeiterschaft für den Kommunismus zu gewinnen, als notwenige Voraussetzung einer erfolgreichen Revolution.
Mitte der 20er Jahre begann ein fundamentaler Wandel der KPD. Analog zu der Entwicklung in Russland stalinisierte sich die Partei unter der Führung um Thälmann. An die Stelle von Diskussion und Demokratie traten Unterordnung und autoritäres Durchsetzen der Parteilinie. Oppositionelle Strömungen wurden aus der Partei gedrängt. Thälmann und Stalin vertraten ab 1929 eine „linke“ Linie im Umgang mit der SPD, die in der verhängnisvollen „Sozialfaschismus-Theorie“ der KPD gipfelte. Nach dieser Theorie waren Faschismus und Sozialdemokratie faktisch Zwillinge. Hauptfeind der Kommunisten seien die Sozialdemokraten, da sie durch ihre soziale Rhetorik die Arbeiter vom Klassenkampf fernhalten würden. Der schlimmste Feind seien dabei ausgerechnet die linken Sozialdemokraten: Sie würden besonders geschickt die Arbeiter täuschen. An ein Zusammengehen mit der SPD im Kampf gegen die Nazis war unter diesen Prämissen nicht zu denken. Im Gegenteil. Die KPD erklärte, dass „wir, ohne zuerst über den Sozialfaschismus zu siegen, dem Faschismus nicht aufs Haupt schlagen können.“ Zwar gab es – vor allem ab 1932 – einzelne Versuche, breitere Widerstandsfronten gegen die NSDAP aufzubauen, etwa die „Antifaschistische Aktion“. Sie waren aber als „Einheitsfront nur von unten“ angelegt, also ohne und gegen die SPD-Führung. Den sozialdemokratischen Arbeitern wurde so die Aufgabe ihrer bisherigen Identität als Bedingung einer gemeinsamen Praxis abverlangt, anstatt eine gemeinsame Praxis als ersten Schritt zu sehen, um sie für den Kommunismus zu gewinnen. Verbindliche Absprachen der Parteiführungen im Kampf gegen die Nazis wurden nicht getroffen.
Fatal war auch, dass der ultralinke Kurs der Thälmann-Führung mit einem unverantwortlichen, inflationären Gebrauch des Wortes Faschismus einherging. Die SPD-geführte Reichsregierung (bis 1930) galt bereits als „sozialfaschistisch“. Als ab 1930 Rechtsregierungen ohne parlamentarische Mehrheit regierten, erklärte die KPD immer wieder, der Faschismus sei nun an der Macht. Damit ging eine gefährliche Unterschätzung der Nazis einher. So erklärte Thälmann noch 1932: „Nichts wäre jedoch verhängnisvoller, als eine opportunistische Überschätzung des Hitlerfaschismus“. Tatsächlich erwies sich die Unfähigkeit der KPD, zwischen demokratischen, autoritären und faschistischen Formen kapitalistischer Herrschaft zu unterscheiden, als ein großes Verhängnis. Wer schon seit Jahren erklärte, dass der Faschismus bereits an der Macht sei, konnte die wahre Bedeutung des 30. Januars 1933 nicht klar verstehen, und so verkündete die KPD noch lange Zeit optimistisch: „Nach Hitler kommen wir!“
Durch ihre radikale antikapitalistische Haltung wuchs die KPD in der Wirtschaftskrise deutlich. Während sie bei den Reichstagswahlen 1928 10,6% (3,2 Mio. Stimmen) erzielt hatte, waren es im November 1932 16,9% (6 Mio. Stimmen). Die Zahl ihrer Mitglieder schnellte in der gleichen Zeit von 130.000 auf fast 300.000 in die Höhe. Die Kommunisten erhielten diesen Zulauf v.a. aus dem ständig wachsenden Heer der Arbeitslosen. Ihr Wachstum darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ihr trotz tiefster kapitalistischer Krise in dieser Zeit nie gelang, das emanzipatorische Potenzial der Arbeiterbewegung zu entfalten und die kapitalistische Gesellschaft grundlegend herauszufordern. Ihr Konfrontationskurs gegen die SPD ließ das Potenzial, dass ein gemeinsamer Kampf der Arbeiterorganisationen gegen die Nazis, aber auch gegen die Abwälzung der Kosten der Krise auf die Massen in sich barg, verschüttet. So gelang es nicht, eine hoffnungsvolle, überzeugende und realisierbare sozialistische Perspektive zu entwickeln, mit der womöglich viele der Anhänger der Nazis aus der Arbeiterschaft, unter den Arbeitslosen und aus dem Kleinbürgertum für die Linke hätten gewonnen werden können.
Ihre Strategie blockierte einen effektiven, gemeinsamen Kampf gegen die Nazis. Gleichzeitig waren die Kommunisten aber diejenigen, die den Kampf um die Straße gegen die Nazis am entschiedensten führten: hunderte Kommunisten kamen bei diesen oft bürgerkriegsähnliche Züge annehmenden Straßenkämpfen 1929-33 ums Leben. Und nachdem Hitler an der Macht war, gab es keine andere Partei, deren Anhänger einen vergleichbaren, massenhaften Widerstand versucht und dafür einen vergleichbar hohen Blutzoll zu zahlen gehabt hätten. Fast jedes dritte KPD-Mitglied von 1932 saß in den folgenden Jahren im Gefängnis, tausende wurden ermordet.
Im vergeblichen Ringen um die Einheitsfront: Die sozialistischen Zwischengruppen
Viel klarer als die großen Organisationen verstanden die zwischen SPD und KPD stehenden, kleineren Gruppierungen der radikalen Linken die elementare Gefahr, die vom Faschismus ausging. Verzweifelt versuchten sie, die großen für eine antifaschistische Einheitsfront zu gewinnen. Die bedeutendste dieser Gruppierungen war die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) mit ca. 25.000 Mitgliedern. Sie wurde 1931 von linken SPDlern gegründet, die die Kompromisspolitik ihrer Partei gegenüber den rechten Regierungen nicht mehr mitmachen wollten.
Für die SAP gehörten der Kampf gegen den Faschismus und gegen das kapitalistische System, dessen immanenten Krisen den Aufstieg der Nazis erst möglich machten, zusammen. Sie plädierte daher für einen gemeinsamen Kampf der linken Organisationen gegen die Nazis und gegen die Abwälzung der Kosten der Krise auf die Massen. 1932 hieß es in einem Apell der SAP an KPD, SPD und Gewerkschaften: „Der Bruch in der deutschen Arbeiterbewegung geht tief, aber nicht minder tief ist das Verlangen, ihn in dieser Stunde akuter Gefahr zu überbrücken und jedenfalls nicht an ihm den Kampf für diejenigen Forderungen scheitern zu lassen, die die Arbeiterschaft über alle grundsätzlichen, politischen und taktischen Meinungsverschiedenheiten hinweg einen. Einmütigkeit besteht in dem Willen zur Abwehr des Faschismus, zur Abwehr des Lohnabbaus, zur Verteidigung der Sozialgesetzgebung, zur Bekämpfung aller Kriegsgefahren. Wir schlagen euch darum vor, diese vier Punkte als Möglichkeit einer gemeinsamen Aktion aller Organisationen der Arbeiterschaft zu machen.“
Den Anti-Nazi-Kampf sah die SAP als Möglichkeit für die Linke, zusammenzukommen und ein neues Gefühl der Stärke zu entwickeln. In ihrem Aktionsprogramm hieß es: „Es gilt daher vor allen Dingen, durch einheitliche Aktionen gegen den Faschismus die Arbeiterklasse wieder zum Bewusstsein ihrer Kraft … zu bringen.“ Erfolgreiche Abwehrkämpfe gegen den Faschismus sah sie als eine Bedingung für Selbstvertrauen, um den Kapitalismus zu bekämpfen und so dem Faschismus endgültig seine Voraussetzung nehmen zu können.
Sehr präzise Analysen des Faschismus und klarsichtige Vorschläge zur Politik der deutschen Linken wurden auch von der KPD-Opposition (KPO), einer stark an den Vorstellungen Lenins und Luxemburgs ausgerichteten KPD-Abspaltung, sowie von den Anhängern des russischen Revolutionärs Leo Trotzki formuliert. Auch sie drängten die großen Parteien zu einem gemeinsamen und entschlossenen Kampf gegen den drohenden Sieg Hitlers. Von seinem türkischen Exil aus warnte Trotzki verzweifelt vor der tödlichen Gefahr, die für die gesamte deutsche Arbeiterbewegung von den Nazis ausging. Gegen diese Gefahr müsse es einen gemeinsamen Abwehrkampf über alle Gräben hinweg geben: „Der kommunistische Arbeiter muss zum sozialdemokratischen Arbeiter sagen: ›Die Politik unserer Parteien ist unversöhnlich; aber wenn die Faschisten heute Nacht kommen, um die Räume Deiner Organisation zu zerstören, so werde ich Dir mit der Waffe in der Hand zu Hilfe kommen. Versprichst Du, ebenfalls zu helfen, wenn die Gefahr meine Organisation bedroht?‹ Das ist die Quintessenz der Politik der jetzigen Periode.“
Die von SAP und anderen vertretene Einheitsfrontkonzeption ging immer von zwei Annahmen aus: Erstens, dass in einer direkten Auseinandersetzung mit den Nazis ein Zusammenstehen der Arbeiterbewegung unabdingbar war, um eine Machtergreifung der NSDAP zu verhindern. Zweitens, dass die Nazis letztlich nur gestoppt werden können, wenn es der Linken gelang, den Opfern der Wirtschaftskrise eine glaubwürdige, positive Antwort auf ihre Situation zu geben, um so zu verhindern, dass sie in die Arme der Nazis liefen. Dieses könne aber nur mit einer auf die baldige Überwindung des Kapitalismus abzielenden sozialistischen Perspektive geschehen. Nur im gemeinsamen Kampf der Arbeiterorganisationen gegen die konkreten Auswirkungen der Krise auf die Bevölkerung könne eine solche Perspektive glaubhaft werden. Die Einheitsfront gegen die faschistische Gefahr und der Kampf für die Überwindung des Kapitalismus gehörten zusammen. Welch Potenzial für eine positive gesellschaftliche Perspektive ein gemeinsamer Kampf der Linken in sich barg, hatte sich 1926 gezeigt. Damals hatte die KPD eine Kampagne für einen Volksentscheid für eine entschädigungslose Enteignung der 1918 gestürzten Fürsten initiiert. Überall wurden Einheitsfrontkomitees gebildet und Aktionen organisiert. Der Druck auf die SPD war schließlich so stark geworden, dass sie den Volksentscheid unterstützte. Bei der Abstimmung stimmten 14,5 Mio. Menschen dem Vorschlag von SPD und KPD zu – mehr, als beide Parteien zusammen je bei Wahlen an Stimmen erhielten. Und auch nach 1929 konnte der Konfrontationskurs der beiden Parteien nicht verhindern, dass viele ihrer Mitglieder auf Stadtteil- und Betriebsebene gemeinsam gegen die Nazis kämpften.
Die sozialistischen Zwischengruppen propagierten den einzigen Weg, der im Kampf gegen die Nazis eine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte: Die antifaschistische Einheitsfront der Linken (noch im November 1932, bei der letzten freien Reichstagswahl, hatten KPD und SPD zusammen 1,5 Mio. Stimmen mehr als die NSDAP erhalten). Ihre geringe Größe verdammte sie allerdings dazu, der Geschichte Weimars keine entscheidende Wendung mehr geben zu können. Von Anfang an waren sie zu klein und ihr Einfluss in der Arbeiterbewegung zu gering, um SPD und KPD von ihrem katastrophalen Kurs abbringen zu können. Und so waren sie dazu verurteilt, den Sieg des Faschismus im Wissen von der Möglichkeit, ihn zu stoppen, voraussehen und erleben zu müssen, ohne ihn stoppen zu können.
Relevant für heute
Einige Erfahrungen aus dem Scheitern der Linken im Kampf gegen den Aufstieg der Nazis sind – trotz völlig veränderter Rahmenbedingungen – auch für heute relevant. Dies gilt zum einen für die Erkenntnis, dass die Nazis eine potenziell tödliche Gefahr für die gesamte Linke, die Arbeiterbewegung und soziale Bewegungen, Juden, Homosexuelle, MigrantInnen etc. darstellen. Im Kampf gegen sie gilt es, über alle Grenzen und Vorbehalte hinweg zusammenzustehen. Ein Vertrauen auf den Staat im Kampf gegen die Nazis ist heute so verkehrt, wie es damals war. Aufgabe einer antifaschistischen Bewegung ist vielmehr, selbst aktiv zu werden, den Nazis keinen Raum in der Gesellschaft zu lassen und sich ihnen massenhaft, auf allen Ebenen und mit allen Mitteln entgegen zu stellen.
Dabei – auch das lehren die Jahre vor 1933 – reicht es für SozialistInnen nicht aus, nur den status quo unserer kapitalistischen Gesellschaft gegen die Nazis zu verteidigen. Denn es sind die Widersprüche und die immanenten Krisen des Kapitalismus, die immer wieder dazu führen können, dass potenziell Millionen bereit sind, Rassisten, Faschisten und Antisemiten zuzuhören. Aufgabe von SozialistInnen ist daher immer auch, eine glaubwürdige, positive, auf Solidarität, Kooperation und Klassenkampf gründende demokratische und sozialistische Alternative gesellschaftlich stark zu machen. Hier sollte uns die Erfahrung der SPD vor 1933 eine Warnung sein: Eine linke Partei, die sich – wie die SPD durch ihre Regierungsbeteiligung bis 1930 und durch ihre Tolerierung bürgerlicher Regierungen in den folgenden Jahren – zum Mittverwalter des kapitalistischen Elends macht, läuft in Gefahr, selbst mit diesem System identifiziert zu werden. Ihr droht der Verlust jeder Glaubwürdigkeit, eine Alternative zum Bestehenden darzustellen. Wenn sich aber in einer tiefen Krise wie der ab 1929 Millionen von einem System abwenden, das ihnen keine Perspektive mehr bieten kann, braucht es eine starke und glaubwürdige demokratische und sozialistische Kraft, um die Abkehr vom System in eine emanzipatorische Richtung lenken zu können. Der Aufbau einer solchen Kraft ist eine Aufgabe, der gerade in der tiefsten Krise des Kapitalismus seit 1929 eine besondere Bedeutung zukommt.
Florian Wilde ist aktiv bei dielinke.SDS und Mitglied der Historischen Kommission der Partei DIE LINKE.
Gespalten in den Untergang: Die Linke und der Aufstieg Hitlers
Von Florian Wilde. Veröffentlicht in: Die Linke.SDS/linksjugend [´solid] (Hg.): Block Fascism! Geschichte, Analysen und Strategien für eine antifaschistische Praxis, Berlin 2009.